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October 20, 2022

Ein Fenster, ein Rahmen, ein Blick auf die Welt

Elisa Barison

Letzten Donnerstag, 13.10.2022, eröffnete die Sammlung Finstral in ihren Räumlichkeiten in Friedberg bei Augsburg die Ausstellung Picture Window Frame des italienischen Künstlers Stefano Graziani. Kuratiert wurde diese vom belgischen Architekturbüro OFFICE Kersten Geers David Van Severen (OFFICE KGDVS), welches bereits in der Vergangenheit mit Graziani zusammengearbeitet hat.

Gemeinsam schaffen die Architekten und der Fotograf eine komplett neue Sicht auf den Fensterhersteller, welcher ironischerweise davon lebt, anderen Menschen einen Blick auf die Welt zu verschaffen. Die Sammlung Finstral, gegründet vom Vater der gleichnamigen Firma, Hans Oberrauch, und mittlerweile geführt durch seine Tochter Kathrin Oberrauch, beweist damit einmal mehr, dass es sich bei ihrem Mäzenatentum und der Leidenschaft für Kunst um sehr viel mehr handelt als einer guten Investition. Wie sich die Firma anhand der unterstützen Künstler*innen und Projekte immer wieder selbst reflektiert, was diese dazu bewegt mitzumachen und wie die Synergien dabei aussehen habe ich mit jeweils zwei Fragen an die beteiligten Personen in „Picture Window Frame“ erfahren dürfen.

Kathrin, die Finstral Collection gibt es seit rund fünfzig Jahren, begonnen bei der Leidenschaft deines Vaters, kümmerst du dich seit geraumer Zeit um die Sammlung. Eine derartige Vernetzung zwischen Unternehmen und Sammlungsaktivität ist dabei nicht als selbstverständlich zu betrachten. Ist die Sammlung und deine kuratorische Tätigkeit darin eine Art Selbstreflexion der Firma?

Kathrin Oberrauch: Es gibt Themengebiete in der Sammlung, die sich mit Fragestellungen der Firma überschneiden, wie zum Beispiel die Ästhetik des Wohnens und Bewohnens, der Aneignung durch Nutzerinnen, oder der Umgang mit Ressourcen. Man kann die Sammlung daher als eine Art Selbstreflexion betrachten, in der das eigene Tun kritisch hinterfragt wird. Die Sammlung soll jedoch einladen, sich auf etwas einzulassen, wofür es keine Regeln gibt. Ich sehe ihre Aufgabe darin weiterzudenken, Räume und Denkräume zu schaffen, die außerhalb der Produktion und des Funktionellen liegen. Kunst schafft es, Perspektiven zu öffnen, zu experimentieren, Raum zu geben für Unerwartetes.Stefano Graziani_MG_2148 (c) Finstral CollectionKannst du mir ein bisschen mehr dazu erzählen, wie es zur Zusammenarbeit mit Stefano Graziani und dem OFFICE Kersten Geers David Van Severen kam? OFFICE kuratiert die Ausstellung, worin lag deine Rolle im Projekt und wann dürfen wir in Bozen damit rechnen?

Kathrin Oberrauch: Mit der Ausstellung von Stefano Graziani und dem OFFICE Kersten Geers David Van Severen setzen wir das erste Mal ein so firmennahes Projekt um. Für uns war es schon interessant, zu sehen, wie Graziani mit Licht umgeht: Er benutzt für seine Fotografien ausschließlich gegebenes Licht, das in den Räumen vorzufinden ist. Für Finstral steht das natürliche Licht im Vordergrund, nicht ohne Grund setzt sich der Name „Finstral“ aus den Wörtern Finestra und Sonnenstrahl zusammen. Die Zusammenarbeit entstand daher aus dem gemeinsamen Interesse an Licht und seiner Wirkung auf Räume. Meine Aufgabe bestand vor allem darin, als Schnittpunkt zwischen Graziani, dem belgischen Architekturbüro OFFICE KGVS und Finstral zu fungieren. Die Umsetzung des Displays mit firmeneigenen Produkten wurde erst in enger Zusammenarbeit ermöglicht und führte die Frage der Raumerfahrung weiter. Auch die Frage der Ressourcen und Materialweiterverarbeitung spielte in der Umsetzung des Displays eine Rolle. Dieses Thema wird beim Architekturdialog am 24. November 2022 im Finstral Studio Friedberg bei Augsburg weitergedacht, zu der ich bei dieser Gelegenheit gerne einladen möchte. Der deutsche Ausnahmearchitekt Peter Haimerl, der vor allem durch sein innovatives Bauen im Bestand bekannt ist und eine besondere Ortsverbundenheit des Materials pflegt, wird unter anderem einen Vortrag geben. Eine gute Gelegenheit auch die Ausstellung Picture Window Frame zu besuchen. Diese wird noch bis Ende März 2023 im Finstral Studio Friedberg bei Augsburg zu sehen sein. Ansonsten kann man die Fotografien und Arbeitsweise Grazianis auch im Finstral Magazin Framing Light F_03 kennenlernen oder diesen Podcast mit Alexander Gutzmer und Stefano Graziani anhören.
Es freut uns, dass die Zusammenarbeit mit Graziani nächstes Jahr weitergeführt wird. Sein Masterstudiengang in Fotografie „Viaggio in Italia“ an der IUVA Venezia wird im Frühling 2023 für zwei Wochen im Schloss Gandegg residieren und von der japanischen Fotografien Rika Noguchi begleitet werden. Auch wenn vorerst noch nicht geplant ist, die Ausstellung nach Eppan zu holen, gibt es dadurch Gelegenheit Stefano Graziani und seinen bemerkenswerten Blick auf die Dinge zu begegnen.Portrait_StefanoGraziani (c) Finstral CollectionStefano, wie ordnet sich dieses besondere Projekt in deine künstlerische Recherche ein? Was war dein Zugang und wie hat sich dieser in der Umsetzung entwickelt?

