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March 23, 2022

Richard Vill und das richtige Maß

Susanne Barta

Der Südtiroler Modemacher Richard Vill hat viel zu erzählen. Mit Begeisterung spricht er über seine (Mode-)Welt. Wir treffen uns im Parkhotel Laurin und aus einem choreographierten Interview wird eine spannende Lebenserzählung. Interessiert hat mich vor allem sein Zugang zu Nachhaltigkeit, denn damit hat er sich schon zu einer Zeit beschäftigt, als das noch alles andere als ein Thema war, geschweige denn ein Trend. Richard Vill hat Südtiroler Modegeschichte geschrieben. 

Sportschwimmer, ausgebildeter Therapieschwimmer, Unternehmer, Designer, Experte für Leinen, Obmann der Berufsgruppe Textiles Handwerk im Landesverband der Handwerker, Lehrender, Organisator, Vortragender, Gründer der Europäischen Textilakademie, Autor verschiedener Bücher über Textilien, Ausstellungskurator – Richard Vill hat nach „sportlichen“ Anfängen sein berufliches (vermutlich zum Teil auch privates) Leben der Welt der Textilien und der Mode verschrieben.

Richard Vill 1 © Richard Vill

Richard, Nachhaltigkeit und die Nachvollziehbarkeit der Lieferkette waren für dich als Modemacher von Anfang an wichtig. Die meisten hinken da bis heute hinterher …

Auch wenn Fast Fashion immer schneller neue Kollektionen auf den Markt bringt, stelle ich doch zunehmend fest, dass verschiedene Aspekte von Nachhaltigkeit wie Transportwege, Material, Verarbeitung, Tierschutz, Landwirtschaft wichtiger werden. Es braucht Geduld, aber ein gewisser Kreis von Kunden möchte wissen, wo und wie etwas produziert wurde und legt Wert auf die Einhaltung sozialer Standards. Die kleine oder auch etwas größere Manufaktur ist in meinen Augen das Optimale, Größe ist immer eine Gefahr, denn ab einer gewissen Größe kann ein Unternehmen gar nicht mehr nachhaltig agieren.

Richard Vill hat sich eingehend mit dem Thema der „richtigen“ Größe, dem „richtigen“ Maß beschäftigt und bezieht sich dabei auf den Ökonom Leopold Kohr, der u. a. sagte: „Wo immer etwas fehlerhaft ist, ist es zu groß.“
Sein Textil- und Modeunternehmen RICHARD VILL hat er 1985 gegründet und sich von Beginn an in seinen Kollektionen auf Leinen spezialisiert. Ja, sogar begonnen, Flachs selbst anzubauen und die Verarbeitung zu Leinen vor Ort zu unterstützen.

Richard Vill 2+3 © Richard Vill

Richard, wieso Leinen?

Eine Dame, die ich damals schwimmtherapeutisch begleitete, hat mir als Dank einen Ballen Leinen geschenkt und ich habe mir daraus alle möglichen Kleidungsstücke machen lassen. Ich war fasziniert von diesem Material. Sie hat mir dann auch einen Acker zur Verfügung gestellt und mir gezeigt, wie man Flachs anbaut. Ab dem Moment als ich „meinen“ Flachs wachsen sah, wollte ich unbedingt auch mit diesem Material arbeiten. Ich absolvierte eine Ausbildung in Bielefeld als Textiltechniker und gründete bald darauf mein eigenes Modeunternehmen. Schon meine erste Kollektion bestand ganz aus Leinen. Leinen ist ein archaisches und gleichzeitig auch ein lokales Material. Ich möchte nicht mit einem Material arbeiten, das hier nicht wächst. Leinen ist die einzige europäische Faser von Bedeutung. Klassische Anbaugebiete sind Frankreich, Belgien, Holland und Russland. Die besten Spinnereien und Webereien gibt es nach wie vor in Italien.

Richard Vill bezeichnet sich als Modemacher. Er arbeitet eng mit seinen Partnern zusammen, beim Anbau der Fasern, beim Spinnen, Färben, Zuschneiden und Nähen. Für jeden Schritt hat er sich die Besten gesucht. „Einer allein kann das nicht“, sagt er, „und wichtig ist, die gesamte Lieferkette unter Kontrolle zu haben“. Dafür brauche es langjährige Partnerschaften, wo man sich Feedback gibt und einander vertrauen kann. In einer Zeit, wo viele Betriebe bereits begannen, ihre Produktionen auszulagern, hat er auf eine lokale Produktion bestanden. „Das am weitesten entfernte Labor, mit dem wir gearbeitet haben, war zwischen Venedig und Triest.“

Richard Vill 4 © Richard VIllWie war das Feedback auf deine ersten Kollektionen?

Meine Ausbildung als Textiltechniker war sehr umfassend, ich habe die Grundlagen des Handwerks gelernt, angefangen von Webtechniken, über Spinnereiverfahren bis zu den Zuschnitten. Ich wusste, was ich wollte und wie es umzusetzen war. Für meine erste Kollektion habe ich alte Leinenstoffe zusammengekauft. Das Feedback war sehr gut und schon bald war ich mit meinen Kollektionen in den besten Modefachgeschäften Südtirols vertreten. 1991 wurde ich zum Jungunternehmer des Jahres gewählt und bald darauf zogen wir in den historischen Ansitz Hebenstreit in St. Lorenzen als Firmensitz. Zunächst habe ich nur Mode für Frauen gemacht, die Herrenmode kam später dazu.

