Fashion + Design > Design

April 7, 2022

Stress- und angstfreie Rehabilitation mit Design: Die Patternhouse-Methode von Martina Drechsel

Maria Oberrauch

„Ich will das auch mal machen“, war mein Gedanke nach den ersten Einblicken in Patternhouse. Damit ist das Wichtigste in diesem Projekt schon getan: Lust machen – darauf, Buntstifte in die Hand zu nehmen, was nachzumalen, was zu entdecken, den Mut zu fassen, selbst zu gestalten und sich in handwerklichen Techniken zu versuchen. 

Martina Drechsel ist Designerin und, wie ich meine, auch Künstlerin. Zwischen Bozen und München pendelnd, malt und zeichnet sie; und sie unterrichtet Visual Thinking. Was, ganz knackig gesagt, bedeutet, anhand von einfachen Zeichnungen Denkprozesse zu erleichtern und zu veranschaulichen, Visionen zu entwickeln, komplexe Themen zu kommunizieren. 

Komplex und Vision und Kommunikation, diese Schlagwörter treffen auch auf Drechsels neues Projekt „Patternhouse“ zu. Wortwörtlich Gesprächsstoff entwickelte sie mit ihrem Design und Workflow orientierten Werkstatt -Zugang, um die Rehabilitation von Menschen mit psychischen Problemen zu verbessern. Wunderbar schöne Kissen und nebenbei eine volle Ladung therapeutischen Fortschritts sowie die Verbesserung der Sichtbarkeit von psychischen Erkrankungen sind das Ergebnis der ersten Zeit von Patternhouse. Klar und einfach und logisch erscheint mir dieses Konzept, wie es, natürlich grafisch perfekt aufgearbeitet, vor mir liegt. Jeder Schritt, vom anfänglichen Nachmalen bis zur kunstinspirierten selbstständigen Umsetzung auf Stoff, macht Sinn. Wie viele Überlegungen, Versuche, Zeit wohl dahinter stecken? Es lohnt, genauer hinzuschauen und im Detail nachzulesen. Für den Anfang habe ich Martina ein bisschen befragt.

Martina Korb

Dein großes Talent ist das visuelle Erzählen. Wie erzählst du Patternhouse in Worten? 

Patternhouse ist eine Arbeitsmethode für Patient*innen, die für kurze oder längere Zeit eine psychiatrische, rehabilitative Werkstatt besuchen, um dort ihre motorischen und kognitiven Fähigkeiten zu verbessern. Eines der wichtigsten Merkmale der Patternhouse-Methode ist die absolute Erfolgsgarantie: Jedem und jeder gelingt, was begonnen wird. Patient*innen mit ausgeprägten psychischen Beeinträchtigungen bewältigen die Arbeitsschritte stress- und angstfrei. Für Patient*innen mit unbeeinträchtigter Auffassungsgabe soll die Tätigkeit aber auch intellektuell interessant sein. Der Workflow passt sich jedem Skill-Level an. 

Ist dieses Projekt Eigeninitiative oder wurdest du damit beauftragt, ein Konzept zu entwickeln? 

Die Primarin Dr. Verena Perwanger, die ich seit langem gut kenne, hat mich darum gebeten, mir die Werkstatt anzusehen und zu überlegen, welche neuen Produkte die Patient*innen fertigen könnten. Es gibt viele wunderbare Projekte, wo Designer*innen sehr Schönes für geschützte Werkstätten entwerfen. Casa Basaglia ist aber eine rehabilitative Werkstatt, keine Produktionswerkstatt, das Produkt selbst ist hier zweitrangig. Weil die Kreativ-Werkstätten psychiatrisch rehabilitativer Strukturen fast immer ausschließlich von Sozialarbeiter*innen, Psycholog*innen und Kunst-Therapeut*innen „bespielt“ werden, hat es mich sehr gereizt zu erforschen, was man in diesem Bereich mit Design erreichen kann.

Patternpaper Werkstatt 9

Ein anderer Zugang also? Was kann Design hier vielleicht besser?

Hauptziel war es, einen Arbeitsprozess zu gestalten, der für jeden Patienten und jede Patientin funktioniert – ganz gleich, welche handwerklichen Fähigkeiten und Kenntnisse vorhanden sind. Außerdem sollte sich der Workflow auch an die jeweilige, oft schwankende Tagesform der Patient*innen anpassen können. Es war mir wichtig, dass das daraus entstehende Produkt eine gewisse Einzigartigkeit, bzw. Strahlkraft besitzt, um so dem Thema „psychische Gesundheit“ zu mehr Sichtbarkeit zu verhelfen. 

Welche Hürden haben sich aufgetan? Wie werden Prozesse dokumentiert, begleitet, analysiert? 

Rehabilitaive Psychiatrie ist ein komplexes Thema und die Recherche hat viel länger gedauert, als gedacht. Ich musste diese Aufgabe von allen Seiten beleuchten, mit sämtlichen Beteiligten (Psychiater*innen, Mitarbeiter*innen, Patient*innen, Angehörigen der Patient*innen) sprechen und über einen längeren Zeitraum selbst eintauchen in diese Welt. Nur dann erschließen sich die tatsächlichen Bedürfnisse und Zusammenhänge. Das ergebnisoffene Recherchieren ist für mich der schönste Teil eines jeden Projektes. Aber für die Mitarbeiter*innen der Werkstatt war es sicher nicht immer leicht mir zu folgen – immer wieder neue Techniken und Ideen auszuprobieren kann anstrengend sein. Da gab es gelegentlich auch Krisenmomente.Hände Werkstatt 03

Im Grunde könnte diese Arbeitsweise auch auf andere Orte, Einrichtungen, Projekte usw. angewandt werden, oder? 

Die Patternhouse-Methode funktioniert wie eine Toolbox und eignet sich sicher nicht nur in der psychiatrischen Rehabilitation, sondern höchstwahrscheinlich auch überall dort, wo traumatisierte Menschen chronische Langeweile erleiden bzw. aus verschiedenen Gründen unterbeschäftigt sind. Ich denke, in diesem Bereich muss noch viel mehr geforscht und getan werden! Es braucht viel mehr kurzfristig einsetzbare Angebote, um in diesen Situationen Stress zu mildern. Auch in diese Richtung möchte ich mein Projekt weiterentwickeln. 

Machen wir prinzipiell zu wenig „Handarbeit“? 

Das denke ich nicht. Die DIY-Szene boomt. Mir scheint, es gibt so viele Angebote, online und offline, für „Selbermachkurse“ jeder Art wie noch nie.2Werkstatt produktion

Wie und wo gibt’s Patternhouse zu kaufen? 

Unsere Kissen gibt es seit einem Jahr im Monocle Shop in Meran und bei Sois Blessed in München, einem Concetpstore. Unsere Produktion ist noch sehr klein und ein Online-Verkauf ist noch nicht möglich.
Wir arbeiten daran. 

Was machst du sonst so?

Ich unterrichte Visual Thinking. Wer in seinem beruflichen Alltag viel kommunizieren muss, kann das mit der Unterstützung von selbst gemachten, einfachen Skizzen viel klarer und schneller. Nächsten Monat halte ich meinen ersten Workshop für Psychiater*innen und Psychologen*innen. In der direkten Kommunikation mit Patient*innen ist das Vermitteln mit Bildern sicher auch extrem hilfreich. Ich bin schon gespannt. Ansonsten zeichne ich, wann immer ich kann.

 Fotos: Martina Drechsel

Print

Like + Share

Comments

Current day month ye@r *

Discussion+

There are no comments for this article.