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September 29, 2022

Aufbruch aus dem Untergrund: Underground Birds auf der VBB-Bühne

Kunigunde Weissenegger

Antwort 3: Von Anfang bis Ende kombiniert das Stück auf fabelhafte Weise reale und imaginäre Geschichten. Teils erzählt es auch meine eigenen, wirklichen Lebenserfahrungen und die einiger Freund*innen sowie die Herausforderungen, denen wir uns stellen mussten und müssen. Gott sei Dank habe ich es geschafft und bin wenigstens vorerst einmal sicher vor weiteren lebensbedrohlichen Dingen. Aber das Leben vieler anderer Menschen ist noch immer in großer Gefahr. 

Frage 3: Wo endet das Theaterspiel (the play), wo beginnt die Realität?

Antwort 2: Ich glaube, das Hauptthema dieses Stücks ist es, denen eine Stimme zu geben, die im Geschichtsverlauf schreckliche Unterdrückung erlebt haben oder immer noch erleben. Wir erzählen Geschichten mit historischem Hintergrund aus Europa und Afghanistan und fügen aktuelle Fakten hinzu, die sich so zugetragen haben.

Ja, mein Leben ist voll von Herausforderungen und Schwierigkeiten, sowohl jetzt als auch in der Vergangenheit. Aber das geht nicht nur mir so. Fast alle afghanischen Frauen, die in Afghanistan gelebt haben oder noch leben, haben dies alles irgendwann in ihrem Leben erlebt. Wir, die Frauen mit einer Leidenschaft für Kunst und künstlerische Bereiche, waren in unserem Alltag ständig bedroht und gefährdet. Von Kindheit an hat uns eine dominant männliche Gesellschaft alle unsere Grundrechte genommen. Sogar unsere eigenen Familien waren dagegen, dass wir unsere Träume erfüllen. Ich persönlich wollte immer dagegen ankämpfen und der einzige Weg bestand für mich darin, meiner Leidenschaft zu folgen und weltweit Bewusstsein für die schrecklichen Zustände der afghanischen Frauen zu schaffen und aufzuzeigen, wie sie ständig ihrer Grundrechte beraubt werden. Ich wollte, dass die ganze Welt weiß, was wir jeden Tag immer wieder durchmachen. Damit wir Unterstützung bekommen und es künftige Generationen besser haben werden. Wir wollen nicht, dass künftige Generationen das durchmachen müssen, was wir durchgemacht haben. Wir arbeiten hart daran, dem ein Ende zu setzen.

Alle Stimmen sollen gehört werden. Jahrelang wurden die Menschen unterdrückt und haben viele Wege beschritten, um dies zu überwinden. Einige Gruppen sind geblieben und kämpfen derzeit unter schwierigsten Bedingungen gegen internationale Terroristen, den so genannten „Taliban“, während andere sich entschieden haben zu fliehen, um in einem anderen Land ihren Ambitionen und Leidenschaften zu folgen und sich das Leben aufzubauen, das sie sich immer gewünscht haben. Die Stimmen all jener, die auf dem Schlachtfeld umgekommen sind, aber auch jener, die auf dem Weg in ein anderes Land ertrunken oder gestorben sind, sollen nicht verstummen und verloren gehen, sondern von der Welt gehört werden. 

Frage 2: Was will das Stück, was ist deiner Meinung nach die Hauptbotschaft?

Antwort 1: Es bedeutet mir sehr viel. Neben mir gibt es viele wunderbare, erfahrene und engagierte Künstler*innen und Menschen aus der ganzen Welt, die sich seit Monaten zusammengeschlossen haben, um dieses Projekt Wirklichkeit werden zu lassen. Ich fühle mich geehrt und bin stolz darauf, ein Teil davon zu sein. Es war die größte Chance meines Lebens, an einem Projekt mitzuwirken, bei dem wir alle zusammenarbeiten, um den Stimmen von Menschen, die brutal unterdrückt werden, Gehör zu verschaffen. Es war mir eine Ehre, mit dieser wunderbaren Gruppe von Menschen zu arbeiten und sie kennenzulernen. Ich bin sehr aufgeregt und dankbar, dass ich dazugehören darf. 

Frage 1: Was bedeutet es dir, an dieser Theaterproduktion teilzunehmen … du hast im Moment wahrscheinlich auch andere Dinge im Kopf …?underground birds (c) Luca Guadagnini VBBFariba Baqeri ist Schauspielerin und Regisseurin aus Herat im Westen Afghanistans. Theater nutzt sie als Plattform, um sozialen Wandel und Entwicklung voranzutreiben, im Untergrund lebende Mädchen und Frauen zu bestärken und die Bedeutung gesellschaftlicher Teilhabe von Frauen zu unterstreichen.

Als eine von fünf Frauen einer Aktivistinnengruppe, die bei „Underground Birds“ mitwirken, ist sie die erste, die in Deutschland angekommen ist. Nach der Machtübernahme der Taliban ist Fariba Baqeri nach Teheran und Pakistan geflohen. Seit 8. September 2022 weilt sie in Deutschland.

