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August 24, 2022

Good Clothes, Fair Pay – die Kampagne

Susanne Barta

Von seiner Arbeit leben zu können, ist ein mehr als berechtigtes Anliegen. Aber leider alles andere als selbstverständlich. Vor allem nicht in der Textilindustrie. Die Liberalisierung des Weltmarkts für Textilien und Bekleidung Anfang der 2000er Jahre hat bis heute fatale Auswirkungen für die Menschen, die in dieser Branche beschäftigt sind. Der rasante Strukturwandel der globalen Textil- und Bekleidungsindustrie in den letzten Jahrzehnten zog nicht nur massive Produktionsverlagerungen nach sich, in deren Verlauf Millionen Arbeitsplätze von den Industrieländern in die Entwicklungsländer abgewandert sind, sondern hat auch den sozialen Wettlauf nach unten befeuert – und das nicht nur in den Entwicklungsländern.Good Clothes Fair Pay 2 (c) fash_rev_meherashaw„Durch die GATT- und WTO-Politik der Marktöffnung, die an keine soziale Regulierung gekoppelt ist, sowie durch ihre Steuerung globaler Wertschöpfungsketten, können multinationale Importunternehmen dieser Branche ihre Marktanteile heute durch Kostensenkung und Verdrängung von Konkurrenten vergrößern. In einem liberalisierten Markt werden die Beschäftigten an unterschiedlichen Standorten noch leichter gegeneinander ausgespielt“, schreibt Ingeborg Wick in der Studie „Soziale Folgen des liberalisierten Weltmarkts für Textil und Bekleidung“ (Otto-Brenner-Stiftung) bereits 2009. 

Die Textilindustrie ist ein wichtiger Sektor der Weltwirtschaft und bietet Hunderten von Millionen Menschen auf der ganzen Welt Beschäftigung.
Die Arbeiter*innen in der Bekleidungsindustrie bekommen zumeist Mindestlöhne, die nur ein Drittel bis ein Viertel dessen sind, was sie und ihre Familien eigentlich brauchen, um über die Runden zu kommen. (Quelle: Clean Clothes Campaign: Tailored Wages 2019) Good Clothes Fair Pay 3+4 (c) fash_rev_hakro1969 + seylnfairtradeAls Mode-Konsument*innen wissen wir, dass das Tempo der Industrie in den letzten Jahren ständig zugenommen hat. Social Media spielen da eine wichtige Rolle. Fashion Giganten werfen zum Teil bereits täglich neue Teile auf den Markt, inspiriert von Styles auf Instagram und TikTok. Heute sprechen wir nicht mal mehr von Fast Fashion, sondern bereits von Ultra-Fast Fashion. Ein Kleid für 10 Euro? Ein T-Shirt für 3 Euro? Jederzeit verfügbar. Die damit einhergehenden sozialen und ökologischen Kosten werden in diese Preise aber leider nicht miteingerechnet.

Wie kann es gelingen, eine Industrie, die von billigen Arbeitskräften und schnelllebigem Konsumverhalten lebt, zu verändern? Es reicht nicht aus, besser einzukaufen und Kleidung länger im Kreislauf zu halten. Auch wenn jeder Schritt ein Schritt ist. Das Erleben von Selbstwirksamkeit, sagt die junge Klimawissenschaftlerin Viktoria Cologna, sei einer der springenden Punkte, wenn es um Verhaltensveränderungen geht. Also zu sehen, dass man mit dem, was man tut, einen Unterschied machen kann. Darum ist es so wichtig, sich zu engagieren. Denn gemeinsam können wir so viel mehr bewirken.
Das Gespräch, das ich mit Viktoria für meine Radiosendung „Wie geht Zukunft?“ geführt habe, findet ihr hier.Good Clothes Fair Pay 5 (c) fashion revolutionUnd da kommen wir auch schon zum Kern dieses Artikels. Zur Kampagne „Good Clothes, Fair Pay”, lanciert von Fashion Revolution und Fair Wear Foundation in Zusammenarbeit mit Partnern wie der Clean Clothes Campaign und Fair Trade. Good Clothes, Fair Pair ist eine Europäische Bürger*inneninitiative, jede und jeder kann hier etwas tun: die Kampagne unterstützen, Infos teilen und mit ihrer Unterschrift zeigen, dass es nicht egal ist, wie unsere Kleidung produziert wird. Einige wenige Länder haben bereits ein Lieferkettengesetz um hier gegenzusteuern, auch in Italien gibt es einen Gesetzesvorschlag. Mehr dazu hier.

