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March 10, 2022

HABITAT 02 – Reflexionen zum (Be)Leben von Museen

Maria Oberrauch

Gehe ich heute ins Museum, dann nehme ich mir viel Zeit. Ich haste nicht mehr von Raum zu Raum, ich muss nicht alles sehen, sondern setze mich lieber für 20 Minuten vor dieses eine Werk, weil mir eben gerade danach ist. Vor allem aber gehe ich am liebsten alleine dorthin. Ich lebe das Museum und seinen Inhalt in meinem eigenen Rhythmus, ich inhaliere, absorbiere, inspiriere mich und gehe meist viel leichter wieder hinaus, obwohl ich soviel mitgenommen habe. Ich weiß nicht, ob es an mir und meiner Vorliebe fürs Alleinsein liegt, an meinem Älterwerden oder an der neuen Weise, in der Museen gedacht und gestaltet werden. Wie geht es anderen? Wenn Orhan Pamuk schreibt, „Museen müssen die Geschichten des täglichen Lebens erzählen, in denen sich jeder von uns wiedererkennen kann, und sie müssen eine intime und einladende Dimension haben”, woran denkt ihr dann? An welchen Ort, an welches Gefühl? An welche Vertrautheit oder welches Ausgeschlossensein? 

Als Auftakt der Fondazione Live im Jahr 2022 präsentiert die Stiftung Antonio Dalle Nogare von 8. bis 22. März, in Zusammenarbeit mit franzLAB, das mehrteilige Projekt HABITAT. Durch eine Mischung von Online-Gesprächen, typischen „Heim“-Aktivitäten in den Räumen der Stiftung und vertiefenden Interviews setzen wir uns mit dem (Be)Leben von Museen auseinander: Der Kunst- und Designhistoriker sowie Kurator Emanuele Quinz nimmt gemeinsam mit drei Gästen (Emanuele Coccia am 8.3., Domitilla Dardi am 15.3. und FormaFantasma am 22.3.) die Frage nach dem Museum als natürlichen Lebensraum unter die Lupe. Interessierte können die Gespräche online und live, sowie auch in der Stiftung verfolgen und anschließend an einer themenspezifischen Aktivität teilnehmen, der man sonst typischerweise zuhause nachgeht: Yoga-Session, Filmabend und Marende verwandeln die Räume der Stiftung für einen Abend in ein Wohnzimmer. 

Am 15. März um 19:00 Uhr spricht Emanuele Quinz mit der Designhistorikerin und Kuratorin Domittila Dardi, die seit 2010 als Kuratorin für Design am MAXXI-Architecture in Rom tätig ist. Die Co-Gründerin der Design-Messe EDIT in Neapel schreibt für diverse Magazine der Branche, ist Mitglied des wissenschaftlichen Beirats und Kollaboratorin sowie Autorin von zahlreichen Monografien und Essays. Im Anschluss wird vor Ort in der Stiftung der Film „Das Fenster zum Hof“ von Alfred Hitchcock gezeigt (Originalsprache mit Untertiteln). Im HABITAT, einem eigens in der Stiftung arrangierten Raum, können die in den Vorträgen behandelten Themen anhand von Büchern, Objekten, Werken und Bildern vertiefend erkundet und „gelebt“ werden.

Wie Kunst-Räume und ihre Gestaltung funktionieren und agieren, wie sie gedacht werden und sich mit Menschen füllen wollen, online und offline, über weit Hergeholtes und ganz Offensichtliches, haben wir auch die Bühnen- und Kostümbildnerin Grit Wendicke sowie die Kuratorin Victoria Dejaco gefragt. Sie öffnen uns hier zusätzliche Räume.

 GritWendicke__Quelle_privat.JPG

DER INSZENIERTE RAUM ALS AKTEUR 

Grit Wendicke gestaltete als freischaffende Bühnen- und Kostümbildnerin zahlreiche Theater- und Tanzproduktionen und hat als Szenenbildnerin diverse Kurzfilme sowie den Langspielfilm „Jagdhunde“ ausgestattet. Sie leitet Workshops zu Bühnen- und Kostümbild, Figurentheater und künstlerischen Techniken.

Der Übergang zwischen Alltagsräumen und Ausstellungsräumen ist heute fließend: Wohnungen werden zu Kulissen – man denke an Instagram – und Orte der Kunst übernehmen zunehmend häusliche Elemente und werden zu Räumen der Begegnung, der Interaktion oder der Entspannung. Inwieweit beeinflusst diese „Fluidität“ die Arbeit als Bühnenbildnerin und Szenografin?

Mein Wahlspruch ist „Theatre is a force in your development as an artist“ von der englischen Bühnenbild-Ikone Ralph Koltai. Für mich war diese Aussage augenöffnend, als ich zum Studium nach London kam: Hier lernte ich, größer zu denken, auch grundsätzlicher, universeller und über die Formgestaltung hinaus. In Deutschland hatte ich zuvor den Bereich Bühnenbild als sehr eng und selbstreferentiell kennengelernt, eher mit Modeerscheinungen, wenn beispielsweise plötzlich Kühlschränke häufig in Bühnenbildern auftauchten …

Ich habe in verschiedensten Kunstdisziplinen, Medien und Arbeitskontexten gearbeitet und empfinde diese Bandbreite an Erfahrungen als extrem bereichernd. Neben Bühnen- und Kostümbild habe ich Szenografie studiert, als Ausstellungsgestalterin, Grafikerin und Dozentin gearbeitet, überdimensionale Straßentheaterfiguren gebaut und vieles mehr. – Trotzdem ist meine künstlerische Handschrift immer zu erkennen.