„Diesen Job muss man leben“, sagt Richard Vill mit Überzeugung, „da ist nix mit 9 to 5, wenn ein Kunde nur am Sonntag um 16 Uhr Zeit hat, dann hat man da zu sein. Es braucht Disziplin, Durchhaltevermögen und Konzentration.“ Diesen Ratschlag gibt er auch jungen Kolleg*innen mit auf ihren Weg.
Den einzigen Flop landete Richard Vill in den USA. „Was war ich für ein Greenhorn“, erzählt er, „beim Versuch am US-amerikanischen Markt Fuß zu fassen, hat nichts geklappt, das war einfach einige Schuhnummern zu groß für mich.“

Richard Vill © Hermann Maria Gasser + Richard Vill

Mit seiner eigenen Marke war Richard Vill bis 2010 aktiv, seit damals arbeitet er nur mehr projektbezogen, zuletzt hat er eine Bettwäsche-Kollektion entworfen. Dafür unterrichtet, schreibt und organisiert er umso mehr. Bis 2014 hat er sich als Obmann der Berufsgruppe Textiles Handwerk im LVH auf Verbandsebene für die Stärkung und Weiterentwicklung des textilen Handwerks eingesetzt, 2016 gründete er die Europäische Textilakademie. Mit den Aktivitäten der Akademie soll nicht nur das Bewusstsein für das Textilwesen geschärft, sondern auch eine Plattform aufgebaut werden, wo Produzenten mehr Sichtbarkeit bekommen, sich vernetzen und auch verkaufen können. Dazu veranstaltet die Europäische Textilakademie zweimal jährlich ein Textilfestival. Wer dabei sein möchte, muss bestimmte Kriterien erfüllen, wie Manufakturcharakter, transparente Lieferketten, entsprechende Sozialstandards und hochwertige Materialien europäischer Herkunft. Die nächste Ausgabe findet dieses Wochenende auf Schloss Maretsch in Bozen statt.

Richard Vill 8 © Richard VillRichard, du setzt stark auf handwerkliches Können, auf analoge Prozesse. Wie stehst du zu digitaler Mode?

Das Thema beschäftigt mich. Ich bin ja verantwortlich dafür, dass sich unsere Plattform weiterentwickelt, aber ich habe auch Bedenken. Warum man ein Kleid virtuell kaufen möchte, kann ich nicht nachvollziehen, aber die technischen Möglichkeiten, die sich daraus ergeben, können sehr interessant sein, zum Beispiel um Farben und Formen auszuprobieren. Meiner Beobachtung nach gehen wir immer weiter weg vom Analogen, ich plädiere für das Gegenteil: mehr analoges, praktisches Denken und Arbeiten und vor allem die Zusammenhänge verstehen. 

„Kleider erzählen viel über die Gesellschaft, in der wir leben“, hast du in einem Interview gesagt. Was erzählen sie denn so gerade?

Obwohl wir die Freiheit haben anzuziehen, was wir möchten, sind wir heute weitgehend uniformiert. 80 bis 90 % tragen zum Beispiel Turnschuhe. Das sage ich ohne Wertung, aber es fällt auf. Dazu ein interessanter Vergleich: Vor 40 Jahren trugen die meisten Chinesen noch die typische „Mao-Jacke“, schaut man sich heute in China um, wirkt alles bunt und sehr individuell, bei uns, ganz ohne Zwänge, geht es genau in die entgegengesetzte Richtung. 

Was ist für dich guter Stil?

Ich möchte das mit Hugo von Hofmannstal beantworten: „Guter Stil ist es, ständig der Übertreibung entgegenzuwirken.“ Ich achte auch darauf, ob sich eine Person in dem, was sie trägt, wohl fühlt und nicht verkleidet daherkommt. Wenn jemand „überpowert“, dann ist das nicht mehr Er oder Sie. Guten Stil kann man nicht einfach mit viel Geld kaufen, guter Stil hat für mich auch mit Wertschätzung, Bildung, mit Kinderstube zu tun. Wie man mit seiner Kleidung umgeht, wie man sie pflegt, sich dem Anlass entsprechend kleidet, das sagt viel aus.

Seit einiger Zeit beschäftigt sich Richard Vill auch mit dem Thema Wolle. Ein wenig habe er das Gefühl fremdzugehen, sagt er. Ob Leinen oder Wolle, ob Mode machen oder unterrichten, ob organisieren oder vernetzen – für Richard Vill ist eines wichtig: das richtige Maß zu finden, in jeder Hinsicht. „Extreme sind nie gut, sie verbauen einem nur den Weg, etwas zu verändern.“

Richard Vill hat einige Bücher veröffentlicht, in denen er tiefe Einblicke in unsere textile Kulturgeschichte gibt: der Band „Leinen“ ist im Verlag Tauriska erschienen und im Verlag der Europäischen Textilakademie publizierte er „Samt und Seide im historischen Tirol 1000 bis 1914“.

Textilfestival + Michael Klammsteiner © Susanne Barta

Die nächste Ausgabe des Internationalen Festivals für textiles Handwerk, textile Kunst und Design findet von 25. bis 27. März auf Schloss Maretsch in Bozen statt. Tickets gibt’s vor Ort oder auch schon hier.

 

Fotos: (1–5, 7–8) © Richard Vill, (6) © Hermann Maria Gasser, (9) Ausstellung im Rahmen des Textilfestivals Oktober 2021 © Susanne Barta, (10) Der Südtiroler Designer Michael Klammsteiner auf dem Textilfestival © Susanne Barta 

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