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October 5, 2022

Classics with a Twist – Nolli Vintage in Innsbruck

Susanne Barta

Gleich hinter (oder vor) der Innsbrucker Triumphpforte gibt’s seit zweieinhalb Jahren ein Geschäft, das meiner Meinung nach zu den besten gehört, was Innsbruck zu bieten hat. Nicht nur vom Modeangebot, sondern auch von der Atmosphäre und der Gestaltung. Coole Vintage-Möbel, schöne Lampen, gemütliche Sitzgelegenheiten, sehr schöne Design-Details, freundliche Vibes und ein vielfältiges Angebot an ausgesuchter Vintage-Mode. Nolli ist ein Geschäft, das mit viel Liebe renoviert und eingerichtet wurde, das atmet und lebt und keinen Anspruch auf glatte Perfektion hat. Denn ähnlich dem, was die ständig wachsende Modekette Maximilian in Südtirol versucht – einen hochpreisigen, dennoch ästhetisch belanglosen und in seiner Wirkung ziemlich provinziellen Geschmack an die Leute zu bringen – macht Einwaller seit vielen, vielen Jahren sehr erfolgreich in Innsbruck. In einer so geprägten Stadt mit urban kuratierter Vintage-Mode aufzuwarten, ist gar nicht so einfach und braucht einiges an Mut, Experimentierfreude und vor allem Durchhaltevermögen.  Nolli Vintage 2 (c) nolli vintageAll das bringt Iris Montagnolli mit. Im Februar 2020, zwei Wochen vor dem ersten Lockdown, hat sie Nolli eröffnet. Damals noch gemeinsam mit einer Kollegin. Der Anfang war hart. Aufsperren, zusperren, aufsperren, zusperren … Die Kollegin ist dann auch abgesprungen. Heute führt Iris ihr Geschäft alleine, mit der tatkräftigen Unterstützung von Daniel Matt. Beide haben einen soliden Fashion-Hintergrund, Daniel besteht jedoch darauf, als Praktikant bezeichnet zu werden.

Iris ist ausgebildete Dekorateurin und Einzelhandelskauffrau und arbeitete viele Jahre in hochwertigen Herrenmodegeschäften. Dort habe sie sehr viel gelernt über Materialien und Produktionsprozesse, erzählt sie. Sie sei zu den Firmen gefahren, um zu sehen, wie die Ware hergestellt werde. „Dieser direkte Kontakt mit den Produkten hat mich geprägt“, sagt sie. Aber die Industrie habe sich verändert, die Produktion auch hochpreisiger Mode Schritt für Schritt in Billigländer verlagert. „Das hat mir nicht mehr gefallen“, betont sie. Nach einer Umschulung zur Grafikerin ging Iris zunächst nach Wien, nebenbei kaufte sie Secondhand-Kleidung und -Möbel und verkaufte sie an diverse Läden weiter.

Daniel studierte Modedesign und Styling, war ebenso länger in Wien, nach seiner Rückkehr gründete er Resort, den ersten Concept Store in Innsbruck. Auch Iris hat für Resort gearbeitet. Heute sind die beiden mit Leidenschaft dabei, Vintage-Mode in Innsbruck zu etablieren. Nolli Vintage 4+5 (c) nolli vintageMir ist Nolli zwischen den diversen Lockdowns beim Vorübergehen aufgefallen. Als ich endlich die Zeit fand, dort zu stöbern, bin ich auch gleich fündig geworden. Den lässig-eleganten schwarzen Blazer ziehe ich vor allem im Herbst und im Frühling an, dazu kam vor einiger Zeit noch eine wirklich gute Hose im Männerschnitt. Ehrlich gesagt könnte ich jedes Mal gefühlt mit einem ganzen Sack an Kleidern herauskommen.

Der großzügige Geschäftsraum ist gemütlich wie ein Wohnzimmer. Bei einem Prosecco, in tiefen Vintage-Stühlen sitzend, plauderten wir über Mode, Vintage, persönlichen Ausdruck und die Modeindustrie.