Ich werde aufgrund meiner Erfahrungen in verschiedenen Disziplinen  häufig für cross-mediale Projekte  gebucht: von der Oper über Fake News mit starker medialer Komponente (Neuköllner Oper Berlin) bis zur Dauerausstellung am Filmmuseum Potsdam „100 Jahre Film in Babelsberg“ – die Aufgabe war hier, ein Bewegtmedium in einer Ausstellung erfahrbar zu machen und Faszination für die Teilbereiche der Filmproduktion zu vermitteln.

Der Schwerpunkt meiner künstlerischen und konzeptionellen Arbeit liegt stets in der räumlichen Einflussnahme auf Wahrnehmungsprozesse und die Erlebnisqualität. Ich verstehe den inszenierten Raum als wesentlichen Akteur.

Wie beeinflusst die Kunst deine Arbeit? Welche Visionen, Bilder, Vorstellungen durchdringen die Gestaltung zeitgenössischer Bühnenwelten?

Kunst begeistert mich, wenn sie kühn ist, „out of the box“ denkt und mein Vorstellungsfeld erweitert. Kunst kann, da sie nicht funktionell oder thematisch gebunden ist, uns besonders effektiv unsere Sehgewohnheiten spiegeln oder Konventionen umkehren etc. Direkte Bezüge vermeide ich, der Einfluss von Kunst auf meine eigene Arbeit ist eher übertragen.

In meiner künstlerischen Gestaltung leitet mich vor allem das WARUM und die beabsichtigte Wirkung und dafür setze ich dann gezielt gestalterische Mittel ein. Es gibt ja immer viele mögliche Lösungen. Ich forsche, arbeite gern seriell in Form von gestalterischer Untersuchung, liebe konzeptionelles Pingpong zwischen inspirierten Köpfen. Gestalterische Effekte langweilen meist, es muss einen Grund haben, die Frage ist immer: Wofür, was bewirkt es?

Meine Inspiration gewinne ich oft aus ungewöhnlichen Feldern oder Begegnungen: Auf einer  Verpackungs-Fachmesse in Basel konnte ich am letzten Ausstellungstag diverse gelangweilte Standbetreiber*innen zu großartig kreativen Materialexperimenten animieren, auch mit standübergreifender Zusammenarbeit … wir hatten echt Spaß! 

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DER RAUM ALS PLATTFORM

Victoria Dejaco ist Kunsthistorikerin und Kuratorin und betreibt seit 2020 in Wien die Galerie Wonnerth Dejaco. Sie war beratendes Organ der Galleria Doris Ghetta in St. Ulrich und Mitherausgeberin des feministischen Kunstmagazins Petunia (FR), leitete den Ausstellungsraum Hallway Gallery in Wien und arbeitete für die Galerie Emanuel Layr sowie den Grazer Kunstverein.

Das Auge ist unser unmittelbarstes Mittel, um Kunst zu konsumieren und wichtiges Werkzeug, um Kunst zu schaffen: Welches sind deiner Meinung nach, die grundlegenden, gestalterischen und kommunikativen Instrumente einer Kuratorin oder eines Kurators, um die reale und virtuelle Sichtbarkeit und Wirkung einer Kunstveranstaltung zu bedingen?

Wir denken immer, die technologische Revolution geht so wahnsinnig schnell. Und das geht sie in manchen Bereichen auch. Allerdings nicht in allen. Die beste Art und Weise, eine Ausstellung zu bewerben, ist immer noch, im Galerienfolder und online in den einschlägigen Veranstaltungsseiten gelistet zu sein, einen Newsletter auszuschicken und einen Insta-Post plus -Story zu machen. In der Galerie WONNERTH DEJACO posten wir Fotos der Ausstellung und reposten alle Stories, in denen wir getagged werden, das ist wichtig für das Community-Feeling. Zu jeder Galerie gehören auch die Mundpropaganda und ein Tribe.

Pressearbeit ist wichtig und ein guter Text zu einer Ausstellung ist unabdingbar. Für die internationale Anerkennung ist es dann essentiell online in den internationalen Medien zu erscheinen, Reviews zu bekommen oder einfach nur gefeatured zu werden. Dafür ist die Wichtigkeit der Qualität der Ausstellungsfotografie und Dokumentation nicht zu unterschätzen. Oft hilft dabei leider tatsächlich, wenn man Anzeigen schaltet. Auch wenn man sich Unabhängigkeit wünscht. Manche Inserate online sind nicht so teuer und auch für junge Galerien leistbar.

Worauf achten Konsument*innen und Sammler*innen von Kunst heute?  Wie hat sich der Blick von Expert*innen und Laien auf die Kunst verändert?

Kunst verändert sich ständig und der Blick des*der informierten Betrachters*in wächst mit. Ich glaube nach der Zeit der Online-Kunstbeschauung – so fühlt es sich zumindest auf den internationalen Messen wie der Frieze in Los Angeles an, die ich zuletzt besucht habe – sind alle froh, Dinge wieder live zu sehen. Es ist nämlich sehr ähnlich wie mit der Natur: Am Bildschirm kommt nur ein Bruchteil davon zur Geltung. Es scheint auch trotz steigender Umsätze im Online-Verkauf so, dass meist Werke von Künstler*innen gekauft werden, mit deren Oeuvre die Käufer*innen schon sehr vertraut sind. Grundsätzlich hat in den letzten zehn Jahren sicher eine wichtige Wende stattgefunden, weg vom Eurozentrismus hin zu Diversität und der Sichtbarkeit nicht-weißer, nicht-cis, nicht-hetero Mehrheiten. Es ist endlich mehr Platz für mehrere Facetten der kulturellen Produktion der Menschheit.

Fotos: (1) franzLAB, (2) Grit Wendicke, (3) Victoria Dejaco 

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