Wenn alles gut geht, kommt „Underground Birds“, koproduziert von den Vereinigten Bühnen Bozen, der KULA Compagnie, dem Hålogaland Teater Tromsø und dem Simorgh Theater Herat, am 1. Oktober 2022 auf die Studiobühne im Stadttheater Bozen zur Uraufführung. (Weitere Termine: 2., 6., 7., 8. und 9. Oktober)

Über 20 Künstler*innen aus Afghanistan, Israel, Deutschland, Norwegen, Frankreich und Italien begeben sich nach einer Idee von Robert Schuster auf eine kollektive, gefährliche, künstlerische Reise und entwickeln gemeinsam ein Stück, das eine Geschichte von Liebe, Wahrheit, Krieg und Rettung erzählt. Der Beginn mit dem „Evil May Day“ von 1517, einem fremdenfeindlichen Aufstand von Lehrlingen und Gesellen gegen in London lebende Fremde, entwickelt und entfaltet sich ins Simorgh Theater nach Herat in Afghanistan Herat in Afghanistan … stellt Räume und Zeiten in Frageunderground birds (c) Luca Guadagnini VBB BOZEN„Vögel unter der Erde lassen sich nur als begraben denken. Aber wenn sie über ein Jahr nicht aufgeben und trotz allem ihre Schwingen ausbreiten, dann bringen sie den Boden zum Schwingen und man wartet auf ihr Erscheinen.“ – Regisseur Robert Schuster

Antwort 3: Ich verfolge eigentlich das Konzept der ko-fabulierenden Arbeit der Zuschauenden. Darunter verstehe ich, dass erst die aktive Arbeit der Anwesenden zum Spiel beiträgt. Für einen kurzen Moment, denken sie vielleicht, dass hier etwas falsch ist. Oder sie denken, wenn das hier steht, dann wird es vielleicht mit Absicht hier stehen. Und dann fragen sie sich vielleicht, was meint das? Und dann fangen sie an, aktiv zu werden. Und sie lösen dieses kleine simple Rätsel. Im Theater passiert das in jeder Sekunde. Und richtig spannend wird es, wenn sie während dieser Arbeit, denn es ist dann auch Arbeit, feststellen, dass der eigentliche Rohstoff des Nachdenkens ihr Nachdenken, ihre Vorurteile, unsere in uns ruhenden Interpretationsmuster sind, die ins Tanzen geraten. Also, so betrachtet, sind unsere Zuschauer*innen, nachdem wir mehrere Monate sehr aktiv waren, im Augenblick der Vorstellung die Aktiveren.

Frage 3: Durch welche Mittel wird die Distanz Bühne=Geschehen=aktiv und Publikum=Betrachtende=passiv verringert?

Antwort 2: Im Fall von „Underground Birds“ handelt es sich im wahrsten Sinn um einen internationalen Writers Room. Ich habe die beteiligten Künstler*innen gefragt, welche Geschichten sie bewegen, welche Held*innen sie vor Augen haben. Und so brachten auf zwei Kontinenten Künstler*innen ein, was sie bewegt. Und daraus habe ich einen Plotvorschlag entwickelt, den ich dann wieder in das Ensemble gegeben habe, und die Beteiligten haben angefangen zu improvisieren und zu schreiben. Unterschiedliche Menschen haben sehr unterschiedliche Texte geschrieben. Und in den schönsten Momenten wurden, durch die notwendigen Übersetzungsleitungen, die Texte wieder und wieder überschrieben, vertieft und geteilt. Also ich habe nicht das Gefühl, dass eine Geschichte von mir erzählt wird, sondern von uns gefunden wurde.

Frage 2: Wie gelingt es – als deutscher Autor und Regisseur – Geschichten anderer nicht nur in deren Namen erzählen?

Antwort 1: Ich habe mittlerweile recht viele Bezüge zu Afghanistan, obwohl ich leider noch nie dort sein konnte. 2014 haben die Taliban einen Selbstmordattentäter in die Premiere einer Inszenierung des AZDAR-Theaters in Kabul geschickt. Und diese Premiere mit dem Titel „Sielence After the Explosion“ wurde durch eine schreckliche Explosion beendet. Damals wurde ich über verschiedene Ecken kontaktiert mit der Frage, ob ich dem Regisseur, der damals untertauchen musste, weil die Taliban ihn suchten, helfen könnte. Das war der Beginn einer sich immer weiter vertiefenden Bekanntschaft mit Menschen aus einem Land, das ich nur aus ihren Erzählungen kenne. Die KULA Compagnie hat dann im Jahr 2016 mit den Schauspielern des AZDAR-Theaters ein Projekt in Europa gemacht. Und im letzten Jahr, als den Künstler in Afghanistan sehr früh klar wurde, dass die Taliban zurückkehren, wurde ich von vielen kontaktiert, ob ich ihnen noch helfen könnte. Und so bin ich eigentlich seit Juli letzten Jahres wieder sehr intensiv mit diesem Land verbunden.

Frage 1: Welchen Bezug hast du zu Afghanistan?

Es gibt sie. Verbannt, aber in Bewegung, ungebändigt, rastlos, angespannt sind sie. Im Untergrund leben sie, sterben nie … suchen die Freiheit, finden sie …

Fotos: © VBB/Luca Guadagnini

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