Iris, wie kommt euer Vintage-Stil an in Innsbruck?

Am Anfang kam fast nur junges Publikum. Für sie ist Vintage und Secondhand viel selbstverständlicher. Ich möchte aber, dass Nolli für viele zugänglich ist. Daher kaufe ich gerne klassische Teile ein und achte sehr auf Qualität. Bei Nolli findet man Teile, die zeitlos sind, an denen man lange Zeit Freude haben kann. 

Hat die Pandemie unser Konsumverhalten verändert?

Ich finde schon. Die Leute hatten mehr Zeit und haben begonnen, bewusster einzukaufen. Es wird auch mehr aussortiert, weil viele gesehen haben, dass sie gar nicht so viel brauchen. Das Bewusstsein wächst, dass man auch etwas Gebrauchtes, gut Erhaltenes kaufen kann, dass nicht alles neu sein muss. Es wird ja so viel weggeworfen! Das ist ein großes Problem. Aber über die Praktiken der Modeindustrie wird in letzter Zeit häufig berichtet, man erfährt und sieht, was Fast Fashion alles anrichtet, und die Zahl der Leute, die etwas anders machen möchte, wächst. Viele Kund*innen fragen nach bei uns. Da ändert sich also was.Nolli Vintage 6+7 (c) nolli vintageSecondhand und Vintage sind aber immer noch eine Nische?

Vielleicht kurz zum Unterschied: wir sprechen von Vintage, wenn die Stücke + – älter als 20 Jahre sind, also bereits einen Wert haben. Das Thema Vintage, Secondhand wird breiter, beobachte ich. Meist funktioniert es besser, wenn Leute zum Beispiel im Urlaub in einer großen Stadt tolle Stores entdeckt haben und dann auch zuhause danach suchen. Viele Innsbrucker*innen möchten nach wie vor erstmal schauen. Aber es wird besser und deswegen mache ich auch weiter.

Wie kleidest du dich?

Alle Teile, die ich trage sind aus dem Laden. Ich probiere sehr viel aus. Gerne kaufe ich alte Mäntel ein und Stücke von früher aus Leder, wahrscheinlich, weil ich das selbst so gerne trage. 

Du nimmst ja die Kleidung nicht in Kommission, sondern kaufst an …

Genau, denn so kann ich den Preis selbst gestalten. Viele Leute bringen uns Sachen. Leider auch viele Stücke, die qualitativ nicht so sind, dass ich sie weitergeben möchte. Das muss man den Leuten dann erstmal erklären, warum man etwas nicht nimmt, zum Beispiel weil es schon zu abgetragen ist oder die Qualität nicht stimmt. Auch die Preisvorstellungen sind manchmal nicht realistisch. Bei Nolli findet man in erster Linie Vintage, aber auch neuere Klassiker in guter Qualität. Fast Fashion ist ja heute so gemacht, dass die Teile nicht lange leben und das nehme ich nicht an. Bei der Auswahl schaue ich auch, wo etwas produziert wurde. Aber vor allem gehe ich nach Gespür. Am liebsten mag ich Naturmaterialien, aber auch Teile in Polyester findet man bei uns, weil es ab einer bestimmten Zeit eben auch sehr viel verwendet wurde. Dani (Daniel) bringt sich bei der Auswahl stark ein. Nolli Vintage 8+9 (c) nolli vintageHier schaltet sich Daniel ein, der bis dahin Kund*innen bedient hat. Auf meine Frage, nach welchen Kriterien die beiden auswählen und ob es so etwas wie einen Stil gibt, der sich durchzieht, meint er: 

