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March 18, 2022

Silvia Morandi: Performance und der Austausch zwischen den Arten

Maria Oberrauch

Im Juli 2020 kümmerte sich die Performerin Silvia Morandi um eine junge Mehlschwalbe. Die Erfahrung mit der geflügelten Mitbewohnerin bot ihr eine ungewohnte Nähe zu einem Wildtier, das normalerweise in großer Distanz zu Menschen lebt. Einen Bruchteil dieser Beziehung ließ Silvia Morandi von der befreundeten Dokumentaristin Alexandra Kaufmann fotografisch festhalten, kurz bevor sie den Vogel wieder der Natur zurückgab. Das Ergebnis wurde im Meraner Pallais Mamming ausgestellt, Silvia Morandis umfassende, fachübergreifende Recherche ist aber noch lange nicht abgeschlossen. Intensiv sind ihre Antworten und manchmal auch etwas emotional. Ein Mensch, eine Performerin, eine Künstlerin, die tief geht mit dem, was sie tut. Und dadurch Momente schafft, die wir nur schauen können – wie sie uns lässt.

Erzählst du mir vom Entstehen von „Anima Condivisa“?

Im Juni 2020 übernahm ich von einem Bekannten ein aus dem Nest gefallenes Schwalbenbaby. Ich rief bei der Vogelauffangstation in Bozen an und die Sachbearbeiterin erklärte mir, dass die Station geschlossen sei und ich es daher selbst aufziehen müsse. Die Kuratorin Miroslava Hajek in Bozen schlug mir  ein paar Tage später vor, ein Projekt der visuellen Sprachen zu entwickeln, um diese berührende Erfahrung mit dem kleinen Vogel einem Publikum nahe zu bringen. Die Dokumentarfilmerin Alexandra Kaufmann, eine gute Freundin, kam sofort nach Bozen und an einem Sonntag im Juli entstanden die Fotos, die Teil des Projekts Anima Condivisa geworden sind. Im September 2021 konnte ich, dank tatkräftiger Unterstützung von Ulrich Egger, Tiziano Rosani und Miroslava Hajek, die Ausstellung „Anima Condivisa“ im Palais Mamming realisieren. 

 War die Vogelpflege deine erste intensivere Erfahrung mit einem nicht domestizierten Tier? Was hast du aus dieser Zeit mitgenommen?

Ja, war es. Am Anfang hätte ich mir nie vorstellen können, dass sich zwischen mir und dem Schwalbenschwanzbaby eine so intensive Beziehung entwickeln würde. Ich habe Vögel immer als Bewohner einer fernen Dimension, des Himmels, betrachtet, die für uns Menschen unzugänglich ist. Am zweiten Tag wurde mir klar, wie vollkommen er sich mir anvertraute; ich war seine Mutter geworden, und dieses Gefühl war überwältigend. In den folgenden Wochen beobachtete ich, wie sich sein Gefieder entwickelte und er erste Flugversuche startete. Die Fähigkeit des Vogels, immer mit der ihn umgebenden Realität, aber auch mit seinem eigenen Sein verbunden zu sein, empfand ich als eine große spirituelle Lehre. Unser Austausch überschritt die Grenzen zwischen den Arten und wir fanden zu einem gemeinsamen Gefühl, einer ursprünglichen Schwingung, die uns allen gemein ist.

003 Anima Condivisa Alexandra Kaufmann 2020_D3C5006_A3_DAK copia

Du bist Performerin und berichtest, auch der Vogel hätte performt, als die Kamera auf ihn gerichtet war. Wie hat sich das geäußert? 

Am Tag des Fotoshootings verweilte die kleine Schwalbe lange Zeit still auf dem Regal, auf dem sie sich normalerweise nach langen Flügen ausruhte. Sie spürte die Spannung in der Luft, sammelte wohl Kraft und als nachmittags die Sonne unterging, flog sie plötzlich von meinem Handgelenk in mein Haar. Sie erkannte das Kameraobjektiv und änderte die Position, bewegte sich, tief verbunden mit Alexandra und mir, durch mein Haar und war, so schien es mir, zugleich ganz bei sich: Dieser Blick, der ins Innere sehen lässt … für mich als Künstlerin, ist diese Qualität von Präsenz und Bewegung wahnsinnig schön. Und ich glaube, dass nur Alexandra und ihre Sensibilität dieses Erlebnis möglich gemacht haben. Von Anfang an teilten wir eine Sprache ohne Worte.

