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April 12, 2022

Thomas Grandi: Weiche Flächen, die Flächen weichen

Maria Oberrauch

Gelb.Schwarz. Rot.Silber. Oder ist es Grau? Das Licht setzt in Szene. Schicht auf Schicht übereinandergelagert. Ölkreiden. Wachsige Bahnen. Kleine Flächen, wo die Richtung wechselt. Weniger Raum als Fläche. 

Dort sehe ich das Bergpanorama, aber vielleicht nur ich, die ich in den Bergen aufgewachsen bin. In den DIN-A4-Papieren finde ich fremdartige Flaggen, aber vielleicht nur, weil sich die ukrainische Fahne aktuell täglich in meine Bilder speist. Da ist was fotografisch Anmutendes, weil der rote Rand polaroidisch rahmt. Wie eine Erinnerung würde man das zurückgesperrte Gelb darin gerne hinter dem Schwarz herausziehen. 

sfóndi heißt die aktuell laufende Ausstellung im Spazio CUT in der Raingasse, nahe dem Waltherplatz in Bozen, und zeigt eine Auswahl neuer Gemälde des Künstlers Thomas Grandi. „Sfondo“ als Wort beschreibt den Hintergrund in einem Gemälde, die am weitesten von der Perspektive des Betrachtenden entfernte Fläche. Hinterer Grund und vielleicht auch hinter dem eigentlichen Grund, denke ich da. Gleichzeitig, so steht es im Ausstellungstext, bezieht es sich auf den „historischen Kontext (z. B. den Hintergrund der Ereignisse) und auf den Schauplatz, auf dem sich die Handlung eines Theaterstücks oder eines Films abspielt“. Ist das Bühnenbild also zum Theater geworden? Setzt es sich selbst in Szene und macht den*die Zuschauer*in zur*m Akteur*in? Müssen wir hier wirklich noch etwas beifügen?

Nun, nichts bewegt sich in diesen Flächen, auch wenn ich es manchmal fast wünschte. Darunterhineinfahren, herausziehen. Dieses schwarze Schwarz ein wenig verrücken, weil es so schwarz ist. Aber eigentlich, nein, den eigenen Senf dazugeben ist überflüssig. Senffarben wären hier auch nicht angebracht. Wenn ich also nicht beschreiben und nicht interpretieren mag, will der Künstler Antwort geben? Will er reagieren oder alles so stehen und hängen lassen? Wenn es anderswo hängt, wie die orangen Punkte neben den Leinwänden verraten, kann es noch so wirken wie im Rahmen der Ausstellung oder nur ein bisschen oder nie und nimmer? Wie fragt man, wenn schauen eigentlich reicht?003_martinostelzer_SPAZIOCUT_thomasgrandi

Sag mal, wer bist du und warum machst du, was du machst?

Seit ich denken kann, male ich gerne und immer schon viel mit Ölkreiden. Natürlich habe ich während meiner Studienzeit mit allen möglichen Medien experimentiert, aber letztendlich bin ich zu den Ölkreiden zurückgekehrt, mit denen alles begann. Parallel arbeite ich aber auch an anderen Projekten: Ich bin gerade wieder auf der Suche nach einer Band und arbeite an einem Musikvideo für einen Song, den ich mit Phil Madeiski produziert habe. Seit 8 Jahren unterrichte ich außerdem als Sprachlehrer in Integrationssprachkursen. Dazu kam es, weil ich nach meinem Malereistudium absolut pleite in Berlin ankam. Und aufgrund der Flüchtlingswelle gab es einen großen Bedarf an Deutschlehrer*innen. Der Lehrerjob ist sehr erfüllend, aber auch anstrengend und alles andere als abstrakt. Das Malen im Atelier ist für mich eine Art der Meditation und Flucht in eine irreale Welt.
Meine Schüler sind teilweise Analphabeten, haben sehr oft ein sehr geringes Bildungsniveau, sprechen meistens kein Englisch und sind wegen der Strapazen, die sie erleben mussten, oft nicht sonderlich motiviert. Diese Voraussetzungen verlangen den Lehrer*innen ein ziemlich großes Maß an Kreativität ab und das finde ich persönlich an dieser Tätigkeit besonders reizvoll. Es ist naheliegend, dass ich während des Unterrichts häufig zeichne, um Wörter oder Situationen zu beschreiben und zu erklären. Diese Zeichnungen sammle ich seit 2013, indem ich sie immer fotografiere, bevor ich die Tafel lösche. Die letzten Monate habe ich all diese Zeichnungen am Computer akribisch mit der Maus nachgezeichnet, damit sie in jeglicher Form gedruckt werden können, und jetzt bin ich gerade am Überlegen, wie ich diese Zeichnungen am besten präsentieren könnte.Soloshow_titolo_CORSO_BerlinArtWeek_2020_credit_MarcoKrügerWar es schon immer die Kunst oder ist ein Umweg der Weg zur Malerei?

