Fashion + Design > Design

January 17, 2023

Lichtreise durch die Symphonie der Komposition Licht

Verena Dander

Manche Lichtreise liegt schon länger zurück. Eindrücklich wie sie sich aber gestaltete, kann ihr der Faktor Zeit rein gar nichts anhaben. Das Thema „Licht“ im Zusammenspiel der Elemente ist kein Beitrag der aufmerksamkeitsheischenden Art, weder füllt es das Tages-Tabloid des Heute in der Vergessenheit des Morgen versinkend.

Mailand, Jahr des Lichtes 2015. Via Solferino 18, der Kreativ-Distrikt. Ich, eine Architektin strammen Schrittes, die mit Begeisterung seit einiger Zeit begonnen hatte, intensiver mit Licht zu arbeiten, und Brigitte, eine Designerin auf leisen Sohlen, die Licht von jeher faszinierend empfindet, schreiten dem Erleben der außerordentlichen Installation einer avantgardistischen Beleuchtungsmanufaktur entgegen, währenddessen sublime Dunkelheit einen samtenen Schleier der besänftigenden Nachtruhe um … das Licht legt. Ein methaphorischer Widerspruch? Auf den ersten Blick vielleicht.

Wenn wir die Augen schließen und unseren Blick einen Moment den visuellen Aspekten des Geschehens, der manifestierten Materie entziehen und deren Lichteinwirkung ausblenden; den Lärm der Welt und die Vielzahl an staccato-artig durchrauschenden und einströmenden Eindrücken aller äußeren Reize uns entsagen, indem wir uns dem Dunkel der Innenwelten anvertrauen und uns in der Imagination „Licht“ vorstellen, dann wird vermutlich jede*r etwas Anderes „sehen“. Empfinden, wahrnehmen und spüren.

Silos. Erhaben ragen sie empor, präsentieren sich in einer kühlen Kühnheit reflektierenden Glanzes, diese metallenen Giganten, stramm und solide in Reih und Glied, silbern glitzernd gen dunklen Nachthimmel nehmen sie uns mit auf eine umwerfende Reise. Der Reise des Lichtes. Erde, Luft, Sonne, Mond, Wasser und Feuer – Elemente der faszinierenden Komposition Licht. Sie alle kreisen in dieser mitreißend inspirierenden Installation zum weltweiten Jahr des Lichts hier am Fuorisalone in Mailand symbolisch um das zentrale Thema Licht.

Die Abfolge der sieben zylindrischen Volumina in einem Rundgang, der sich zum Ziel gesetzt hat, die physischen, ästhetischen und symbolischen Wertvorstellungen zu erkunden, bringen die*den Entdecker*in in Berührung mit all seinen Sinnen. Über den Aspekt des Lichtes Balance in allumfassenden, vielschichtig angelegten Wahrnehmungsmöglichkeiten zu schaffen, indem die Symphonie Licht das Zellsystem – das, biologisch erfasst, selbst leuchtet – speisen und uns Besucher*innen mit allen Sinnen daran laben lässt.

Vollziehen wir einen Blickwechsel von Mailand nach Dresden: Der promovierte Chemiker Dmitry Vlodokin erforschte im Rahmen einer Serie eindrucksvoller Experimente das Faszinosum der Zellteilung. Über Temperaturerhöhung werden im Körper grüne, lichtphosphorische Proteine gebildet, deren Ausschüttung für die biomedizinische Grundlagenforschung von großem Interesse ist. Vereinfacht dargestellt: Licht steuert nicht nur unsere Wahrnehmung und die Zellen unserer Physis, sondern addiert supplementäre, biochemische Elemente in höchstkomplexen Gesundheitsabläufen.  
Das bedeutet: ohne Licht kein Leben. Licht steuert Zellen und wirkt unweigerlich auf das Wohlbefinden aller Lebewesen ein, es regelt die Gezeiten, die Abläufe der Natur nach gleichermaßen faszinierenden wie sinnstiftenden Vorgaben. All das liegt dem Inneren der Silo- Welten in der Via Solferino in Mailand zu Grunde. Wir wollen eintreten und erforschen, erspüren diese sinnlichen Erfahrungswerte der lichtvollen Vereinigungen.

Zehn Meter hoch, dreieinhalb Meter Durchmesser. Das Interesse ist groß, die Neugierde steigt. Wir blicken uns um und entdecken eine Schlange von Besucher*innen. Niemand mokiert sich über die Wartezeiten, niemand bäumt sich auf gegen die Instanz Licht. Mit einem austretenden Schwall intensiven Lichtwurfes öffnet sich uns dann die eiserne Türe zum Eintritt in das raumfüllende Licht-Manuskript einer visuellen Orchesterinszenierung.

