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June 29, 2022
Eva Ritter: „Ich empfehle meinen Kund*innen weniger zu kaufen“
Susanne Barta
Vor zehn Jahren hat Eva Ritter das Bozner Traditionsgeschäft Rubatscher von ihrer Mutter übernommen. Und neu ausgerichtet. Seit fünf Generationen wird es von Mutter zu Tochter weitergegeben. Heute ist Rubatscher unter den Lauben DAS Wäschefachgeschäft der Stadt – und auch darüber hinaus. Hatte sich Evas Mutter noch vor allem auf Damenoberbekleidung konzentriert, spezialisierte sich Rubatscher unter Evas Führung im Laufe der Jahre auf Premium-Unter- und Intim-Wäsche. Ich habe nicht schlecht gestaunt, als Eva mir erzählte, dass sie 60 BH-Größen führe. Wie wichtig eine gute Fachberatung gerade bei Unterwäsche ist, habe ich selbst erlebt. Ich war da früher eher salopp, hab schnell was gekauft, wenn ich was brauchte. Auch die Qualität der Produkte war dann eher zufällig. Manches hat schon nach kurzer Zeit nicht mehr so richtig gepasst. Gute Beratung ist also auch nachhaltig. Weil die Qualität stimmt. Und die Größe. Und man die Sachen dann auch lange trägt. Eva, du und deine Mitarbeiter*innen nehmt euch viel Zeit für gute Beratung. Wird das in Zeiten von Fast Fashion überhaupt noch geschätzt?
Die Leute sind sehr dankbar, wir erfahren große Wertschätzung. Viele haben geradezu Angst davor, Unterwäsche zu kaufen. Da versuchen wir zu helfen, die Kund*innen sollen sich wohlfühlen. Um das Richtige zu finden, braucht es Zeit, nicht jede Marke passt für jede*n. Auch muss sich niemand bei uns finanziell verausgaben, wir nehmen Rücksicht auf das jeweilige Budget.
Nicht alle Fachgeschäfte überleben und können der Konkurrenz durch Ketten und den Online-Handel standhalten …
Wir führen zum Beispiel 60 BH-Größen, Ketten können das nicht anbieten, sie konzentrieren sich auf sechs Größen. Eine solche Auswahl findet man auch online nicht so leicht. Gerade beim BH geht es viel um die Konstruktion des Produkts. Er soll nicht drücken, das Gewebe darf nicht beeinträchtigt werden. Das wird vielfach unterschätzt. Die Materialien müssen hochwertig sein, keine schädlichen Färbemittel enthalten. Besonders bei dunklen Färbungen muss man aufpassen. Da gibt es große Qualitätsunterschiede! Die Firmen, die bei uns aufgenommen werden, müssen die entsprechenden Standards und Zertifikate nachweisen.
Wohin sich der Fachhandel entwickeln wird ist noch nicht so genau zu verstehen. Vielleicht sind wir in Zukunft mehr Showroom für Marken als Einzelhandel? Es wird sicher neue Konzepte geben. Auch wir führen bereits einige Firmen, die wir gut präsentieren und wenn der Kunde das Produkt möchte, beliefern sie uns just in time. Uns braucht es aber für die Beratung.Unterwäsche wird direkt auf der Haut getragen. Daher sind gute Materialien, die nicht voll mit Chemikalien sind, besonders wichtig …
Wir arbeiten viel mit Naturmaterialien – Baumwolle, Micromodal oder natürlicher Wolle. Auch gute Mikropolyamide sind nicht hautschädlich. Bei Naturmaterialien kommt es ganz auf die Qualität an, also wie die Rohstoffe gewonnen und die Produkte produziert werden. Ich schaue mir dazu auch die Reports der Firmen an. Ethik ist mir sehr wichtig, also wie und wo produziert wird, wie die Mitarbeiter*innen behandelt werden. Mit vielen Firmen gibt es bereits eine langjährige Zusammenarbeit. Die deutsche Wäschefirma mey zum Beispiel macht hier sehr viel. Überhaupt sind deutsche Firmen sehr ehrgeizig und setzen sich hohe Ziele im Bereich der Nachhaltigkeit und Transparenz. Über QR-Codes kann man dann auch die Lieferkette nachvollziehen.
