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April 6, 2022

„Ich möchte Kleidungsstücke retten“ – Johanna Finger

Susanne Barta

Noch vor gar nicht so langer Zeit war es ganz schön schwierig in Bozen eine Schneiderin, einen Schneider zu finden, um seine Kleidungsstücke richten, anpassen oder sogar sich etwas anfertigen zu lassen. Die Fast-Fashion-Mentalität, wo Kleidung gekauft wird, um auch bald wieder entsorgt zu werden, oder einfach zu billig ist, um sie richten zu lassen, ist vielen von uns zur Gewohnheit geworden. Das hat sich verändert. Ein wenig zumindest. Heute gibt es wieder mehr nur als eine Handvoll Schneiderinnen und Schneider, das Handwerk hat an Stellenwert gewonnen und auch die Wertschätzung, die wir für unsere Kleidungsstücke hegen, scheint zuzunehmen.  

Heute möchte ich euch Johanna Finger vorstellen. Ende Januar 2022 hat sie ein Schneider-Atelier in der Streitergasse in Bozen übernommen und ihren Bedürfnissen entsprechend umgestaltet. Ihre Geschichte ist ungewöhnlich, Schneidern und Entwerfen hat sie erst später im Leben gelernt, aus Begeisterung für Mode, Stoffe, Farben und Formen. Nach wie vor arbeitet Johanna im Management einer Stiftung in Mailand, ihr Atelier in Bozen betreibt sie (noch) nebenbei.artelier 2+3 (c) johanna finger„Das Schneiderhandwerk habe ich im ‚Seniorenstudium‘ gelernt“, erzählt sie lachend. Johanna hat Wirtschaft in Bologna studiert, in Wien, Prag, Budapest und Triest gearbeitet, dabei aber immer auch den Wunsch gehegt, Mode selber zu machen. „Meine Mutter war Schneidermeisterin, sie hatte ein tolles Atelier“. Und wie das mit Träumen so ist, zumindest wenn man sie nicht vorzeitig begräbt, kommt die Zeit, wo man sie auch umsetzen möchte. Johanna belegte also einen Abendkurs an einer Mode-Akademie in Wien, studierte im Rahmen eines Sabbaticals in Padua weiter – „es wurden zwei inspirierende Jahre daraus“ – und nahm danach eine Lehrstelle in Vicenza bei einer Designerin an, die für Dolce & Gabbana und Prada gearbeitet hat. „Dort habe ich das Wichtigste gelernt“, erzählt sie. Ihr eigenes Atelier zu eröffnen war dann der Schritt in die konkrete Umsetzung ihres Traums.artelier - johanna finger 4+5 (c) susanne bartaMit großer Begeisterung erzählt Johanna über ihre eigenen Mode-Ambitionen. Sie hat viel vor. Möglichst wenige Kilometer soll die Produktion ihrer Stücke benötigen, Made in Südtirol ist ihr ein großes Anliegen, sie arbeite so nachhaltig wie möglich und vor allem möchte sie das Handwerk aufwerten und vermitteln, wie viel Arbeit und Zeit in einem Kleidungsstück steckt. Aber sie möchte auch dazu inspirieren, wieder mehr selber zu machen. Kleidung ist für Johanna etwas Individuelles, etwas, das mit den global agierenden (Fast)-Fashion-Konzernen und ihrem Mainstream-Stil immer weniger zu finden ist. Deshalb arbeitet sie vor allem mit Reststoffen von Unternehmen und Flohmarkt-Stoffen, zu neuen Materialien greife sie nur, wenn sie sich in ein Muster, eine Textur oder in Farben verliebe. Die Designs der Kleidungsstücke entwickelt sie selbst, „ich verschönere gerne Frauen“, sagt sie.

Darüber hinaus bietet Johanna auch Änderungsschneiderei an, Maßanfertigung mache sie nur selten, da nur wenige Leute heute bereit seien für diese Arbeit entsprechend zu bezahlen. „Wer H&M-Preise gewöhnt ist, möchte nicht einige hundert Euro für einen Mantel ausgeben. Aber in einem handgefertigten, gefütterten Mantel von mir stecken mit Entwurf mindestens 40 Stunden Arbeit.“ artelier 1 (c) susanne bartaIn Johannas Atelier hängen Jacken, Hosen, Blusen, Mäntel in verschiedenen Farben und unterschiedlichen Schnitten. Bisher hat sie vor allem in ihrer eigenen Größe geschneidert, Johannas ist klein und zart, sie wirkt wie eine freundliche Fee, eine moderne natürlich. Aber schon bald soll es mehr Modelle in größeren Größen geben. Ihren Design-Stil beschreibt Johanna so: „Einfache Linien, ich möchte mit wenig Materialaufwand etwas Schönes machen, ich schätze japanischen Minimalismus und liebe Farben.“

Und wie kleidet sie sich selbst? „Bis ich zu schneidern begann nur Secondhand, ich bin ein Humana-Fan, gehe gerne auf Flohmärkte und jetzt trage ich natürlich auch meine Sachen. Aber eigentlich bin ich meistens mit meiner zweiten Haut unterwegs, ich habe ein paar Lieblingsstücke, die trage ich ständig.“artelier 7+8 (c) johanna finger + susanne bartaVor kurzem hat Johanna aus einem alten Ballkleid einer Kundin ein Dirndl, geschneidert. „Ich möchte, dass Kleidungsstücke gerettet werden, deshalb ist mir die Änderungsschneiderei so wichtig.“artelier 9 (c) johanna fingerIhre Schneiderei bezeichnet Johanna auch als „Artelier“, es soll ein Ort entstehen, wo sich Leute wohlfühlen und gerne aufhalten. Dazu wird sie immer wieder Bekannte einladen, ihre Bilder und Kunstobjekte zu zeigen. Derzeit sind Arbeiten von Evelyn Rier im Artelier zu Gast. Evelin recycelt Polyesterplatten, schneidet sie mit dem Ritzmesser ein und bespannt sie mit verschiedenen Stoffresten.  Die Idee sei ihr im Lockdown gekommen, erzählt sie, ihre „Sustainable Art“ mache ihr sehr viel Freude. Evelyn arbeitet für eine Pharmafirma, ihre Bilder sind noch ein Hobby. Johanna und Evelyn jedenfalls erfreuen sich an den Arbeiten der jeweils anderen.artelier 10 (c) johanna fingerUnd noch einen Gast hat Johanna in ihrer Werkstatt. Ihre Wiener Freundin Kathrin Mayer überzieht für ihr soziales Projekt „1.000 Taschen – Mütter helfen Mütter“ Ikea-Taschen mit Reststoffen. Die kann man nun auch bei Johanna kaufen. artelier 11+12 (c) susanne barta

Wenn ihr neugierig seid auf das, was Johanna macht, schaut vorbei. Ihre Schneiderei ist eine kleine Fundgrube. Mittwoch bis Freitag von 11:00 bis 20:00 Uhr ist die Werkstatt geöffnet, einen Termin könnt ihr unter +39 324 0485729 vereinbaren. 

 

Fotos: (1, 4, 5, 6, 8, 11, 12) © Susanne Barta; (2, 3, 7, 9, 10) © Johanna Finger. 
(9): Evelyn Rier trägt einen Mantel von Johanna, (10) mit einigen ihrer Bilder; (11) Susanne probiert einen Hosenrock von Johanna. 

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