Der 1. Zylinder der „Solis silos: feed on light“ offenbart wahrhaftige Interpretationswelten von Kunst und Wissen in gelungener Synthese, die sich von den Werken des federführenden Lichtkünstlers Mario Nanni speisen und die Vertikalität von Himmel und Erde axial in Bezug setzen. Die Wechselwirkung von eindringendem Wasser und dem Gegenüberstellen von Tageslicht zu künstlichem Licht potenzieren den Prozess. Vom höchsten Punkt strömendes Wasser bildet eine haptisch-akustische Kulisse für inszenierte Sonneneinwirkung, die in der Materie den Mond in seiner Reflexion widerspiegelt.
Der dunkle schmale Vorraum geleitet die Besucher*innen in ein Fest der Sinne: Ein- und Abtauchen in visuelle und akustische Lichtemotionen, spektakuläre Passagen, die sich bei Beschreiten in ihrer Form verändern. Es offenbart sich uns die ERDE. „Man beginnt immer mit seinen Wurzeln“, sagt das Kreativ-Genie Mario Nanni, „mit ihnen baut sich ein gesunder vitaler Lebensbaum auf“. Der Nährboden der Erde offenbart sich in einem Crescendo von tausendundein Farben und der einfachen wie gleichermäßen rührenden Komposition von Einweckgläsern angereichert mit Gewürzen, Kräutern und mittendrin LEDs: Licht bringt Nahrung hervor. Die „Barra d’Oro“, Peter Zumthors Leuchtenkreation, bewegt sich tänzelnd auf und nieder und erhellt in unterschiedlichen Lichtreflexen die Installation.

Der horizontale Wegverlauf geleitet über einen „dunklen“ Schlund in den 2. Zylinder-Silo, jenen der LUFT. Wir staunen über den gebündelten Strahl einströmenden Lichtes in einem Duett von Leichtigkeit und Transparenz, das das Licht weniger gehaltvoll, beinahe hell und diffus angereichert in seiner Leichtigkeit erscheinen lässt und spiegelt in einem schwebend reflektierenden Fußboden den Glanz der Erscheinung wider. Ein Symbol von Element und Leben geleitet mich und meine staunende Designerin-Begleitung in Silo Nr. 3 – jenem der LEUCHTE. Eine Kaskade des stetig wiederkehrenden Leuchtentyps in unendlich anmutender Fülle, in dessen Formbildung die Lichtinterpreten ein einziges Leuchtmittel wiederkehrend inszenieren, die E27. Eine Hommage an Technologie, eine Konstante. Ein subtiler Fingerzeig auf Nachhaltigkeit der Energieeinsparung? Möglich. Wir genießen mit allen Sinnen. Später lesen wir, dass die Lichtkünstler tiefer ansetzen: die Lichtqualität einer E27 gebündelt mit der Energieeinsparung der LED

Das nächste majestätische Silo erwartet uns bereits: Die SONNE; überwältigend im metallenen Zylinder-Kosmos strömt (inszeniertes) Morgenlicht über einen Schlitz ein, in der Symbolik der Kraft eines neuerwachenden Tages. Dieser Strahl flutet die Fülle kuppelartig angereicherter Linsen und bricht das Licht in tausendundein Facetten. Unter der schirmartigen Kranzleuchte „da ma“ von Sir David Chipperfield ist die*der Besucher*in eingeladen, sich auf der SONNE zu räkeln und mit dem Spektakel der Licht- und Elemente-Silos auch körperlich mitzuschwingen. Weltraumähnliche Atmosphäre, erfüllt von zarten Mondlicht, speisen die nächsten Silos: MOND, WASSER und FEUER sind die weiteren Elemente, die sich in linearer Anbindung aller auch hier auf berührende Weise gestalten. 

Diese Lichtreise neigt sich dem Ende zu: 7 lichtbringende metallene Welten. Eine für alle und alle für eine; miteinander verbunden. Jedes der 7 Silos verfügt über sein eigenes Leben, aber über die Maschinerie der Elementeinszenierung bilden sie ein übergeordnetes Gesamtwerk. Angereichert ob der Inspirationsfülle aller Sinneseindrücke verlassen wir die nachtstille Via Solferino und lassen die kreative Lichtmanufaktur von Mario Nanni für heute hinter uns. Im Geiste mit dem einen oder anderen Lichtkonzept, das ich in den darauffolgenden Jahren realisieren durfte, kehre ich in lichtvoller Herzenserfahrung immer wieder zurück. 

Was Licht alles in und um uns erhellt.

Foto: Christopher Burns/Unsplash

Print

Like + Share

Comments

Current day month ye@r *

Discussion+

There are no comments for this article.