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September 28, 2022

Die Freiheitsliebende – Designerin Violeta Nevenova

Susanne Barta

Violeta lebt seit 13 Jahren in Bozen. Aufgewachsen ist sie in Sofia, Bulgarien. Dort hat sie auch die Modeakademie besucht, als Stylistin gearbeitet und ein Geschäft mit ihren eigenen Entwürfen eröffnet. Wir treffen uns in ihrem kleinen Studio in der Dantestraße in Bozen. Das sei ihr Reich, sagt sie, hier arbeite sie oft bis spät abends. Immer begleitet von Musik – von Klassik bis Heavy Metal möge sie alles. Mode und Musik, das ist für Violeta untrennbar verbunden.

Auch in einer Textilfabrik hat sie gearbeitet. Das hieß in den 1990er Jahren in Bulgarien vor allem schlechte Arbeitsbedingungen: Viele Arbeiter*innen waren nicht versichert, Überstunden wurden nicht bezahlt, die Räume waren völlig überhitzt. Aber sie habe viel gelernt. Ob es heute wirklich soviel besser sei, frage ich? Einiges habe sich schon verändert, meint Violeta.  violeta nevenova( c) susanne bartaVioleta entwirft und näht Einzelstücke. Ihre Kleider sind immer etwas Besonderes, haben etwas Skulpturales an sich. Sie arbeitet vor allem mit Reststoffen, überall, wo sie ist, sucht sie nach entsprechenden Materialien. Violeta macht, was ihr gefällt. Unabhängig von Trends und Vorgaben aus der Modewelt. Freiheit sei ihr wichtiger als der große Erfolg, sagt sie. Ihre Kleider sollen Spaß machen, das Leben sei eh schon schwer genug. 

Violeta, wie würdest du deinen Designstil beschreiben?

Designstil habe ich eigentlich keinen. Ich gehe immer vom Material aus, was es mir erlaubt, was es mir ermöglicht. Darauf aufbauend entwickle ich das jeweilige Stück. Konzepte, Stile interessieren mich nicht, ich möchte frei sein in dem, was ich mache. Ich verlasse mich da ganz auf mein Gespür, dass mir die Materialien alles sagen, was wichtig ist. Auch Schnittmuster verwende ich keine, das würde mich zu sehr einschränken. Ich entwerfe freihändig, alles ist von Anfang an in Bewegung. Vielleicht hat mir auch meine Schulausbildung am Lyzeum für Malerei in Sofia geholfen, ein Gefühl für Körper zu entwickeln. violeta nevenova ( c) susanne barta 4+5Was inspiriert dich?

Ich erzähle mit meiner Kleidung das, was ich sehe, was mir begegnet in meinem Leben. Ich bin ein großer Kino-Fan, reise gerne in andere Städte, suche nach Orten, die nicht touristisch sind, um das, was eine Stadt, eine Kultur ausmacht, zu spüren. Ich beobachte, gehe gerne in Museen, lese viel und liebe die Natur. Meine große Inspiration aber – nach den Stoffen – ist die Musik. Ich würde sogar so weit gehen zu sagen, meine Kleidungsstücke basieren auf Musik. Die Musik ist auch der einzige Kontakt, den ich mit der Außenwelt habe, wenn ich in meinem Studio arbeite. 

Mode ist die Sprache, in der du dich ausdrückst. Du richtest dich dabei aber, wenn ich richtig verstanden habe, nicht nach dem, was gerade gefragt ist?

