Der Stoff, der bebt: „Fadenkreuz“ in der Kunsthalle West

Wenn der Wind durchs Eurocenter in Lana weht, streift er auf seiner Fahrt nach oben im zweiten Stock seit zehn Jahren die Kunsthalle West – alles Gute, by the way! Zum Jubiläum hat sie sich bisher zwei Ausstellungen gegönnt. Im Mai dieses Jahres „No Code“ mit zehn Werken aus renommierten Südtiroler Sammlungen, kuratiert von Valerio Dehò. Zurzeit sind in der einzigen Kunsthalle Südtirols bis Sonntag, 26. Juni (jeweils abends 17–20 Uhr) Arbeiten von Sylvia Barbolini, Sophie Eymond, Maria Gärber, Elisa Grezzani, Cindy Leitner, Arianna Moroder, Leander Schwazer und Martina Stuflesser zu sehen. Unter dem sinnigen Titel „Fadenkreuz“ hat die Bozner Kunsthistorikerin, Kulturpublizistin und Kuratorin Eva Gratl sieben Künstlerinnen und einen Künstler zusammengeführt, die sich mit unterschiedlichen handwerklichen Techniken und traditionellen Materialien auseinandersetzen. Sie weben, überlegen, sticken, stricken, drapieren und ironisieren mit Nadel und Faden Stoffe und Tücher, Muster und Malerei, geordnet und gerastert, zart und wuchtig.„Stoff bedeutet Hülle, Schutz, Wärme und Geborgenheit, es ist die erste Fürsorge, die wir, kaum geboren, an unserer Haut erfahren“, schreibt die Kuratorin in der Einleitung des Katalogs. Die Arbeiten tragen kokette Namen und bauen sich auf zur Wertschätzung von Lebendigem, zur Achtung der Frau, zur Kritik am Umgang mit der Umwelt, zur Aufarbeitung von Vergangenheit, zum Mut für Transformation und Verfremdung.Stoff ist vielschichtig, sinnlich, leicht, entspannend, verstrickt, gespannt, schwer. Stoff ist vieles und geduldig. Stoff schärft die Sinne … wenn Arianna Moroder aufzeichnet und darlegt, was in den Tiefen von Textil liegen kann. … wenn Sophie Eymond Erinnerung verarbeitet und ein Angebot macht, sich mit dem Vergessen zu versöhnen. … wenn Martina Stuflesser sich stickend gegen die Wegwerfmentalität von Mensch und Material aufbäumt. … wenn Leander Schwazer Zeit anhält, Ordnung angeht oder aufhebt und Mikroorganismen zu Komplizen macht. … wenn Cindy Leitner uns bitter süß Worte und Bilder entgegenwirft, die schocken und dennoch Teil unseres Alltags sind. … wenn uns Elisa Grezzani in Landschaften fortträgt und unsere Aufmerksamkeit auf Grundlegendes lenkt. … wenn sich Maria Gärber fragt, wie Plastik seine Vergänglichkeit verlieren kann, und Unauffälligem Bedeutung und Schönheit verleiht. … wenn Sylvia Barbolini uns zur Vernunft reizt und Wesen aus ihren Bildern steigen lässt … 

Dieser Stoff atmet und lebt.

Fotos: (1–6) Ulrich Egger; (7–15) Kunigunde Weissenegger: Leander Schwazer; Sophie Eymond; Arianna Moroder; Cindy Leitner; Martina Stuflesser; Elisa Grezzani; Maria Gärber; Sylvia Barbolini.