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March 30, 2022

“Capi belli, sani, giusti, puliti e durevoli”

Susanne Barta

Ja, solche Kleidungsstücke wünschen wir uns. Wenn auch bereits immer mehr Unternehmen auf dem Weg sind, solche Kleidungsstücke zu produzieren, sind es noch immer viel zu wenige. Vor einiger Zeit konntet ihr hier ein Interview mit Dario Casalini, CEO von Oscalito, lesen, in dem wir uns über die ambitionierten Produktionsgrundsätze der Turiner Traditionsmarke unterhielten. Dario hat vor kurzem ein Buch veröffentlicht, in „Vestire buono, pulito e giusto. Per tornare a una moda sostenibile“ wendet er die Slow-Food-Prinzipien „gut, sauber und fair“ auf die Textilindustrie an – ergänzt um „durevole“, „langlebig“. Das Buch ist denn auch bei Slow Food Editore erschienen, in italienischer Sprache, mit einem Vorwort von Carlo Petrini. Dario Casalini ist nicht irgendein Autor, der über nachhaltige Mode, über „Slow Fashion“ schreibt, er weiß genau wovon er spricht, denn er kennt nicht nur die globalen Zusammenhänge, sondern auch die tagtäglichen Probleme und Herausforderungen in der Textilproduktion. Nach einer akademischen Karriere als Dozent für öffentliches Recht, hat Dario 2013 das Familienunternehmen Oscalito übernommen, das seit 1936 Qualitätsbekleidung, vor allem Unterwäsche, produziert und hat es noch konsequenter als bisher auf einen nachhaltigen Kurs gebracht. dario casalini 2 (c) susanne bartaDario erzählt in seinem Buch eine große Geschichte. Mit vielen historischen, philosophischen, religiösen und psychologischen Bezügen, mit Rückgriffen auf die Evolution des Menschen und gesellschaftliche Entwicklungen. Er zeichnet nach, wie aus dem grundlegenden Bedürfnis des Menschen, sich durch Bekleidung vor Klimaeinflüssen zu schützen, eine globale, komplexe, finanzstarke, ressourcenintensive und auch ausbeutende Industrie geworden ist. Dario wünscht sich hier einen Paradigmenwechsel, nicht nur ein paar kosmetische Eingriffe. Sein tiefes Bedürfnis, grundlegende Veränderungen voranzutreiben und sich für eine bessere und gerechtere Welt einzusetzen, zieht sich durch das ganze Buch.dario casalini 4 (c) susanne bartaGleich am Anfang die grundlegende Frage: „Ist der Mensch Gast auf der Erde oder Herrscher über die Natur?“ Die Beherrschung der Natur durch den Menschen habe Wissenschaft, Technologie und wahllose Entwicklung auf Kosten anderer Lebewesen in einer anthropozentrischen Perspektive gerechtfertigt. Auf Basis der Slow-Food-Prinzipien plädiert Dario für einen ganzheitlichen Blick und zu einem Zurück zu nachhaltigen Praktiken, „wie sie unseren Vorfahren seit vielen Jahrtausenden bekannt waren“. Ganz stimme ich dem nicht zu, denn ein Zurück gibt es in meinen Augen nicht, der Mensch ist auch kein Gast auf diesem Planeten, wir sind Teil davon, aber wir sollten uns wie gute Gäste benehmen. Dass die Perspektiven zum Teil grob verschoben sind und wir auf Kosten anderer, auch anderer Menschen, in anderen Weltgegenden leben, ist leider eine Tatsache. 

Kritisch setzt sich Dario damit auseinander, ob wir mitten in einer grünen Revolution sind oder ob es sich bei den meisten als „nachhaltig“ deklarierten Aktivitäten vor allem um Greenwashing handelt. Die Modeindustrie hat sich zu einer weltumspannenden, Mensch und Natur belastenden Industrie entwickelt, mit wenig transparenten Lieferketten. Bis auf kleine Korrekturen hat sich das bis heute nicht verändert. Hier plädiert er für ein neues Produktions- und Konsummodell. Dario untersucht auch wie es überhaupt so weit kommen konnte, dass wir da stehen, wo wir gerade stehen. Mit Phänomenen wie Fast Fashion, Überkonsum, kurzlebigen Trends, qualitativ schlechten Materialien, Ressourcenverschwendung, Ausbeutung von Umwelt und Menschen, ästhetischem Mainstream, Bloggern und Influencern, die das alles ziemlich gedankenlos befeuern.dario casalini 5 (c) susanne bartaDario wäre nicht Italiener und die Slow-Food-Bewegung nicht in Italien entstanden, wenn nicht auch „bellezza“, Schönheit und Freude „felicità“ eine große Rolle spielten. Denn Kleidung, Mode ist auch Selbstausdruck, ist Spiel, Leichtigkeit und Kreativität, und auch dem sei entsprechend Rechnung zu tragen.  