Ich denke, dass es für mich schon immer die Kunst war, aber es war gut, einen Ausflug in die Welt des Designs zu machen. Diese Zeit hat mich und meine Arbeit sehr geprägt und ich hatte die Gelegenheit, mit sehr tollen Designer*innen zusammenzuarbeiten und viel von ihnen zu lernen. Ich gestalte gelegentlich immer noch Flyer, Plakate und Kataloge für Kunst und Kultur. Erst kürzlich durfte ich das Platten-Cover für eine fantastische Band (The Warszaw Pact) designen …

Ölkreiden erzeugen in mir ein Grundschulgefühl (nie vorher und nicht wieder danach hatte ich welche in der Hand). Welche Qualitäten liegen in der Ölkreide? 

Ich liebe satte Farben und starke Kontraste und da kommen mir die Eigenschaften der Ölkreiden sehr entgegen. Ich liebe die Struktur, die bei monochromen Flächen entsteht, sie wirkt plastisch, aber gleichzeitig auch sehr weich: Ich muss oft an Fell denken und bei meiner Serie CORSO, wo ich ca. 25 sehr großformatige Bilder fast ausschließlich mit Ölkreide gemalt habe, hatte ich plötzlich das Gefühl, dass jedes Bild ein Detail eines riesigen geheimnisvollen Tieres ist, das ich erschaffe … Aber zwischendurch verwende ich auch ein bisschen Acrylfarbe und Sprühdosen.004_martinostelzer_SPAZIOCUT_thomasgrandiDas Figurative hat sich mit „sfóndi“ endgültig aus deinen Arbeiten verflüchtigt …

Na ja, der Lockdown letztes Jahr hatte es in sich. Ich hatte genug Geld und daher dachte ich anfänglich, dass ich eine sehr produktive und gute Zeit im Atelier verbringen würde. Aber irgendwie war es dann überhaupt nicht so: Ich wahr wie gelähmt. Ich schaute die ganze Zeit aus dem Fenster und es war einfach nur grau und trostlos. Wir hatten in Berlin mehr oder weniger von Januar bis Ende Mai schlechtes Wetter. Diese Tatsache, die Pandemie (und die damit einhergehende soziale Isolation) und das globale Geschehen im Allgemeinen haben mein Gemüt schwer belastet. Während dieser schwierigen Zeit ist dann doch irgendwie diese Bildserie entstanden, deren Entstehungsprozess sehr langsam und mühsam war. Ich war voller Selbstzweifel, aber Maximilian Pellizzari, der Kurator der Ausstellung, war begeistert und wollte die Arbeiten unbedingt in Bozen ausstellen. Dafür bin ich ihm jetzt sehr dankbar.

Ein lautes Rot ersetzt das Grün. Das Weiß ist gewichen. Was an Schwarz ist wichtig für dich? 

Ich arbeite sehr intuitiv, was die Farbwahl betrifft. Ich würde sagen, dass die Farbe Schwarz die einzige Konstante ist. Das könnte sich in Zukunft auch ändern. Was genau mich an dem Schwarz so sehr fasziniert, kann ich schwer in Worte fassen._DSC6607Ölkreidenbrösel: Was übrigbleibt? Was sich absetzt? Was abbricht? Was verloren geht? Was zu Boden fällt und worauf getreten wird? 

Und was sich ansammelt.

Was birgt die Zukunft?

Zwei Wochen vor dem Kriegsbeginn in der Ukraine hatte ich eine Anfrage von einem Modelabel aus Moskau (yuliawave) für eine Zusammenarbeit. Ich sollte für sie Designs im Stil meiner Bilder entwickeln, die dann auf verschiedenen Textilien gedruckt werden sollten. Die Kollektion wäre in einem großen Modehaus in Moskau verkauft worden, aber das Projekt und damit mein Plan für die nächsten Monate ist jetzt hinfällig. Die Ausstellung in Bozen läuft noch bis 26. April 2022. Bis 27. Mai ist die berühmt-berüchtigte Sammlung Simonow in Freiburg zu sehen, wo ich auch mit einer Arbeit vertreten bin. 

Fotos: Martino Stelzer (1, 2, 4) , Berlin Art Week (3)

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