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November 18, 2022

1.000 Milliarden Bäume – now!

Elisa Barison

Es gibt drei allgemein bekannte (Francesco di Giorgio Martini zugeschriebene) Gemälde aus Mittelitalien, datiert mit Ende des 15. Jahrhunderts, welche die Utopie der idealen Stadt der Renaissance regelrecht spürbar machen. Eines davon befindet sich heute in der Gemäldegalerie in Berlin, ein weiteres im Walters Art Museum in Baltimore und das dritte in der Galleria Nazionale in Urbino. Gemeinsam haben die drei Bilder die Vorstellung einer perfekten Stadt, in der die Zentralperspektive regiert, die Natur im Sinne von Flora und Fauna architektonischen Fantasien gewichen ist und der Mensch sich damit endgültig als etwas der Natur Entgegengesetztes positioniert hat. 

Klingt irgendwie, nach der Realität in den meisten Städten heute? (Abgesehen von der geometrischen Perfektion.) Gerade deshalb entstand während der ersten Monate der Pandemie in den Köpfen der Mitarbeiter*innen der Pädagogischen Fakultät der Freien Universität Bozen das Projekt EDENLAB – Educational Environments with Nature. Das Ziel? Nach der Beziehung zwischen Natur, Pädagogik, Design und Architektur für die Schule der Zukunft zu fragen, um ein Bewusstsein für die (sich ändernde) Umwelt zu schaffen. Letztes Wochenende organisierte die Universität Bozen dazu den zweitägigen Kongress EDEN – GREEN MIND SET, welcher seinen krönenden Abschluss in der Gärtnerei Schullian in Bozen mit einem Dialog zwischen dem Botaniker und Autor Stefano Mancuso, dem Architekten Giancarlo Mazzanti, der Professorin für Didaktik und Leitern des EDENLAB Beate Weyland und der Kuratorin und Architektin Simona Galateo in der Rolle der Moderatorin sah.EDEN LAB DSCF3711Beate Weyland erklärte einführend, dass es im Projekt konkret darum ginge, „den Dschungel in die Klassenräume zu bringen“, um zu beobachten, was dies mit der Erziehung der Schüler*innen, Student*innen und Professor*innen anstelle. Der Architekt Giancarlo Mazzanti stellte eines seiner Projekte aus Kolumbien vor, in dem die Vorstellung von Weyland bereits umgesetzt wird. Die schwierigste Aufgabe des Abends lag jedoch bei Stefano Mancuso. Von ihm erwartete sich das Publikum einiges. Vielleicht Hoffnung, vielleicht Pflanzen-Romantik? Einzelne wollten auch ganz konkret Anweisungen dazu haben, wie wir Menschen denn nun die Klimakatastrophe aufhalten sollen. Mancuso selbst sprach weder lang um den heißen Brei herum, noch drückte er sich in kompliziertem Fachjargon aus oder verlief sich in einer metaphorischen Reise in die Welt der Pflanzen – was ihm sonst ja sehr gut liegt. Nein, er nahm das Mikrofon in die Hand und warnte das Publikum gleich vorweg davor, an dem besagten Abend etwas „eco-ansia“ verbreiten zu müssen. Den Begriff fand ich gleich vorweg schon etwas unpassend, schließlich hat Professor Mancuso (Lehrender an der Universität Florenz und Leiter des LINV, International Laboratory of Plant Neurobiology) ja keine unnütze Panik betrieben und leider auch nicht übertrieben. Als braver Wissenschaftler hat er lediglich Fakten, Daten und Tatsachen zitiert (unter anderem aus diesem Paper, das von Forscherinnen der Oxford University stammt und regelrecht entsetzend ist), die den meisten wohl anscheinend nicht so klar waren, im Nachhinein aber vielleicht wirklich dazu führen werden, dass wir unsere ideale Stadt der Zukunft ändern wollen. Weg von der Zentralperspektive, hin zur Biodiversität – so wäre zumindest Mancusos Vorschlag, indem er die oben genannten Gemälde als Aufhänger für seinen Beitrag benutzt.EDEN LAB DSCF3707Dabei spricht der Botaniker ganz allgemein davon, dass wir als Spezies gerade mal 300.000 Jahre alt sind (homo sapiens) und dass andere Mitstreiter*innen (bei diesem Wort fällt schon der Wurm in unserem Denken auf), also im Sinne von anderen Spezies, durchschnittlich 5 Millionen Jahre diese wunderbare Erde beleben. Wollen wir also so unbedingt die superior species werden, die wir glauben zu sein, sollten wir uns lieber zu tun geben, unser und aller Existenz auf diesem Planeten zu sichern. Immerhin ist die Kategorie im Wettkampf, den wir glauben gewinnen zu müssen und können, das pure und raue Überleben der Spezies, und da können wir mit der mickrigen Zahl, die wir bisher aufweisen, ja nicht gerade mit einem Urgestein wie dem Kiemenfußkrebs zum Beispiel (geschätzte 66 Millionen Jahre ein Habitué des blauen Planeten) mithalten und gelten daher auch nicht unbedingt als die intelligente Spezies schlechthin. Diese zu sein, müssen wir erst noch beweisen … 

Mancuso meint, dass wir vielleicht auch ein bisschen stur und dumm sind, weil wir als Spezies ja doch so jung sind. Daran knüpft er seine letzte Hoffnung an ein baldiges Ende der pubertären Phase und ein kollektives Aufwachen, bevor es wirklich zu spät ist. Obwohl einige Besucher*innen sich zu Wort melden und danach fragen, was es denn nun zu tun gäbe und wie wir an konkreten Lösungen arbeiten könnten, betont Mancuso eigentlich den ganzen Abend lang nichts anderes: Wir müssen, und dies ist eine Bedingung, ohne welche alles andere erst gar keinen Sinn macht, 1.000 Milliarden Bäume pflanzen, um erstmal die nächsten 50 Jahre mit einem blauen Auge davonzukommen. Alles weitere, liegt dann in einer grundlegenden Veränderung davon, wie wir uns als Menschen zum Rest der Natur (Mancuso sagt: „die Natur ist all das, was geboren wird und wurde, die Natur ist das Leben“) und zu uns selbst verstehen und verhalten. Hier kommt das EDEN LAB, die Schule der Zukunft, aber auch alle weiteren Bewohner*innen der Welt ins Spiel.EDEN LAB DSCF3691Tja, und wer sich jetzt immer noch fragt, was er oder sie tun sollte, kann sich gerne von den Büchern Mancusos dazu motivieren lassen, diese Erde zu retten. Oder aber damit beginnen, Bäume zu pflanzen. Eine kurze, motivierende Geschichte dazu schrieb Jean Giono bereits im Jahr 1953 in Der Mann, der Bäume pflanzte (französischer Originaltitel: L’homme qui plantait des arbres).

Los, auf!

Fotos: (1) Schullian; (2–4) EDEN LAB

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Comments

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There is one comment for this article.
  • Susanne Maria Barta · 

    Ja, lasst uns 1.000 Milliarden Bäume pflanzen.

    ps Habe Mancuso gelesen, bin nicht mit allem einverstanden, aber ändern müssen wir was.