Zur Ausstellungseröffnung von „Anima Condivisa“ fand ein Talk statt, der das Projekt aus Sicht der Kunst, der Philosophie und der Naturwissenschaften betrachtete und diskutierte …

In der Vorbereitungsphase der Ausstellung hat der Austausch mit Miroslava Hajek vieles angestoßen und ich fand es wichtig, gewissen Fragen mit Experten aus verschiedenen Disziplinen auf den Grund zu gehen. Unsere Debatte konzentrierte sich „auf die Seele als einen sensiblen Teil, der historisch verleugnet oder den Tieren nicht vollständig zugestanden wurde …“, so formuliert es Johanna Platzgummer, Historikerin und Wissenschaftsvermittlerin am Naturmuseum Südtirol. „Jedes Tier hat eine innere Welt voller Gefühle und Emotionen, entwickelt eine individuelle Persönlichkeit und ‘schreibt’ seine eigene Biografie. Auch heute noch weigert sich die Wissenschaft, diese Dimension in ihren Ansatz zu integrieren, weil sie sich den starren Analysekriterien und Protokollen entzieht …“. Claudio Calissoni, Verhaltensforscher, Veterinärtechniker und Vogelbeobachter, bestätigte mir, dass die emotionale und affektive Dimension eine entscheidende Rolle für das Überleben eines Vogelbabys am Anfang seines Lebens spielt: „In meinem Leben habe ich Tausende von Vögeln gerettet und gepflegt, und jedes Mal (…) bevor ich es der Natur zurückgab, hat sich das betreute Tier umgedreht und mich mit einem einzigartigen und besonderen Blick angesehen, der für mich bedeutet: Danke, mein Bruder.“ Den Talk mit Verweisen in die Kunstwelt bereichert haben außerdem der Künstler Hannes Egger und der Kunsthistoriker Michele Fucich.001 Anima Condivisa Alexandra Kaufmann 2020_D3C4837_noCHAIR_A3

Ich stelle mir Performance als etwas extrem Schwieriges vor. Es ist Exposition. Das Arbeiten im Augenblick. Mut. Verletzbarkeit. Warum bist du Performerin? Was macht es mit dir? 

Ich bin von Natur aus sehr introvertiert. Ich liebe die Stille, die Intimität im Dialog mit ein paar guten Freunden; die Kunst der Performance erlaubt mir, eine Dimension extremer Offenheit, des Risikos, des Teilens mit einem großen Publikum auf einer sehr intensiven Ebene. Das Performen macht mich verletzlich und ermöglicht mir zugleich, mich Ebenen des Seins und der Existenz zu nähern, die den meisten Menschen verborgen bleiben. Über die geteilte Erfahrung mit dem Publikum verbinde ich mich wieder mit einem Feld von Kräften und einer subtilen und tiefen Körperwahrnehmung; auch die Zuschauer*innen erkennen sich selbst in einem gemeinsamen Gefühl. 

Wie entwickeln sich deine Arbeiten? Gibt es spontane Elemente oder sind deine Perfomances genau geplant?

An ortsspezifische Projekte gehe ich mit einer forschenden Haltung heran: Ich bleibe lange an einem Ort und erkunde die Dimension des Raums und der Objekte. Nach und nach suggeriert mir die Umgebung Strukturen und Materialien einer choreografischen Komposition innerhalb einer nicht-linearen Dramaturgie. Ich halte jede Phase meiner Arbeit bis zum Schluss offen, denn die Begegnung mit dem Publikum betrachte ich als Fortsetzung der Recherche und die intensive Vorbereitung erlaubt es mir, ein Terrain zu kultivieren, auf dem auch etwas Unerwartetes geschehen kann.007 Silvia Morandi Modus Operandi Foto Bene Malen, 2017

Was kann Performance, was andere Kunstgattungen nicht können?

Das Instrument des Interpreten ist sein eigener Körper. Die physische Begegnung mit einem Ort und Menschen lässt die Grenzen zwischen Kunst und Leben verschwimmen und sich neue Dimensionen enthüllen. Performance bildet ein unwiederholbares Ereignis.

 Und welche Rolle spielt Sound in deinen Arbeiten?

Ich betrachte Klang als eine Verstärkung von Elementen, die in der Umgebung vorhanden sind oder mit den von mir verwendeten Materialien zusammenhängen: Bei der Performance „White 0“ trug ich beispielsweise ein handgenähtes Papierkleid; die Bewegung meines Körpers erzeugte spontan sehr interessante Klänge im Papier, die in den Aufnahmen wertvoll für die Musikkomposition wurden. Ich interessiere mich für eine Stille voller authentischer Klänge, die den Körperatem und seine Handlungen verstärken.

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Was birgt die Zukunft?

Ich möchte mich der Begegnung mit der Natur widmen und meine Forschungen zu „Anima Condivisa“ vertiefen; das hat schon fast existenzielle Dringlichkeit für mich. Ich plane aber auch die Umsetzung eines Projekts, das sich mit den Sprachen der Performance und der Grenze von Beziehungen zwischen den Tierarten beschäftigt. Als Artist in Residence beginne ich demnächst eine Zusammenarbeit mit der Scope BLN Art Gallery in Berlin.

Fotos:  (1, 2, 3) Alexandra Kaufmann, (4) Bene Malen, (5) Davide Grotta 

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