Stefano Graziani: Das Projekt war eine Reaktion auf eine konkrete Anfrage von Kathrin Oberrauch, die mich gebeten hat, ein Fotoprojekt über die Herstellung von Fenstern der Firma Finstral, dem 1969 von ihrem Vater Hans Oberrauch gegründeten Familienunternehmen zu entwickeln. Als Fotograf bin ich besonders daran interessiert, Aspekte der Fotografie durch eine dokumentarische Sprache zu untersuchen. Gleichzeitig möchte ich das Medium immer mit einer historischen Perspektive auf das Projekt, das ich entwickle, und mit einem besonderen Augenmerk auf die verschiedenen Klischees, die verschiedenen Genres der Darstellung und Abbildung innerhalb des Bereichs der Fotografie verwenden. Ich dachte also, dass es eine Herausforderung sein könnte, einige Industriestandorte zu fotografieren, etwas, das ich vor diesem Auftrag eigentlich nie ausprobiert hatte. Und in gewisser Weise war es eine Möglichkeit, ein Experiment innerhalb des Klischees oder des Genres der Industriefotografie zu machen, welches natürlich ein bestimmtes Bild hat. Das Ziel dieses Projekts war es, genau dieses Klischee herauszufordern. Es irgendwie zu umarmen und einen Weg oder eine Möglichkeit zu finden, etwas zu dem hinzuzufügen, was wir bereits von der Industriefotografie kennen.

Als Auftrag bzw. Kommission von Seiten der Firma hältst du ihnen ja praktisch einen Spiegel vor. Können sie von deinem Projekt etwas lernen?

Stefano Graziani: Im Idealfall kann dieses Projekt neue Fragen aufwerfen. Sowohl bei denjenigen, die es direkt in Auftrag gegeben haben, als auch bei den Menschen, die es sehen, die es erleben können. Natürlich gibt es in der Fotografie sofort Erwartungen, wie einige Fotos, die an bestimmten Orten gemacht wurden und die meisten Menschen kennen, aussehen sollten oder könnten. Diese Erwartungen hängen von den Menschen ab. Jede*r hat andere Erwartungen. Daher besteht die größte Herausforderung bei Projekten, die sich an dieser historischen Perspektive der Industriefotografie orientieren und die ein sehr klares Bild von sich selbst hat, darin, neue Fragen zu stellen, die ganz einfach lauten könnten: Warum sieht diese Fotografie so aus? Warum sind diese Fotos so angeordnet? Es gibt auch eine Publikation, die für dieses spezifische Projekt gemacht wurde (Picture Window Frame, a+mbookstore, 2022). Das Buch und die Ausstellung haben zwei parallele Leben, zwei parallele Wege, auf denen sie konzipiert wurden.Portrait_OFFICE08_22 (c) Finstral CollectionOFFICE KGDVS, ich bin sehr interessiert an eurer Idee, „einen Rahmen zu schaffen, in dem sich das Leben in seiner ganzen Komplexität entfaltet“. Ist das der Grund, warum wir sagen, dass wir „das Gesamtbild betrachten“? Brauchen wir einen Rahmen, um Komplexität als solche zu verstehen?

