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April 8, 2022

Lebensgeschichten (mit menschlichem Faktor) beim BFFB 2022

Kunigunde Weissenegger

Wie immer, nein, was schreib ich, wie seit zwei Jahren nicht mehr, findet es statt. Seit Dienstag und noch bis Sonntag, 10. April 2022. Alles beim Alten also, oder aber doch nicht, beim BFFB – Bolzano Film Festival Bozen? Es ist das 35., ein Jubiläum also, es könnte also etwas gefeiert werden und wird es auch am 8. April von 10 Uhr abends bis 2 morgens im Sudwerk bei der fas-Film-Party. Neu ist auf alle Fälle auch, dass es ein Festival nach dem Festival gibt und zwar online: Vom 10. bis 16. April sind zehn Filme aus dem diesjährigen Programm auf filmfestival.bz.it zu sehen. 

Jedenfalls wichtig sind die Themen der Spielfilme, die im Wettbewerb laufen, alle. Da geht’s um das Überleben eines Terroranschlags (Atlas), um Erinnerungen und Zukunft (Io sto bene), um strukturellen und alltagsbasierten Rassismus und die weiße Norm (Ivie wie Ivie), um Einsamkeit und Selbstfindung (Märzengrund), um Erwartungen und Beziehungen (Mein Sohn, Prinzessin, Sulla Giostra).

Besonders gespannt bin ich auf den neuen von Ronny Trocker. „Der menschliche Faktor“ verspricht mysteriös zu sein wie „Die Einsiedler“, und Hannes Perkmann ist wieder im Team. Der Kastelruther Regisseur steigt in Menschlichkeiten, zerpflückt Befindlichkeiten. Was geht, wenn nix mehr geht? Ein Faktor ist etwas, das bestimmt, immer, Auswirkungen provoziert, Umstände entscheidet. Doch was, wenn er menschlich ist? … und schon laufen die Gedanken … [Nachtrag: geile Musik!]

Die Realität auf die Leinwand holen besonders die Dokumentarfilme und es ist für viele Geschmäcker etwas dabei: jugendliche Träume (Futura), Investigativjournalismus (Hinter den Schlagzeilen), Männlichkeit (Atlantide, Soldat Ahmet), Flucht (The Game. Spiel zwischen Leben und Tod) und Samenspende (Menschenskind!).  

„Warum kriegt man sonst ein Kind, eigentlich? – Um gescheite Werte zu vermitteln.“ Um künstliche Befruchtung und (die in unserem Land vielzitierte) Autonomie geht es auch in „Eva-Maria“, Tirolerin, Anfang 30, Rollstuhl und spastische Zerebralparese, keine Beziehung, kein Partner, Kinderwunsch. Filmemacher und Eva-Marias damaliger PA (persönlicher Assistent) Lukas Ladner hat dokumentiert. In Graz hat der Dokumentarfilm bei der Diagonale 2021 den Preis für den besten Nachwuchsfilm erhalten.

Location-Wechsel nach Kupiškis in Litauen, 8.000 Einwohner*innen, hier ist die Selbsttötungsrate laut WHO europaweit am höchsten. Psychologin Valija und Polizistin Gintare klopfen an Türen, verteilen Empathie, suchen Einsame auf, stehen bei, ohne Unterstützung von Politik, geben nicht auf. … es könnte auch woanders sein. „I’ll stand by you“ folgt ihnen auf Schritt und Tritt. 

Im Albanien-Kosovo-Fokus mit sieben Filmen ist die einzige Regisseurin Blerta Basholli, die mit „Zgjoi (Hive)“ (albanisch mit deutschen Untertiteln) ihr Spielfilmdebüt liefert – von Female Views gefeatured. Sie erzählt die wahre Lebensgeschichte einer Kriegswitwe in einem patriarchalen System und ihr Bemühen, sich etwas aufzubauen. PS: Ausgezeichnet mit 16 internationalen Filmpreisen, shortlisted für den Oscar 2022 in der Kategorie „Bester internationaler Film“.

Jaja, ihr seht, der Hang zum Dokumentarfilm ist zu erkennen, deshalb wird noch einer nachgeliefert (läuft nicht im Wettbewerb). In „Frauenfragmente: Gini und Resi“ erzählt die Tirolerin Sophie Gmeiner eine Geschwistergeschichte mit Humor und Tiefen, geistiger Behinderung und Corona. Bei der Diagonale 2021 als Bester Kurzdokumentarfilm ausgezeichnet – Gratulation!

Die BFFB-Werkschau ist 2022 der local (Eppanerin) und international ausgezeichneten Schauspielerin Gerti Drassl gewidmet. Am Donnerstag sprach sie im Waag Café über ihre Art des Schauspielens und Figurendarstellens; auf dem Facebook-Kanal des Filmfestivals kann das Gespräch nachgesehen werden. 

Resümierend kann diese Auswahl vielleicht nicht als Favourites, sondern als Must-Sees gewertet werden. Also abchecken. Der rote Faden? – Autonomie, Selbstbestimmung, Eigenständigkeit … diese Schlagworte der Gegenwart definiert auch das in den Filmen Thematisierte.

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