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May 5, 2022

The Social Incident – Philipp Klammsteiners Solo + Publikation

Maria Oberrauch

The Social Incident heißt Philipp Klammsteiners erste Solo-Ausstellung in der Galerie Prisma in Bozen, die mit Freitag, 6. Mai öffnet und die verzerrte Wahrnehmung von Realität durch die sozialen Medien zu ihrem zentralen Thema macht. Das Buch dazu erscheint in der nummerierten Serie „Cento“ des Verlagshauses franzLAB

Auf ein Gespräch in Philipp Klammsteiners Atelier unter den Bozner Lauben …

In der Einleitung zum Buch „The Social Incident“ schreibst du: „Es war einmal, vor langer Zeit, da gab es zwei weiße Handschuhe, deren einziger Daseinszweck es war, einen Kontrast zu schaffen …“ 

Ja, denn Hände in Comics wurden ursprünglich ausschließlich schwarz gezeichnet. Im früheren Schwarz-Weiß-Fernsehen hat man sie deshalb oft gar nicht richtig gesehen, deshalb verpasste man vielen Figuren weiße Handschuhe, um durch den Kontrast eine bessere Sichtbarkeit zu erzielen.Foto_Addicted

Wie nutzt du ihn?

Comics verbinden die meisten Menschen mit ihrer Kindheit. Die Entstehungsgeschichte der Comic-Hände und ihre Begründung im Kontrast sind bezeichnend für den Kontrast von Fiktion und Realität: Die schwarz-weißen Comic-Hände sind schön, aufgeblasen, für Kinderaugen erfassbar – aber haben so gut wie nichts mit der Realität zu tun. Von Anfang an habe ich ihre kindliche Aussage mit dem jugendlichen und dem erwachsenen Blick darauf konfrontiert. Wie überlagert eine fiktive Vorstellung reale Formen und Gegebenheiten?

Du spielst damit auf die starke Präsenz der sozialen Medien an. Unsere Generation hat da ja vom Kind zum Erwachsenen, vom Haustelefon zur aktuellen Tendenz Metaversum viele erste Schritte mitgemacht und sich Entwicklungen „erster Hand“ ausgesetzt … Wie nimmst du diese wahr? 

Da ist auf jeden Fall viel Kritik dabei. Ich nutze Instagram selbst, bin damals eingestiegen, weil ich die Ursprungsidee, also eine Plattform als Tool für Kreative, schon ansprechend fand. Die Richtung, in welche sich Instagram entwickelt hat, ist aber eine ganz andere und hat mich eindeutig zurückschrecken lassen. Freundschaften gehen durch die sozialen Medien so leicht kaputt. Konflikte schriftlich auszutragen, führt zu Hass und Missverständnissen. Und diese ganze Selbstoptimierung ist fatal. Aber gerade deshalb entwickelte sich für mich der Drang, in meiner kreativen Welt damit zu arbeiten und so auch andere darauf anzusprechen: Schaut euch mal an, was ein Medium mit uns macht. Das trifft auch auf Facebook zu, welches besonders von 40+ noch stark genutzt wird. Foto_Nudity

Postest du selbst noch?

Ganze Bilder nicht mehr. Ausschnitte und Details ja. Ich nutze das Medium als Werbefläche, ich angle sozusagen, fokussiere auf die Technik der Bilder.

Die wäre? Druck? Collage? Graffiti …? 

Street-Art-Elemente sind da, die Spraydose kommt ja zum Einsatz. Und Stencil natürlich. Mit Begriffen wie Graffiti, ich komme ja aus der Szene, ist sehr aufzupassen. Es gibt genug Künstler, die ihre Werke als Graffiti ausgeben, aber noch nie ein echtes, also eines auf den Straßen, gesprayt haben. Das ist dann ignorant. Beim Graffiti geht es darum, sich den Platz in der Öffentlichkeit zurückzuerobern. Man wird ja auch ständig mit Plakatwerbung konfrontiert, um die man nicht gebeten hat.Atelier_Detail

Du hast auch mit Kindern und Jugendlichen auf diesem Gebiet gearbeitet. Überhaupt scheint es mir, ist es dir ein Anliegen, in Südtirol was zu bewegen, zu entwickeln, die Welt hereinzuholen. Ein anderer solcher Ansatz war dein Skateboard-Team

