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April 11, 2022

Eva Leitolf: der Moment, in dem die eigene Wahrnehmung ins Wanken gerät

Maria Oberrauch

Bekannt wurde die Künstlerin und Fotografin Eva Leitolf für fotografische, mit Textelementen versetzte Projekte, die gesellschaftliche Phänomene wie Kolonialismus, Rassismus und Migration aus diversen Perspektiven beleuchten. Wie ein roter Faden zieht sich dieser zugleich kritische und schöne Zugang durch ihre Arbeit, und die starke Kombination aus dokumentarischen und konzeptionellen Elementen öffnet Blickwinkel, die über die Grenzen des fotografischen hinausgehen. An der Fakultät für Design und Künste der unibz leitet Eva Leitolf das Studio Image, einen diskursiven Raum, der Studierende projektbezogen in ihrer fotografischen Entwicklung unterstützt. Lernen und Lehren als flexibler Raum, wie sieht das aus? Und in welcher Wechselwirkung stehen die Arbeit eines Lehrenden und die Arbeit mit und von Studierenden miteinander? 

„Studio Image“, was kann man sich darunter vorstellen? 

Studierende an der Bozner Fakultät für Design und Künste arbeiten im Kunst-Major projektbezogen in den Studios Space, Interact, Image und Exhibit. Im Studio Image bespielen wir als Team einen offenen diskursiven Rahmen: Die Designerin Giulia Cordin, der Medientheoretiker German A. Duarte und ich als Künstlerin erarbeiten gemeinsam die wechselnden Grundlagen für jedes Studio Image Semester. Im intensiven Austausch mit Gästen, durch Studio Visits und Ausstellungsbesuche, ein jeweils auf das Semester zugeschnittenes Filmprogramm und eine Reading Group bieten wir eine lebendige Grundlage für Studierende, um ihre eigene künstlerische Praxis weiterzuentwickeln. 

Was passiert in eurem Unterricht?

Recherche, kritisches Hinterfragen und Diskutieren in der Gruppe spielen in unserem Studio eine große Rolle. Es ist eine Situation des gegenseitigen Lernens, auch für uns: Wie langweilig wäre das Unterrichten, wenn wir uns nicht selbst weiterentwickeln könnten? Es ist wichtig, sowohl den Studierenden als auch den Lehrenden genug Raum zum Experimentieren, Scheitern und Wachsen zu geben. Bei „ELIZA & Frankenstein“ haben wir uns zum Beispiel mit KI und Bildern beschäftigt und untersucht, wie sich neue Bildtechnologien auf gesellschaftliche Fragestellungen auswirken. Felix Hoffmann sprach mit uns im Semester Violent Images über seine kuratorischen Überlegungen zur fotografischen Darstellung von Tod und Sterben in seiner Ausstellung „The Last Image“ bei C/O Berlin und Jonas Staal erklärte uns im Rahmen des Semesters Democracy in Distress?, wie Kunst und Propaganda oft ineinandergreifen.08 Michelangelo Boldrin_Through the Eye - The Aesthetics of Control, 2020_cBoldrin

Wie beeinflusst die Arbeit mit Studierenden die eigene Arbeitsweise?

Ich finde es bemerkenswert, mit welcher Leichtigkeit Studierende mit Materialien, Medien und Kontexten jonglieren. Das lässt sich gerade gut in unserer Ausstellung „SHOOT & THINK: Negotiating Images“ im frei_raum/Museumsquartier in Wien, im Rahmen des Foto Wien Festivals, beobachten. Studierende erleben Fotografie als Medium, das sie in völlig unterschiedlichen Formen und Bedeutungszusammenhängen ständig umgibt. Das schlägt sich auf ihre künstlerische Arbeit nieder: Kein Projekt in der Ausstellung versteht sich als eine Reihe von Bildern an der Wand. Allen ist klar, dass Fotografie weit über die Ränder eines fotografischen Prints hinausgeht. So finden sich in der Ausstellung flüchtige Instagram Stories, archivfest gemacht auf Baryt-Papier, ebenso wie eine Überwachungskamera, die Besucher*innen der Ausstellung beim Betrachten von Bildern der überwachten Klagemauer beobachtet. Dieser unerschrockene und gesellschaftlich engagierte Umgang mit dem Medium Fotografie inspiriert uns alle im Studio Image. Das Verhandeln von Bildern und die Frage, wie durch Kontext Bedeutung(en) entstehen, war immer schon zentral in meiner Arbeit. Diesen Fragen nun gemeinsam mit jungen Künstler*innen nachgehen zu können, erlebe ich als ungemein bereichernd.

Was beschäftigt dich aktuell?

Wir haben das letzte Jahr intensiv an „Shoot & Think“ gearbeitet, nun komme ich endlich wieder dazu, mich eigenen Ausstellungsprojekten zu widmen. Momentan arbeite ich z. B. mit Franziska Kunze, der Sammlungsleiterin Fotografie und zeitbasierte Medien der Pinakothek der Moderne in München, an einem Konzept, meine Arbeiten „Deutsche Bilder – eine Spurensuche“ und „Postcards from Europe“ in eine Neuordnung der Sammlungsausstellung zu integrieren. Über einen Zeitraum von drei Jahren sollen wechselnde Teile dieser beiden Arbeiten in der PdM zu sehen sein. Im Juni eröffnet zudem die Gruppenausstellung „Home Again“ im Willy-Brand-Haus in Berlin, in der einige meiner Arbeiten aus „Postcards from Europe“ zu sehen sein werden. Darüber hinaus planen wir ausgehend von dem Projekt „Shoot & Think“ ein Forschungsvorhaben zur Lehre von Fotografie: „Teaching Images“.