Technische Materialien sind in Südtirol, überhaupt in Italien, weniger verbreitet. Die Kund*innen haben mehr Vertrauen zu Baumwolle. Aber wie gesagt, Baumwolle ist nicht gleich Baumwolle, sie kann handgepflückt sein, langstapelig, biologisch. Es ist wichtig, Kund*innen darüber zu informieren. Man muss ja auch den Preisunterschied erklären. Wieso kostet ein Leibchen bei einer Kette 4 Euro und bei uns 20? Wir sprechen hier von einem Premiumprodukt, es muss soviel kosten, wenn der Rohstoff gesund und hochwertig ist.Was hältst du von den vielen Materialinnovationen, mit denen Unternehmen versuchen Aufmerksamkeit zu erregen?
Führende Produzenten versuchen die Rohstoffe, die es gibt, nicht auszubeuten, weniger Wasser zu verwenden, deshalb weniger auf Baumwolle zu setzen, Materialien, die atmungsaktiv sind zu entwickeln, recycelte Materialien zu verwenden. Es ist nicht immer leicht zu verstehen, ob all diese Anstrengungen eine Augenauswischerei sind oder ob es wirklich etwas bringt. Oft ist es ja so: Auf der einen Seite spart man zum Beispiel Wasser, auf der anderen Seite ist eine andere Schandtat im Gange. Für viele Firmen ist es geradezu ein Must, immer wieder Neues zu entwickeln. Viele haben auch eigene Forschungsabteilungen und wollen die ersten sein bei einem neuen Material. Ich stehe diesen „innovativen“ Produkten eher skeptisch gegenüber. Auch recyceltes Material ist nicht interessant, denn um Materialien zu recyclen braucht es immer noch sehr viele Chemikalien. Das Beste ist, weniger zu kaufen, bewusster zu kaufen und auf langlebige Produkte zu setzen. Unternehmen haben so viele Möglichkeiten nachhaltiger zu arbeiten, indem sie zum Beispiel auf die Lieferketten achten und gute Lieferantenbeziehungen aufbauen.Fragen Kund*innen nach, in Bezug auf Nachhaltigkeit?
Bisher sind Kund*innen hier noch viel zu wenig achtsam, sie fragen kaum nach. Nur weil ein Produkt nachhaltig produziert wurde, kauft es niemand. Das ist bisher leider kein Verkaufsargument. Unsere Kund*innen gehen davon aus, dass wenn sie ein Premiumprodukt kaufen, es dann auch passt. Also rundherum passt, vom Rohstoff bis zur Firmenpolitik. In gewisser Hinsicht haben sie recht, aber natürlich ist das nicht immer so. Ich möchte hier unterscheiden zwischen Luxus- und Premiumprodukt. Beim Premiumprodukt zahlt man den realen Wert des Produkts, beim Luxusprodukt die Marke. Wir versuchen die Preise fair zu gestalten, aber unter einem bestimmten Preis kann man nicht anbieten. Wenn jemand billiger sucht, muss er woanders kaufen.