Ich versuche Kleider zu machen, die bequem sind. Für Mode soll man nicht leiden müssen. Und ich möchte Formen entwickeln, die mich interessieren. Meine Entwürfe sind sehr tragbar, für unterschiedliche Größen, ich entwickle sie wie Skulpturen. Ich mache keine Kleider für einen Modemarkt, Trends interessieren mich nicht. Was mir gefällt, gefällt mir. Ich will frei sein. Das hat sicher damit zu tun, dass ich in einem ehemals kommunistischen Land aufgewachsen bin, wo es für alles Regeln gab. Das hat mich sehr gestört in meinem eigenen Ausdruck. Ich mag unterschiedliche Körper, es gibt für mich keine hässlichen Körper, es gibt nur schlecht gemachte Kleider. violeta nevenova (c) susanne barta 6+7Du arbeitest vor allem mit Stoffen, die irgendwann mal übriggeblieben sind. Stoffe, die oft vor vielen Jahren produziert wurden …

Dafür gibt es einen eigenen Markt. Ich verwende auch viele Materialien, die ich geschenkt bekomme, von meiner Familie oder von Freunden. Sie wissen, dass ich Materialien von früher sehr schätze. Aber ich verwende auch aktuelle technische Materialien. Ich mixe gerne. Meine Kund*innen tragen die Kleidungsstücke meist sehr lange. Nicht nur stimmt die Qualität der Materialien, die Schnitte wachsen mit der Zeit mit. Das ist für mich auch ein Aspekt von Nachhaltigkeit.
Ich habe zum Beispiel mal aus bunten Überwürfen, die ich in einer Fabrik in Sofia gefunden habe, Mäntel gemacht. Oder Leinen gefunden, das noch mit alten Maschinen hergestellt wird. Das ist ein großer Unterschied in der Qualität. Meist kaufe ich nur drei Meter von einem Stoff, selten mehr. Bis zum letzten Moment weiß ich nicht genau, wie ein Stück am Ende aussieht. Manche Kleider werden erst nach Jahren fertig, denn manchmal muss ich einfach warten, es hat keinen Sinn darauf zu beharren, dass das Kleid fertig wird. Dann lege ich es weg in eine Schublade und hole es irgendwann mal wieder heraus.violeta nevenova (c) susanne barta 8+9Gerade arbeite ich an Pullovern, die aus Resten, eigentlich ist es Abfall, aus der Seidenstoffproduktion entstehen. Aus diesen „Cimosse di Seta“ mache ich Pullover, die unglaublich warm und kuschelig sind. Eigentlich sind es Skulpturen. violeta_10 (c) susanne bartaWie stehst du zur Modeindustrie?

Ich stehe der Industrie in vielfacher Hinsicht sehr kritisch gegenüber. Massenproduktion heißt meist schlechte Passform, unbequeme Kleidungsstücke, schlecht gemachte Nähte und Säume und auch schlechte Arbeitsbedingungen. Nach dem zweiten Waschgang schaut das Stück oft schon aus wie ein Putzlappen. Auch stört mich, dass die Leute den Wert von Kleidung nicht mehr zu schätzen wissen. Alles muss schnell und billig sein. Kleidung ist so billig geworden, dass ständig etwas Neues gekauft wird. Aber das ist ein zu kurzer Schluss. Denn am Ende gibt man viel aus für sehr schlecht gemachte Ware. Früher hat man auf Kleidungsstücke gespart. Es war ein Opfer. Und wer Opfer bringt für ein Stück, das man wirklich will, geht ganz anders damit um, als mal schnell am Samstag so zum Spaß shoppen zu gehen. Du denkst vielleicht, das macht dich glücklich, aber das ist nicht so.violeta_11 (c) Kunstmuseum Liechtenstein:Letizia RagagliaDeine Stücke kosten natürlich mehr als massenhaft produzierte Ware von der Stange. Ist das ein Problem? 