OFFICE Kersten Geers David Van Severen: Im Grund genommen sind bei jedem dieser Projekte der Rahmen und der Inhalt sehr wichtig. Als Architekt hat man einerseits den Protagonisten, also das Gebäude selbst, aber gleichzeitig ist das Gebäude immer auch der Rahmen für das, was darin gezeigt wird.
Ich denke, dass diese Idee möglicherweise eine Metapher für Architektur im Allgemeinen sein kann. Wir haben schon sehr früh darüber gesprochen, dass Architektur mehr als ein Rahmen verstanden werden kann, in dem sich das Leben entfaltet und die Dinge sich verändern. Wenn wir erfolgreiche Architektur machen wollen, sollten wir uns der Tatsache bewusst sein, dass jedes Element, das wir produzieren, entwerfen und schließlich, wenn wir Glück haben, bauen, gleichzeitig Teil mehrerer Erzählungen ist. Das Fenster, zum Beispiel, ist ein gut oder schlecht gemachtes Objekt, das aus verschiedenen Profilen zusammengesetzt ist, die ihrerseits schon auf die eine oder andere Weise gemacht sind. Dann ist es ein Rahmen, der die Art und Weise bestimmt, wie man die Welt betrachtet. Das Bildfenster als Idee ist das feste Fenster, durch das ich auf einen bestimmten Ort schaue, fast so, als würde ich genau diesen Blick zelebrieren. Gleichzeitig betrachte ich das Fenster als ein Element, das fast nur als eigenständige Architektur gesehen werden kann. Ich hoffe, dass wir genau das gezeigt haben, wenn auch nicht zum ersten Mal. Ich meine, es gibt ein großes Erbe: Es gibt viele Dan-Graham-Pavillons, die in ähnlicher Weise arbeiten, aber auch viele andere Beispiele. Ein Fenster ist also nicht einfach nur ein Teil der Architektur. Indem sie kombiniert werden, schaffen sie Raum, sie organisieren Raum. Und ich glaube, das ist es, was Architektur letztendlich tut.

Es ist nicht eure erste Zusammenarbeit mit dem Künstler Stefano Graziani. Wie unterscheidet sich dieses Projekt von früheren Kooperationen und welche Rolle spielt die Fotografie in eurer künstlerischen Forschung und Praxis?

OFFICE Kersten Geers David Van Severen: Seit den Anfängen von Office KGDVS haben wir mit Fotografen wie Stefano Graziani und Bas Princen zusammengearbeitet. Wir können also sagen, dass Stefano jemand ist, mit dem wir bereits 15 Jahre unserer Karriere teilen. Beide haben unsere Modelle fotografiert und unsere Gebäude aufgenommen. Wir haben gemeinsam an verschiedenen Projekten gearbeitet und im Laufe der Jahre einige spezielle Kooperationen begonnen. Zum Beispiel dokumentieren wir Architekt*innen und ihre verschiedenen Werke. Vor kurzem haben wir gemeinsam an einem Buch über Aldo Rossi gearbeitet (The Urban Fact. Ein Nachschlagewerk über Aldo Rossi, mit Kersten Geers und Jelena Pancevac, Walther und Franz König, Köln, 2021), für das Stefano die Fotos gemacht hat. Wir hatten in der Vergangenheit die Gelegenheit, bei einigen Ausstellungen von ihm am Ausstellungsdesign mitzuarbeiten, vor allem bei der Ausstellung in der Fondazione Prada in Mailand (Questioning Pictures. Stefano Graziani, Osservatorio Fondazione Prada, 2017. Kuratiert von Francesco Zanot). Als Stefano uns bat, diesen speziellen Auftrag hier für Finstral zu machen, hatten wir das Gefühl, dass es so etwas wie einen freien Raum zum Arbeiten gab, in dem wir das Konzept, das wir für seine Ausstellung in Mailand hatten, möglicherweise ein wenig weiterentwickeln konnten. Wir fanden die Leute bei Finstral sehr aufgeschlossen gegenüber seiner eigenen Arbeit, aber auch gegenüber unserem möglichen Beitrag zur Inszenierung, was uns zum Nachdenken zwang. Bei der Ausstellung in Mailand untersuchten wir den Paravent als Trägerstruktur für die Aufhängung der Kunstwerke. Natürlich hat die Verwendung einer Paravent ähnlichen Struktur andere Auswirkungen als das Aufhängen der Werke an den Wänden. Es gab nur sehr wenige Wände in dem Raum. Vielleicht hatte diese Vorgehensweise also auch einen gewissen Pragmatismus zur Folge. In diesem besonderen Kontext des Finstral Studio Friedberg ist der Ausstellungsraum sehr groß und die Fotografien von Stefano brauchten eine räumliche Intervention, die sie von den Wänden des Raumes trennte, wie wir es zuvor mit der Lösung des Paravents getan hatten. Gleichzeitig wollten wir weiter untersuchen, wie diese Konstellation von Wandrahmen-Figuren aus Finstral-Aluminiumprofilen autonomer werden könnte und nicht mehr nur ein Möbel, sondern ein mehrdeutiges Element zwischen Möbel, Fenster und Wand werden könnte. Deshalb, glaube ich, haben wir diesen Auftrag letztendlich angenommen. Denn es war nicht nur ein Auftrag, sondern eine Herausforderung. Ich war fasziniert davon, dass die Bilder, die er von einem Unternehmen wie Finstral gemacht hat, so sehr eine Dekonstruktion dieses Unternehmens im wahrsten Sinn des Wortes zeigen. Auf den Fotos kann man die Herstellung der Profile sehen, die Art und Weise, wie sie zusammengesetzt werden, aber nicht das eigentliche Produkt.Stefano Graziani PWF_01_TommasoMolaMeregalli (c) Finstral CollectionFotos: Finstral Collection 

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