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March 14, 2022

Vienna Calling? – Gerd Hermann Ortler komponiert

Eva Rottensteiner

 Sie malen, sie sprechen, sie schreiben, sie fotografieren, sie experimentieren, sie musizieren, sie künstlern. Fernab vom Brenner. Um in Wien zu Stadtkindern zu werden. Was sie dort treiben, wie sie leben, warum sie den Bergen, dem Aperol und den Äpfeln den Rücken gekehrt haben. „Vienna Calling?“ ist eine Porträtreihe über Südtiroler Kunst- und Kulturschaffende in Wien. Und weil die Kunst Assoziationen spinnt und verwebt, stellen wir unseren Gästen ausnahmsweise mal keine Fragen, sondern Wörter. Sie dürfen assoziieren und wir in ihre Köpfe eintauchen.

Gerd Hermann Ortler, *1983 in Glurns, ist Komponist und Arrangeur für Jazz und Klassik in Wien. Er ist Gründer des GHO Orchestra und hat u. a. Werke für das Wiener Konzerthaus, die Philharmonie Luxembourg, das Metropole Orchestra und Joshua Redman geschrieben. In Südtirol waren seine Werke beispielsweise beim Südtirol Jazzfestival oder bei Transart zu hören. Seine Komposition »Passion« zu Bildern von Gottfried Helnwein wurde im Albertina Museum mit Solisten der Wiener Philharmoniker sowie dem radio.string.quartet aufgenommen und 2021 als Musikfilm veröffentlicht. Gerd Hermann Ortler dirigiert auch manchmal, zum Beispiel im Wiener Musikverein und im Wiener Konzerthaus. Beim Opernball 2019 leitete er die Uraufführung seiner »Jubelfanfare – 150 Jahre Wiener Staatsoper«. Außerdem lehrt er an der Universität für Musik und darstellende Kunst in Wien. Er ist zweifacher Preisträger des US-amerikanischen »DownBeat Student Music Award« und ihm wurde das österreichische Staatsstipendium für Komposition sowie der Förderungspreis der Stadt Wien verliehen. Im Mai 2022 wird sein jüngstes Werk »Urknall«, ein Kompositionsauftrag des Wiener Konzerthauses, von Olivier Latry, philBlech Wien und der Wiener Singakademie uraufgeführt werden. Im September 2022 wird erstmals ein Werk von ihm in der Elbphilharmonie Hamburg zu hören sein.Mann mit Laptop, Kopfhörern und Sonnenbrille auf Terasse in schwarz weiß

GENRES MISCHEN

In meiner Musik finden sich Essenzen verschiedenster Genres wieder. Diese verschmelze ich zu einer persönlichen, stilübergreifenden Tonsprache, die meine kreative Vorstellung kompromisslos abbildet. Darüber hinaus bette ich meine Musik in ein breites Spektrum von Kunstformen ein, welche sich gegenseitig befruchten und ergänzen. Ich lasse mich beispielsweise sehr gerne von der bildenden Kunst inspirieren, so wie in meinem Werk „Passion“, das wir nachts im Albertina Museum vor Bildern von Gottfried Helnwein aufgenommen haben.

KOMPONIST SEIN

Komponist sein bedeutet entgegen aller Widrigkeiten das innere Kind zu bewahren, ist es doch das kreative Wesen in uns. Die Herausforderung ist es Tag für Tag aufzustehen und dieses Kind mit Klängen spielen zu lassen.

GESCHICHTEN ERZÄHLEN

Ich sehe mich tatsächlich als Erzähler, der musikalische Elemente zu einer Geschichte verwebt. Jede Komposition soll für sich ein kleines musikalisches Universum sein und einem dramaturgischen Bogen folgen.Mann mit Sonnenbrille und gestreiftem Jacket in schwarz weiß

LEHRE

Komposition zu lehren ist eine komplexe Aufgabe. Neben der Vermittlung handwerklicher Fähigkeiten gilt es den Studierenden bei der Weiterentwicklung ihres künstlerischen Profils sowie bei der Schärfung ihrer musikalischen Vorstellungskraft zur Seite zu stehen. Es geht darum, das Feuer weiterzugeben, das einem selbst von den vorangegangenen Generationen gereicht wurde.

»URKNALL«

So lautet der Titel meines jüngsten Werkes für Orgel, Blechbläserensemble, Schlagwerk und Frauenchor, das ich im Auftrag des Wiener Konzerthauses komponiert habe: Stellen Sie sich vor, das Nichts. Plötzlich ein winzig kleiner Funke, der sich immer weiter ausdehnt und sich unaufhaltsam zum Universum ausbreitet. Und Sie sitzen mittendrin! Die buntesten Klangfarben und flirrenden Linien der gewaltigen Orgel, die sphärische Schwerelosigkeit und zugleich monumentale Kraft des hundertköpfigen Frauenchores sowie der strahlende Glanz des Blechbläserensembles vereinen sich mit der pulsierenden, dynamischen Energie des Schlagwerks. Im Konzertsaal entspinnen sich Teilchen, Wellen und Strahlen. Galaxien eröffnen sich. Klang durchflutet den Saal, Bühne und Zuschauer*innenraum verschmelzen. Der Urknall ist die Initialzündung aller schöpferischen Kraft und damit auch die Geburt des unendlichen Universums unserer Fantasie. Jeder Gedanke, jede Idee, jeder Schöpfungsprozess, ja auch jede*r von uns ist ein kleiner Urknall und trägt das Universum in sich.

Mann mit Bariton von hinten

Fotos: (1) Helga Traxler, (2) Veronika Schicho, (3) Elisa Maier

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