Einen bestimmten Stil verfolgen wir nicht, wir verkaufen das, was uns gefällt. Aber es geht immer um ein Augenzwinkern. Das kann man am besten mit Classics with a Twist beschreiben. Wir sind kein Design-Outlet. Ein gesundes Maß an Humor, Klassiker mit Streetwear zu verbinden, einen urbanen Look zu kreieren, das ist unser Ansatz. Einen Mix aus unterschiedlichen Stilen für jedes Alter und für Mann und Frau. Das kann zum Beispiel eine klassische Burberry Jacke zur Jogginghose sein oder eine Adidas-Jacke zum Lederrock. Man merkt schon, dass die meisten jungen Leuten hier Jus, Wirtschaft oder Medizin studieren und es keine Kunsthochschule gibt. Kleidungsstücke werden höchstens kombiniert, selber Hand anlegen und es so zu seinem Eigenen zu machen, tut kaum jemand. Mit besonderen Stücken zu spielen, sie eigenständig zu stylen, das ist in Innsbruck noch ganz am Anfang. 

Daniel, gehört Vintage für dich zu einem zeitgemäßen modischen Ausdruck dazu?

Die Frage ist schon fast obsolet, wenn man auf diesem Gebiet arbeitet. Da schließt sich aber auch der Kreis zum Thema Klassiker. Wenn ein Stück ein Klassiker ist, dann ist es zeitlos und bleibt auch in allen Zerfallserscheinungen und Rekombinationsmöglichkeiten ein Klassiker. Alle propagieren ja heute Nachhaltigkeit oder versuchen es zumindest, aber mehr Nachhaltigkeit als Vintage geht nicht.Nolli Vintage 10+11 (c) nolli vintageNach wie vor werden schier endlos neue Stücke produziert, folgt Kollektion auf Kollektion …

Daniel: Lifestyle ist immer auch ein Transporteur für gesellschaftlich relevante Themen. Die Early Adapter wollen sich von der Masse abheben, in der Folge bringen sie dann auch Themen weiter – ob das um die 2000er Jahre die Lohas waren mit ihrem Lifestyle for Health and Sustainability oder Hollywoodgrößen wie Leonardo Di Caprio, der mit Hybridautos gekommen ist und begonnen hat entsprechende Projekte zu finanzieren, oder Julia Roberts, die sich nur mehr mit Hauschka schminken ließ. Diese Imagemacher kommen nicht aus der ursprünglichen grün-alternativen Jute- statt Plastik-Szene. Sie sprechen ein großes Publikum an und das ist gut so, denn der überwiegende Teil der Gesellschaft braucht Vorbilder. Das Thema Nachhaltigkeit hat sich also angekündigt und ist jetzt da. Viele große Unternehmen haben die Zeichen der Zeit verstanden und steigen ein. Wissen aber noch nicht genau, wie wirklich damit umgehen. Wir machen klein und fein und arbeiten daran ohne den Humor zu verlieren. Wir probieren viel aus und verknüpfen Vintage mit einer Message. 

Wie gesagt, ich habe mir bei Nolli eine Hose und ein Sakko gekauft. Hier die Teile in Action: die Hose auf der Ecotex in Brixen mit dem neu gestalteten Zebra-Heft und das Sakko in München mit Fashion-Journalistin Gerlind Hector bei der Pureviu-Präsentation.Nolli Vintage 12+13 (c) susanne bartaNolli Vintage findet ihr in Innsbruck in der Leopoldstraße 2, die Öffnungszeiten sind Dienstag bis Freitag von 12 bis 18 Uhr. Neben ausgesuchter Kleidung gibt’s auch tolle Accessoires: Schuhe, Taschen, Brillen, Füllfedern, Geldtaschen, Polster, Möbelstücke. Aber ihr müsst direkt ins Geschäft gehen, denn Website hat Nolli keine, auch kein Instagram und Facebook. „Nolli ist die Spielwiese, die uns Freude macht, ein bisschen so wie früher, ohne Expansionsgedanken“, sagen Iris und Daniel. Schön, dass es das so noch gibt. 

Fotos: (1–11) © Nolli Vintage; (12, 13) © Susanne Barta

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