 Ja, die Graffiti-Workshops habe ich bis 2015 gemeinsam mit Tobe Planer gemacht. Das war schon cool, man gibt ja gerne was mit und vermittelt, dass es eben nicht um Schmierereien geht. Und das mit Südtirol und der Welt stimmt schon. Ich habe nie im Ausland gelebt und das fehlt mir auch manchmal. Aber gereist bin ich viel und was ich davon mitgenommen habe, habe ich versucht bei uns hier zu pushen. Denn, warum muss man in eine Großstadt gehen, um diese Dinge leben zu können?Foto_Insta_Pills_Box

Und was ist dein Fazit? In einer Stadt wie Bozen?

Bozen ist schwierig, generell. Individualität gibt es fast nicht mehr. Aber gerade deshalb ist es umso wichtiger, gegen den Strom zu schwimmen und zu zeigen, dass es auch anders geht. Wenn man den Skate-Platz heute anschaut, hat sich viel Positives getan, da würde ich sagen, hat sich mein und unser Einsatz schon ausgezahlt. Und manche von den Jungen leben diesen Traum vom Skaten, sind in Barcelona oder London, sind gesponsert, haben tausende Follower …

Womit wir wieder bei deinen Bildern wären. Follower, steht da. Und: fake. Eingearbeitet in Vintage-Werbung … Welche Verbindung knüpfst du hier?

Ich bin der Überzeugung, dass im Leben alles einen bestimmten Grund hat. Beim Umbau dieses Ateliers habe ich die oberen Böden entfernt, unter diversen Holzschichten war die gesamte Fläche mit alten italienischen Modezeitschriften ausgelegt. Ich habe sie aufbewahrt und wollte dann auch was damit machen. Die Werbungen darin gehen, noch mehr aus heutiger Sicht, ins Extreme, was Werte, Rollenbilder und Sprache betrifft. Ich habe sie am Computer ins heutige System der Social Networks gebracht und daraus Collagen gemacht. Keine klassische Collage, sondern eben bearbeitet und „fake“. 

In Kombination mit einer Handschuh-Hand, die ebenfalls manipuliert, aber auch manipuliert wird … bis zur vollständigen Auflösung … 

Ich finde Hände faszinierend, immer schon. Zum einen sind sie sehr schwer zu zeichnen. Zum anderen ist die italienische Kultur der Gestik einzigartig. Comic-Hände haben immer nur vier Finger, weil sie leichter zu malen sind. Mit der Handschuh-Hand hatte ich im Sprayen meinen Stil gefunden. Über die Jahre, über Corona und den Lockdown hat sich mein Stil in eine andere künstlerische Richtung weiterentwickelt und die Hand, mein Markenzeichen, hat sich Stück für Stück dekonstruiert. Das hängt vielleicht auch damit zusammen, dass mein Bedürfnis, eine starke Botschaft zu vermitteln, sich im Lockdown gewandelt hat. Ich arbeite jetzt fragmentarischer und abstrakter, mit Layers, computergemachter, graphischer Arbeit und 80er Jahre Manga-Einfluss …  Foto_Layer-287

Hast du das Gefühl, für deine Arbeit als Grafiker hat sich auch etwas geändert? Gab es hier eine Wechselwirkung?

Ich habe seit Corona gemerkt, dass mir die Kunst sehr wichtig ist, und mit Aussicht auf die Ausstellung beschlossen, zwei Arbeitstage in der Woche für meine Kunst zu nutzen. Und ich habe gelernt, bei meiner Arbeit als Grafiker mehr loszulassen, mein Ego und meinen persönlichen Stil außen vor zu lassen. Das erlaubt mir, mehr auf Kunden einzugehen. 

Skatest du noch?

Einmal die Woche mindestens, am Abend. Ich zitiere Jay Adams, der in den 70er Jahren das Skaten zum Street-Skaten gemacht hat: You didn’t quit skateboarding because you got old, you got old because you quit skateboarding.

Fotos: (1) Valentin Prossliner; (2, 3, 4, 5, 6) Philipp Klammsteiner.

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