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October 10, 2022

all we ever wanted was everything – Jasmine Deporta in der Galerie Prisma

Elisa Barison

Am 9. November 1989 fällt die Berliner Mauer. Zwei Tage später erblickt Jasmine Deporta das Licht der Welt. Die Zeit der großen Ideologien liegt buchstäblich in Trümmern und in der Luft verbreitet sich immer mehr die Frage nach dem (wahren) Sinn des Lebens. 

Jasmine Deporta wächst in Villnöss mit Blick auf die Geisler auf. Die Welt scheint hier wirklich noch in Ordnung zu sein und hat teilweise sogar Postkartencharakter. Doch auch Jasmine ist Teil einer Generation, die den Lebensstil der vorherigen beginnt zu hinterfragen und gleichzeitig von Neuem und Fernem träumt. Millennials schmunzeln an dieser Stelle und denken: it’s a mood! Genau dieser Satz fasst Sehnsucht, die aktuelle Einzelausstellung von Jasmine Deporta beim Südtiroler Künstlerbund in der Galerie Prisma in Bozen, zusammen. Die Künstlerin präsentiert hier die Früchte ihrer dreimonatigen Residenz in der Pariser Cité des Arts 2021. Eigentlich. In Wirklichkeit lässt sich Jasmines Leben und ihre Arbeit jedoch nicht so einfach in drei Monate einteilen. JasmineDeporta_Sehnsucht-14Im hinteren Raum der Galerie läuft das 2-Kanal-Video all we ever wanted was everything von 2019. Es ist die erste Video-Arbeit der Künstlerin und entstand bereits vor dem Aufenthalt in Paris und während ihres Studiums in Lausanne. Im vorderen Raum sind viele kleine Fotos auf Modellkarton gedruckt und auf kleinen Holzklötzen am Boden zu einer wolkenartigen Form geordnet worden – die Installation heißt cloud. Daneben hängen etwa ein Dutzend Fotos auf Stoff gedruckt von der Decke und wirken aufgrund ihrer leichten Transparenz und der Motive wie ein Bühnenbild für einen verträumten Indie-Film. Ich sage Jasmine, dass ich ihre Arbeit und Ästhetik immer wieder mit jener von Sofia Coppola in Verbindung bringe, sie freut sich darüber. Gleichzeitig sind wir uns beide einig, dass die vielen Pastellfarben und verspielten Motive ihrer älteren Werke mit der Zeit dunkleren Farbnuancen und existenzielleren Fragen gewichen sind. Damals ging es wahrscheinlich viel um Jugend und Träume und Sorglosigkeit, meint die Künstlerin. Die Motive heute und in dieser Ausstellung sind keineswegs düster oder Vorboten einer Apokalypse, doch sind sie irgendwie zwischen diesen beiden moods einzuordnen.JasmineDeporta_Sehnsucht-12Jasmine bemüht sich stets darum, den Alles-wird-gut-Gedanken, den wohl vor allem wir Südtiroler Millennials seit Kindestagen hören müssen, aufrechtzuerhalten (des geat olls). Gleichzeitig lebt sie nicht von der Welt abgeschottet und ist genauso wie wir alle verunsichert, verwirrt und oft auch überfordert durch ALLES, was auf der Welt und um sie herum passiert. Die Fotografie hilft ihr dabei, zwischen diesen beiden Welten zu navigieren. Es falle ihr leichter ihren Gemütszustand und alle Gedanken in diesem Medium auszudrücken, sie zu übersetzen, als in Worte zu fassen. Jasmine spricht sogar von einer konkreten und einer abstrakten Seite ihrer selbst. Dazwischen liegen die Gefühle und diese sind für die Künstlerin weder gut noch schlecht, sie sind einfach da und gleichzeitig auch immer in Bewegung. Sehnsucht©JasmineDeporta_05

Sehnsucht hat sie deshalb als Titel gewählt, weil der Ausdruck all das eben besprochene irgendwie zusammenfasst. Sie spricht von Caspar David Friedrich und von der Melancholie, der Hoffnung und der Unsicherheit, welche die deutsche Romantik in einem einzigen Werk zu vermitteln vermag. Dieser Limbo, irgendwo zwischen gut und schlecht, traurig und verträumt, ist DIE Laune der nebulösen Künstlerin (und ihrer Generation). Dieses Attribut hat sie sich selbst gegeben und führt es darauf zurück, dass sie im November geboren ist. Was es auch sein mag, Jasmine vermittelt mit ihren Arbeiten moods, die persönlicher nicht sein könnten und dennoch den ganz großen Fragen hinterher jagen, die uns alle beschäftigen. Der Ausdruck mood ist hier wirklich nicht nur auf seine Übersetzung in Stimmung oder Laune zu reduzieren, sondern meint das vor allem auf Social Media verbreitete Phänomen, jemandem zu zeigen, dass er*sie verstanden würde, dass man das Gefühl kenne, es wird relatable. Dieser Austausch zwischen zwei oder mehreren Menschen erfolgt auf emotionaler Basis und wird daher schnell universell. Genauso funktionieren auch die Arbeiten von Jasmine Deporta. JasmineDeporta_Sehnsucht-4Der emotionale Bezug, den Besucher*innen mit den Fotos und dem Video herstellen können, ist nicht zuletzt auf die Authentizität der Arbeiten zurückzuführen. Jasmine spricht von interrelational performances um ihre Aufnahmen von Personen, meistens Frauen, zu beschreiben. Es geht um die bewusste Absicht sich zu treffen und gemeinsam auszuloten, wie der Körper bzw. die Köper, auch im Sinne von Objekten, im Raum eingesetzt werden können. Die Fotografin und ihr Modell treten also in eine Beziehung miteinander und ein Bruchteil dieser Begegnung wird durch eine Momentaufnahme festgehalten. Ebenso Momentaufnahmen sind jene Bilder von Jasmine, wo Landschaften, Umgebungen oder natürliche Motive zu sehen sind. In dem Fall, spricht Jasmine von einer Art Tagebuch. Die Aufnahmen entstehen spontan, in dem Moment, in dem die Künstlerin das abzulichtende Motiv entdeckt, sei es ein Wald oder ein Wolkenhimmel.

Jasmine selbst hatte mit der Eröffnung dieser Ausstellung irgendwie das Gefühl, als wäre ein Jahr (mood: eine Ära) zu Ende gegangen. Gleichzeitig, wird sie die ganzen gedachten Gedanken und gefühlten Gefühle nicht abrupt loslassen, sondern weiterhin mit ihnen wachsen und sich fortbewegen. Die Ausstellung läuft noch bis 22. Oktober 2022, ein Besuch lohnt sich!

Fotos: (c) Jasmine Deporta

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