Auf eurer Website gibt es auch ausführliche Pflegeanleitungen …
Ich berate die Kund*innen immer auch dahingehend, wie die Stücke zu pflegen sind, motiviere sie, ihre Unterwäsche mit der Waschmaschine zu waschen, am besten mit dem Waschgang „delicato“. Und zwar besser öfter als weniger oft. Handwäsche ist meist schlecht getroffen. Es bleibt zu viel Waschmittel in den Fasern und das Produkt wird nicht optimal gespült. Am Ende ist das weniger umweltfreundlich. Ich teste das auch immer selbst, gebe alles in die Waschmaschine und schaue, ob es hält. Wichtig ist, auf den Farbmix und die Temperatur zu achten. Auch vor delikaten Teilen sollte man keine Angst haben. Wenn Produkte zu kompliziert sind in der Pflege, kaufen wir sie nicht mehr ein. Die meisten BHs haben 300 garantierte Waschgänge.Rubatscher besteht seit 160 Jahren und wird seit fünf Generationen von der Mutter an die Tochter weitergegeben. Wolltest du das von Anfang an machen?
Eigentlich wollte ich schon früh Einzelhandelsfrau werden, dann doch wieder nicht, dann bin ich wieder darauf zurückgekommen. Die Arbeit bietet viel Abwechslung, als Kleinunternehmerin wird einem nie langweilig. In das Wäsche-Segment bin ich gewissermaßen hineingerutscht in den zehn Jahren. Ich wollte etwas verändern, wie jede Generation das ja möchte. Ich habe meine Nische gefunden, eine Preisschlacht mit Ketten hat ja keinen Sinn. Wer Qualität im Wäsche-Bereich sucht, kann es im Fachgeschäft finden.
Wäschefachgeschäft klingt ein wenig nach älterer Dame. Kommen auch junge Leute zu euch?
Ja, auch junge kommen gerne. Der Bedarf an qualitativ hochwertigen Produkten ist groß in Südtirol. Deswegen sind einige Firmen bei uns sehr stark vertreten, in anderen Regionen nicht. Die Leute hier, ältere und junge, geben Geld aus für Qualität. Die Südtiroler*innen haben immer ein Budget für hochwertige, gute Ware, nicht zu teuer, aber es darf etwas kosten. Das macht man für sich. Wie kleidest du dich selbst? Worauf legst du Wert?
Ab und zu gehe ich in Ketten, kaufe mir auch mal ein Teil, um den Unterschied zu spüren. Aber es ist so viel angenehmer, ein Qualitätsprodukt zu tragen. Bei Wäsche fehlt mir der direkte Vergleich, denn seit ich das Geschäft habe, trage ich nie mehr billige Unterwäsche. Ich kaufe gerne wenig, werde konfus, wenn ich zu viele Sachen habe. Auch meinen Kund*innen empfehle ich weniger zu kaufen, dafür das, was man hat, regelmäßig anzuziehen. Less ist more, diese Regel gefällt mir und je älter ich werde, desto wichtiger wird sie für mich.Deine größte Herausforderung als Geschäftsfrau?
Die richtige Balance zu finden. Es ist mir wichtig, die besten Servicekräfte zu haben, gute Marken zu einem fairen Preis anzubieten und auf all die kleinen Details im Geschäft zu achten. Dabei muss der Betrieb aber auch gut leben können. Wenn man zu teuer ist, funktioniert es nicht, man kann aber auch keine schlechten Produkte anbieten. Was kann ich mir leisten, noch zu verbessern? Das beschäftigt mich jeden Tag. Ich möchte richtige Entscheidungen treffen, für meine Kund*innen, meine Mitarbeiter*innen und meinen Betrieb. Aber so sehr mich das beschäftigt, so sehr macht mir meine Arbeit auch Spaß.
Rubatscher führt ein vielfältiges Sortiment an Wäsche-Premium-Marken, darunter auch Marken, die führend sind im Bereich der Nachhaltigkeit. Wie mey, Oscalito, Calida oder Marie Jo. Alle vier Labels finden sich in meiner Wäscheschublade.
Mein Tipp: Lasst euch beim Wäscheeinkauf gut beraten. Solltet ihr den Blog Post über Osaclito noch nicht gelesen haben, hier geht’s lang. Und hier gibt’s noch eine Unterwäsche-Geschichte.
Fotos: (1–9) © Santifaller Photography für Rubatscher; (10) © Susanne Barta
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