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March 2, 2022

Vienna Calling? – Maria C. Hilber dialogisiert

Eva Rottensteiner

Sie malen, sie sprechen, sie schreiben, sie fotografieren, sie experimentieren, sie musizieren, sie künstlern. Fernab vom Brenner. Um in Wien zu Stadtkindern zu werden. Was sie dort treiben, wie sie leben, warum sie den Bergen, dem Aperol und den Äpfeln den Rücken gekehrt haben. „Vienna Calling?“ ist eine Porträtreihe über Südtiroler Kunst- und Kulturschaffende in Wien. Und weil die Kunst Assoziationen spinnt und verwebt, stellen wir unseren Gästen ausnahmsweise mal keine Fragen, sondern Wörter. Sie dürfen assoziieren und wir in ihre Köpfe eintauchen.    

Maria C. Hilber, *1984, Schriftstellerin und Künstlerin, lebt und arbeitet zwischen Wien und Südtirol. Sie hat Design in Bozen und „Art&Science“ an der Universität für angewandte Kunst in Wien studiert. Sie komponiert und verwebt Texte, Räume und Systeme zu Dialogfeldern. In Hörspielen, Essays und Textflächen für performative Interventionen liegt ihr Augenmerk vornehmlich auf der Erforschung von syndromhaften Erscheinungen und deren Mikro- und Makronarrativen. Als Künstlerin mit verschiedenen Personas arbeitet sie mit der Erzählfigur „Em:ma@Robin“ und der Kollaborateurin „Mandarina Muttertier“. Sie ist Initiatorin von CASA NANG. Temporäres Literaturhaus bzw. Plattform „NANG. Autonomes Wort“ sowie Mitbegründerin von „The Heartj(°)bs Institute“. Maria C. Hilber ist vielbeschäftigt, aktuell zum Beispiel mit einem Theatertext, einer Prosaarbeit, einer Zusammenarbeit mit einem Kollektiv in Brno und mit ZeLT. Europäisches Zentrum für Literatur und Übersetzung in Brixen. 

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KAMPFOSS-SEE – DIE STATIONEN

Wir tragen so viele innere Landkarten mit uns rum und auf meiner ist der Kampfoss-See (Kompfoss auf Dialekt) eingetragen. Ein Wasserspeicher, der tief in die Berge führt und meine Biografie an mein Heimatdorf Terenten bindet. Ein Ort, an dem radikale Kraft, präzise Sanftheit, das Murmeln der Sprache und der Wind miteinander in die Bergmanege treten.

DISKURSRÄUME – MEINUNGSBILDUNG

Ich frage mich von Grund auf (und immer wieder neu), wie wir Demokratie weiter denken und vor allem breiter praktizieren können. Dazu gehört ganz klar die Praxis der Diskussion, der Gedankenschärfung, des inhaltlichen Zusammenkommens. Das Nebeneinanderstehenlassen von unterschiedlichen Positionen. So faszinierend z. B. die Zugänglichkeit der sozialen Medien ist, so sehr tun sich im Kampf um die öffentliche Wahrnehmung auch Gräben auf. Sprachabkürzungen, Meinungsgeblubbere, Echos dessen, was wir in einen vorprogrammierten Algorithmus eingeben. Als Schriftsteller*innen und Kunstschaffende entwickeln wir ganz bewusst Räume der Auseinandersetzung; ob es Texte sind, Videoinstallationen, Interviews in Podcasts oder öffentliche Foren auf der Bühne. Denn „sich seine Meinung bilden“, das hat immer auch mit gemeinsamer Erkundung, mit Neugierde, mit Wissenstransfer und mit einem Lernprozess zu tun. Und mit dem ganz klaren Wunsch, einander zugewandt zu bleiben; auch wenn das heißt, andere Haltungen und Sichtweisen „auszuhalten“. Jeder Impuls kann das Denken klären und das Fühlen reicher machen.

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PERSONAS – JEDE*R IST VIELE

Das sind Erzähler*innen, Figuren, die in meinen Texten entstanden und aus ihnen heraus gestiegen sind. Es sind weibliche Erzähler*innen, wie meine erste Persona „Em:ma@Robin“. Sie lebt in Eurabaefrica und aus diesem Grund darf sie die Geschichte von Parndorf erzählen. In ihrer Welt schreibt und rezitiert sie gegen ein Denkmal des Versagens von Menschlichkeit an und schenkt 71 Menschen ein neues Ausstiegsszenario. Liebevoll, demutsvoll, achtsam. „Mandarina Muttertier” hingegen arbeitet installativ. Sie ist eine Kollaborateurin, eine Denkpraxis, eine Assemblage, mehr denn eine Person. An erster Stelle geht es mir beim Einsatz dieser Personas um Fragen wie: Wer darf welche Geschichte erzählen? Für welchen Wertekosmos stehen die Erzähler*innen? Wie viel Fiktion gestaltet unsere Gegenwart? Wie wirken unsere Narrative (also das, was wir ganz tief in uns tragen) in unser Tun hinein?

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THE HEARTJ(°)BS INSTITUTE – FREI ZUGÄNGLICH

Ein Denkgelände, das sich zwischen der Künstlerin, Theoretikerin und Freundin Nicole Sabella und mir vor allem in den Jahren 2014–2018 aufgespannt hat. Unendlich viele Gespräche zu feministischer Praxis, gemeinsame Lektüre, Diskussion, gemeinsam lachen, kochen, die Wahrnehmung schärfen. Gemeinsame Auftritte: Ich schreibe, sie performt, ich komponiere, sie interveniert und umgekehrt. Die Heartj(°)bs , das sind die kleinen Herzwärmer, die wir in die Welt tragen. Im Alltag genauso wie im künstlerischen Arbeiten.

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HYPERLINK-ESSAYS – EIN ONLINE-KUNSTPROJEKT

Ein kleiner Hof – ein Gewebe und ein Geflecht aus Texten, Videos, Soundarbeiten – der im großen Internetz lebt. Die Textgrundlagen kommen bislang von mir. Erste interaktive Dialoge in Form von Videos sind mit der Regisseurin Franziska Guggenbichler Beck und den Performer*innen Nolundi Tschudi, Christoph Achmüller und Fritz Faust entstanden. Mit dem Projekt möchte ich die Art und Weise offenlegen, wie unser Geist sich gegenseitig befruchtet und nährt. Die Form der Hyperlinktexte zeigen auch, dass Texte nie eindimensional sind. Weder im Schreiben noch im Rezipiert-Werden. Außerdem, dieses „kill your darlings“, … Gerade in den gedanklichen Umwegen liegen die kleinen Passionen, die Sinnlichkeiten und die halten wach.

Fotos: (1) Maria C. Hilber, (2) Georg Hofer, (3) Maria C. Hilber, (4) Maria C. Hilber, (5) Gregor Buchaus/Jakob Paulus

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