LEITOLF_PfE_KehrerBerlin2014_ExhView_detail

Erzählst du mir von den textlichen Komponenten deiner Arbeiten? Dem Verhältnis von Bild und Text, z. B. in „Postcards from Europe“ oder „Deutsche Bilder – eine Spurensuche“?

In beiden Arbeiten nutze ich Bilder und Texte als unterschiedliche Medien, um einerseits zu bestimmten gesellschaftlichen Themen (wie Migration oder rassistisch motivierte Gewalttaten) zu arbeiten und andererseits, um über die Möglichkeiten zu sprechen, die in diesen beiden sehr unterschiedlichen Medien liegen. Wie entsteht Bedeutung? Wie verändert Text mögliche Lesarten eines Bildes und andersherum? In „Postcards from Europe“ sehen sich Besucher*innen der Ausstellung zunächst Fotografien von Orten gegenüber, auf denen keine Menschen zu sehen sind und nichts passiert. Neben den Bildern aus Griechenland, Italien, Spanien oder Ungarn liegt jeweils ein Stapel mit Text-Postkarten, die ein Ereignis beschreiben, das mit unserem europäischen Umgang mit Migration und dem fotografierten Ort in Verbindung stehen. Zum Bild eines Jägerstandes ist zum Beispiel zu lesen, wie Jäger aus der Region mithelfen, mit ihren Nachtsichtgeräten, das Grenzgebiet zu überwachen. Neben dem Bild eines Strandes sind Text-Karten zu finden, die von Toten erzählen, die dort angeschwemmt wurden. Mich interessiert der Moment, in dem die eigene Wahrnehmung ins Wanken gerät.

Wie viel ist Fotografie auch Haltung?

Bilder machen und mit Bildern zu arbeiten bedarf zunächst der Neugierde, herauszufinden, wie sie in verschiedenen Kontexten funktionieren und wie sie sich in verschiedenen Zusammenhängen verändern. Dieses Arbeiten mit Bildern in verschiedensten Zusammenhängen bedarf der Haltung, davon bin ich überzeugt. Die Haltung zeigt sich dabei nicht nur im Inhalt der Fotografie selbst, sondern in den vielen Überlegungen, die zu einem Bild führen. Wir ermutigen im Studio Image Studierende weniger einen fotografischen Stil zu entwickeln (der oft mit Haltung verwechselt wird) als eigenständige Qualitätskriterien für die eigenen Arbeitsprozesse. Das Erforschen individueller Fragestellungen und Herangehensweisen helfen dabei, Haltung zu entwickeln.

02 Matteo Zoccolo, So Heartbreaking, 2018_cZoccolo

Wo ist Kunst wirksamer als Dokumentation?

Das lässt sich nicht verallgemeinern. Auch hier stellen sich Fragen wie: mit wem soll kommuniziert werden, wie eindeutig und in welchem Zusammenhang? In meiner Arbeit verknüpfe ich künstlerische und dokumentarische Praktiken, die Grenzen von Kunst und Dokumentation verschwimmen.

Was können Bilder? Was sollen sie und was nicht?

Grundsätzlich glaube ich nicht an die Fotografie als universelle Sprache, wie sie zum Beispiel Edward Steichen mit seiner legendären Ausstellung „The Family of Man“ behauptet hat, die 1955 im Museum of Modern Art in New York zu sehen war. Er war davon überzeugt, dass die Menschheit durch die universellen Erlebnisse von Geburt und Tod, von Lachen und Weinen etc. verbunden ist und die Fotografie diese universelle Verbindung für jeden Betrachter und jede Betrachterin gleichermaßen darzustellen vermag. Das setzt die Vorstellung voraus, dass Bilder in sich abgeschlossene Einheiten sind, die unabhängig von ihrem jeweiligen Verwendungszusammenhang betrachtet werden können. In einer immer komplexer werdenden Welt halte ich diese Betrachtungsweise nicht mehr für hilfreich, um an gesellschaftlichen Diskursen mitzuwirken. In den Arbeiten von Studierenden zeigt sich das in einem hybriden Umgang mit verschiedenen Medien, Materialien und Plattformen. 

Was birgt die Zukunft? 

In diesem Semester arbeiten wir mit Studierenden an einer Ausgabe für das Straßenmagazin ZEBRA und haben dafür von den Macher*innen „Carte blanche“. Wir wollen mit den Studierenden nicht nur ein neues Design entwickeln, sondern grundsätzlich über das Konzept eines sozial engagierten Magazins nachdenken. Wem wird hier wie und womit „geholfen“? Welches Selbstbild haben Zebra-Verkäufer*innen? Welche Motivation haben Käufer*innen? Und wie lassen sich damit verbundene Stereotypen aufbrechen? Wir freuen uns sehr über diese Möglichkeit und sind gespannt auf dieses Semester!

 leitolf1 Ausschnitt

Eva Leitolf (1966)  studierte Fotografie an der Universität-Gesamthochschule Essen, später Kunst bei Allan Sekula und Ellen Birrell am California Institute of the Arts. 1996 wurde Leitolf in NEW York City mit dem ICP Annual Infinity Award, „Young Photographer“ ausgezeichnet. Sie arbeitete für das SZ-Magazin und das ZEIT-Magazin. Für die Realisierung eigener Projekte erhielt sie diverse Stipendien, ihre Arbeiten finden sich in zahlreichen modernen Kunst-Sammlungen. Nach einem Lehrauftrag an der Hochschule für Design und Kunst in Luzern, wurde Eva Leitolf im Jahr 2017 Lehrbeauftragte und 2019 Professorin an der Freien Universität Bozen. 

Fotos: Eva Leitolf (1, 3, 5) , Michelangelo Boldrin (2), Matteo Zoccolo (4)

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