Die komplexen Lieferketten – vom Anbau bis zum fertigen Produkt im Geschäft – machen Veränderung nicht einfach. In der Zwischenzeit wissen wir auch mehr darüber, wie viele Probleme es entlang dieser Lieferketten gibt. „Deswegen“, sagt Dario, „dürfen Kleider nicht nur schön sein, sondern braucht es auch eine möglichst transparente Nachvollziehbarkeit zu Herkunft und Produktion, zu Einhaltung von Sozial- und Umweltstandards.“ Was es ebenso brauche ist, einen umfassenden Blick auf die realen Kosten eines Kleidungsstückes zu werfen, wo alles mit drin ist, also auch der CO2-Fußabdruck, die Schäden an Umwelt und Menschen. dario casalini 6 (c) susanne bartaSympathisch macht das Buch, dass Dario die Überforderung, auch die eigene, offenlegt, ob der Größe der Herausforderungen. Das Buch ist gewissermaßen Bestandsaufnahme, als auch Anklage, als auch Suche nach Lösungen. Den Weg könnten und sollten die genannten Prinzipien von Slow Food weisen – gut, sauber, fair und langlebig –, um konsequent auf eine subsistente, kreislauffähige Wirtschafts- und Lebensweise umzustellen. Auch wenn jeder noch so kleine Schritt zähle, sagt er, brauche es mutigere Schritte. 

Ein Kapitel in seinem Buch widmet Dario der Haut. Die Haut ist unser größtes Organ, wir tragen Kleidung direkt auf ihr und das oft für lange Zeit. Die meisten von uns wissen viel zu wenig über die Kleidungsstücke, die wir tagtäglich tragen. Aus eigener Erfahrung weiß ich, wer beginnt, sich mit Produktionsweisen und Inhaltsstoffen auseinanderzusetzen, der stehen ziemlich schnell die Haare zu Berge. Die Textilindustrie hinkt hier der Lebensmittelindustrie weit hinterher, was Transparenz der Inhaltsstoffe, Zulassungen und Kontrollen betrifft. dario casalini oscalito (c) susanne bartaÜberhaupt spielen Materialien eine wichtige Rolle in Darios Buch, er schreibt über Naturfasern und synthetische Fasern, die Produktionsprozesse dahinter, über Vor- und Nachteile verschiedener Materialien, Zertifikate – aber eben nicht nur aus wirtschaftlicher Sicht. Und er fordert die Konsument*innen auf, sich besser zu informieren, um dann auch bessere Kaufentscheidungen treffen zu können. „Dovremmo manifestare per la filiera tessile che sta dietro all’indumento, di cui stiamo valutando l’acquisto, la stessa curiosità di particolari che solitamente abbiamo di fronte a una specialità gastronomica o a un vino sconosciuto.”

Interessant sind auch die Ausführungen zur Entwicklung der Textilindustrie in Europa, in Italien, zu ihrer Bedeutung und auch ihrem Niedergang mit der Auslagerung der Produktion in Länder mit niedrigen Sozial- und Umweltstandards. Die Folgen in Italien zum Beispiel waren gravierend und sind es bis heute.dario casalini 9 (c) susanne bartaAlles in allem ein umfassendes, informatives, interessantes, ab und an auch Widerspruch anregendes Buch. „Vestire buono, pulito e giusto. Per tornare a una moda sostenibile” von Dario Casalini ist bei Slow Food Editore erschienen. Und: Wer mehr darüber erfahren möchte, wie eine verantwortungsvolle Produktionskette aussehen kann, der sollte sich die Marke Oscalito genauer anschauen.oscalito dario casalini (c) susanne barta

Fotos: © Susanne Barta
Die Fotos 2–9 wurden in der Fabrik von Oscalito in Turin aufgenommen; Foto 10 vor dem GREENSTYLE Pop Up Store in München; Foto 11 auf der Messe „Body & Beach“ in München.

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