In meinen Kleidern stecken sehr viel Arbeit und Zeit. Deswegen ist es auch nicht so einfach sie zu verkaufen. Aber die Leute, die meine Kleider kaufen, kommen alle wieder. Über viele Jahre. Das ist mir wichtig und das reicht mir auch. Ich habe nicht das Ziel reich zu werden, wenn ich mich dafür verbiegen muss. Selbstrespekt ist mir wichtig und den habe ich nicht, wenn ich in der Massenproduktion arbeite. Die Modewelt hat mich nie wirklich interessiert, ich lese auch keine Modemagazine. Mein Modestudium kam mehr durch Zufall zustande, eigentlich wollte ich Kunst studieren, mit Schwerpunkt Textilien. Aber das klappte nicht. Da dachte ich mir, „ok dann mache ich halt Mode, da geht es auch um Textilien“. Das war mein Glück, denn ich habe gemerkt, wie gut es mir gefällt, aus Textilien Formen zu entwickeln. Da habe ich gelernt, dass man sich ganz dem Material hingeben, es genau studieren muss, um daraus Volumen und Formen zu entwickeln. Ich möchte alles aus Materialien herausholen.violeta_12 (c) susanne bartaWie kleidest du dich?

Wichtig ist vor allem, dass ich mich gut fühle in dem, was ich trage. Ich habe einen kleinen Kleiderschrank und drin sind mehr Kleider als Hosen. Kleider sind für mich etwas Phantastisches, sie sind sehr weiblich und man muss nicht viel darüber nachdenken, wie man sie kombiniert und trägt. Mit einem Einzelstück ist man immer gut gekleidet. Sehr selten kaufe ich etwas Neues. Aber wenn, dann in der Männerabteilung. Ich liebe Männerkleidung, meist ist sie auch besser gemacht. Ältere Freundinnen schenken mir auch öfters mal Kleidung von früher, die trage ich sehr gerne. Aber natürlich mag ich auch Hosen. Ich mache auch gerne Hosen und wenn ich so sagen darf, meine Hosen sind sehr gut geschnitten. Freundinnen tragen sie oft noch nach 20 Jahren und geben sie auch nicht her, wenn sie nicht mehr passen.violeta_13 (c) letizia_ragagliaEin großer Fan von Violetas Kleidern ist die ehemalige Museion-Direktorin und jetzige Direktorin des Kunstmuseums Liechtenstein Letizia Ragaglia. Immer wieder sind mir ihre eigenwilligen und coolen Outfits bei Eröffnungen aufgefallen. Dass dahinter Violeta steckt, habe ich erst später erfahren.

Violetas Kleidungsstücke findet ihr bei Attico in der Silbergasse in Bozen oder auf Vereinbarung, am besten ihr meldet euch über Instagram bei ihr. Alle paar Wochen kann man ihre Entwürfe auch im Tattoo-Studio ihres Mannes sehen und erwerben. Die nächste Verkaufsveranstaltung findet am 2. und 3. Oktober 2022 von 14:00 bis 20:00 Uhr im Tattoo Workshop Roman Todorow in der Frontkämpferstraße/Via dei Combattanti 4a, 1. Stock in Bozen statt. violeta nevenova (c) susanne barta 14+15Mein Mann Urban hat sich von Violeta einen Anzug aus Leinen nähen lassen. Es ist sicher nicht das letzte Kleidungsstück, das er sich von ihr machen lässt. Auch ich habe mir einen Wickelrock aus Restleinen bei ihr gekauft und ihn den ganzen Sommer über mit viel Freude getragen. Nächsten Sommer wird er wieder rausgeholt. 

Also wenn ihr neugierig seid, schaut am 2. oder 3. Oktober vorbei bei Violeta.

Fotos: (1, 4, 5, 6, 7) © Violeta Nevenova; (2, 3, 8, 9, 10, 12, 14, 15) © Susanne Barta; (11, 13) Letizia Ragalia trägt ein Kleid von Violeta Nevenova © Kunstmuseum Liechtenstein/Letizia Ragaglia

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Comments

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There is one comment for this article.
  • Susanne Maria Barta · 

    Violeta hat mir einige Zeit nach unserem Interview zwei Teile geschenkt. Auf Social Media habe ich sie schon geposted, im Blog werden sie auch noch kommen. Schnitt ist phantastisch. Style ist phantastisch (in meinen Augen). Ich kann es nur wiederholen: Es lohnt sich wirklich nach toller Qualität und besonderen Stücken Ausschau zu halten.

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