Fashion Revolution Italia Coordinator Marina Spadafora: “Stiamo lanciando questo strumento di partecipazione civica per introdurre una legislazione sulla due diligence sui salari di sussistenza per le aziende che operano nell’UE con l’obiettivo finale di ridurre le disuguaglianze e ottenere un impatto sistemico sulla riduzione della povertà tra i lavoratori.”Good Clothes Fair Pay 6 (c) Marina SpadaforaIm März 2022 wurde die EU-Strategie für nachhaltige Textilien vorgestellt, eine neue Initiative im Rahmen des Green Deal der Europäischen Union. „Wenn die EU-Richtlinie in erster Linie auf Nachhaltigkeit im Bereich der Ressourcenschonung abzielt, dann sehe ich die neue Richtlinie kritisch“, sagt Gertrude Klaffenböck, Projektkoordinatorin bei Südwind in einem Gespräch auf Ö1. „Ohne die Verbesserung in den Bereichen Arbeitsrecht und Menschenrecht kann man nicht von Nachhaltigkeit sprechen. Und hier sehe ich noch große Lücken im Vorschlag der EU.“

Genau diese Lücke soll mit dieser Kampagne geschlossen werden. Good Clothes, Fair Pay fordert Rechtsvorschriften für existenzsichernde Löhne in der Bekleidungs-, Textil-, und Schuhbranche. Dazu braucht es 1 Million Unterschriften von EU-Bürger*innen, um auf eine Gesetzgebung hinzuarbeiten, die Unternehmen dazu verpflichtet, ihre Lieferketten auf existenzsichernde Löhne hin zu überprüfen, die Lücke zwischen tatsächlich gezahlten und existenzsichernden Löhnen aufzuzeigen und ihre diesbezüglichen Fortschritte öffentlich bekannt zu geben. Leider klappt das mit der Selbstverpflichtung der Unternehmen bisher nur sehr begrenzt. Deshalb braucht es Gesetze. Klar, es gibt Betriebe, die hier schon vorausgehen. Die Südtiroler Oberalp Gruppe zum Beispiel bekam 2021 bereits zum 5. Mal den Leader Status der Fair Wear Foundation zugesprochen.Seit Kampagnenstart am 19. Juli 2022 sind knapp über 20.000 Unterschriften europaweit eingegangen – bei 447 Millionen EU-Einwohner*innen. Das ist nicht viel. Ein Jahr haben wir Zeit diese Million zusammenzubekommen. Fashion Revolution Italia hat sich dazu verpflichtet 71.000 Unterschriften zu sammeln. Bei rund 60 Millionen Einwohner*innen sollte das klappen, oder? 

„In der Textilindustrie arbeiten weltweit rund 75 Millionen Menschen, 85 % davon sind Frauen, meist junge Frauen“, schreiben Kirsten Brodde & Alf Tobias in ihrem Buch „Einfach anziehend“. „Millionen Menschen werden ausgebeutet, auch wenn die Mindestlöhne gezahlt werden, lässt es sich meist vor Ort nicht davon menschenwürdig leben.“ Da stellt sich schon die Frage: Wer will so produzierte Kleidung tragen? Good Clothes Fair Pay 7+8 (c) fash_rev„Gute“ Kleidung zu tragen bedeutet, dass die Menschen, die sie herstellen, einen fairen Lohn für ihre Arbeit erhalten. Es sich leisten können in einer angemessenen Wohnung zu leben, sich gesund zu ernähren, zum Arzt zu gehen und ihre Kinder zur Schule zu schicken. Für die meisten von uns ist das selbstverständlich. Ein existenzsichernder Lohn ist kein Luxus, er ist ein grundlegendes Menschenrecht. Leider schaut die Realität anders aus. Während die Markenhersteller weiterhin riesige Gewinne machen, bekommen die Menschen, die unsere Kleidung herstellen, Hungerlöhne. Die Pandemie hat das noch verschärft. „Im Schnitt muss der Vorstandsvorsitzende eines der fünf führenden Unternehmen der Modebranche nur vier Tage arbeiten, um genauso viel zu verdienen wie eine Textilarbeiterin in ihrem ganzen Leben“, zitieren Kirsten Brodde und Alf Tobias Zahn hier Oxfam. Versteht das bitte nicht falsch, hier geht es nicht um Sozialneid, auch ist klar, dass sich das nicht direkt vergleichen lässt. Aber auch wenn der Vergleich hinkt, zeigt er eine grundlegende Verteilungsungerechtigkeit auf. Good Clothes Fair Pay 9 (c) Bicanski_PixnioKleidung ist heute mehr oder weniger zum Wegwerfartikel verkommen. Deshalb braucht es immer mehr davon und immer billiger. „Um einen echten, branchenweiten Wandel zu erreichen, müssen die Modeunternehmen zur Verantwortung gezogen werden“, sagt etwa GREENSTYLE Founderin Mirjam Smend, die die Kampagne in Deutschland unterstützt. Als weltgrößter Importeur von Kleidung und einer der größten Modemärkte – mit einem erwarteten Umsatz von über 260 Milliarden Euro im Jahr 2022 – könnte die EU gegen dieses unfaire und ausbeuterische Modell etwas tun.

Und ihr könnt mit eurer Unterschrift die Kampagne „Good Clothes, Fair Pay“ unterstützen und die EU dazu auffordern, gesetzliche Rahmenbedingungen zu schaffen. Seid ihr dabei?Good Clothes Fair Pay 10 (c) susanne barta

Fotos: (1, 10) © Susanne Barta; (2–5, 7, 8) © Fashion Revolution; (6) Marina Spadafora mit Fashion Revolution Co-Founder Orsola de Castro © Marina Spadafora; (9) © Bicanski/Pixnio.

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