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March 2, 2022

„Ganzheitliches Denken ist gefragt“ – Fashion-Experte Theo Grassl

Susanne Barta

Die Modeindustrie ist im Umbruch, ohne Zweifel. Dass Veränderungen aber langfristig greifen, braucht es vor allem eine neue Generation von Designer*innen, Unternehmer*innen, Fashion-Marketing-Leuten, aber auch Konsument*innen, die mit frischen Ideen und konsequenter Umsetzung die Modebranche nachhaltiger, sozialer, transparenter, also einfach besser machen.

Einer, der hier nicht nur großen Einblick hat, sondern direkt mit den Mode-Student*innen arbeitet, ist der Münchner Theo Grassl. Der Marketingexperte, Lehrbeauftragte und Professor für Fashion Management, Verhaltenspsychologie und Leadership unterrichtet an der Polimoda in Florenz, an der Hochschule Macromedia in Berlin und München sowie an der NYU, New York City. Seit Oktober 2021 ist er auch Vorstandsmitglied des Fashion Council Germany

Theo, die Modeindustrie versucht den Spagat zwischen ökonomischen Zielen und Nachhaltigkeit irgendwie hinzukriegen. Wird dem in der Ausbildung schon entsprechend Rechnung getragen?

Natürlich sollte sich das auf die Lehre auswirken, tut es aber noch nicht in dem Ausmaß, wie es aus meiner Sicht sein sollte. Themen wie Sustainablity, Transparency und Circular Fashion sind noch nicht an allen Fashion Instituten integraler oder sogar institutioneller Bestandteil der Ausbildung. Im Moment sind es vor allem die Lehrenden selbst, die diesen Themen einen Stellenwert geben, oder eben auch nicht. Und viel zu häufig schaut man nur aus einem akademischen Blickwinkel darauf.

Was heißt das?

Nehmen wir das Thema Nachhaltigkeit. Natürlich müssen sich die Studierenden mit wissenschaftlichen und ökonomischen Aspekten auseinandersetzen. Aber nackte Zahlen alleine reichen nicht, sie müssen auch in den entsprechenden Kontext gesetzt werden. Der vielbeschworene „Homo Oeconomicus“, also der rational denkende und handelnde Mensch, ist ein Mythos. Wir müssen uns also auch vermehrt mit dem Menschen, seinen grundlegenden Einstellungen und Kaufentscheidungsprozessen auseinandersetzen.

Theo Grassl

Wieviel wissen deine Student*innen schon über nachhaltige Praktiken wenn sie auf die Uni kommen?

Sehr viele sind diesbezüglich eher „blank“ und kommen zu uns nach dem Motto „ich finde Fashion toll, habe mich schon immer dafür interessiert, lese die Instyle und schaue Germanys Next Topmodel“. Was grundsätzlich ok ist, aber nicht ausreichend. Der Großteil der Studierenden ist noch sehr jung und wenn die Wunschvorstellung auf die Realität trifft, ist die Überraschung oft groß. Die Fashion-Welt hat nicht nur glamouröse Seiten, sie ist auch ein knallhartes Business und darauf müssen die Studierenden vorbereitet werden. 

Du unterrichtest in Deutschland, Italien und den USA. Gibt’s Länderunterschiede?

Die meisten Studiengänge sind an privaten Instituten und kosten richtig viel Geld. Unterschiede gibt es zum Beispiel, was das Engagement betrifft oder die Disziplin. So wie ich es erlebe, hinkt Deutschland etwas hinterher. An der Polimoda zum Beispiel haben wir eine 95%ige Anwesenheit der Studierenden, obwohl das Studium sehr anspruchsvoll und „durchgetaktet“ ist. 

Könnte das damit zusammenhängen, dass Mode in Italien einen anderen Stellenwert hat als in Deutschland?

Durchaus, es hängt aber vielleicht auch mit dem Renommee der Ausbildungsstätten zusammen. Die Polimoda in Florenz, Central Saint Martins in London und die Parsons School of Design in New York gehören zu den Top-Instituten. 92 % der Polimoda-Abgänger*innen zum Beispiel werden innerhalb der ersten sechs Monate nach ihrem Abschluss vermittelt. Die meisten Studierenden geben sich auch nicht damit zufrieden, einfach bestanden zu haben, sondern möchten einen Exzellenz-Abschluss. Klassisches Studentenleben ist hier nicht wirklich zu finden, sie müssen performen und das deutsche Minimal-Prinzip der Ergebnisorientierung – also Hauptsache bestehen – reicht da nicht aus.

Theo Grassl Foto_4 Polimoda

Du arbeitest mit verschiedenen Unternehmen zusammen. Wie ernsthaft sind ihre Bemühungen aus deiner Sicht, Lieferketten transparenter, sozialer und nachhaltiger zu gestalten?

Es gibt Unternehmen, die von Anfang an mit ihrem gesamten Geschäftsmodell auf Nachhaltigkeit und Transparenz setzen. Ein Beispiel dafür ist das schwedische Unternehmen Nudie Jeans. Dann gibt es Unternehmen, die vor allem shareholder-value-orientiert sind. Und da wird es schwierig, denn Nachhaltigkeit kostet zunächst mal Geld. Ich kenne keinen Controller oder Shareholder, der sagt „toll, wir setzen jetzt auf Nachhaltigkeit und das kostet halt alles mehr, zu Lasten des Gewinns“. Einige Unternehmen versuchen dennoch an dieses Spannungsfeld heranzugehen, einfach weil es notwendig ist. Viele machen aber nur das Minimum und auch das nicht unbedingt aus Überzeugung. Die Grenze zum Greenwashing ist da sehr schmal. 

Die Kluft zwischen Nachhaltigkeit und ökonomischen Aspekten bei Unternehmen ist also nach wie vor sehr groß?

Diese Kluft wird sich auch nicht so schnell schließen. Wenn man ganz pragmatisch drauf schaut, gibt´s einfach einen Zielkonflikt zwischen Ökonomie und Ökologie. Bis sich der Aufwand irgendwann amortisieren wird, alle Prozesse umgestellt sind, kann das dauern und diese Zeit muss man sich erst nehmen wollen. Wie gesagt, die meisten machen es nicht freiwillig, sondern weil es von der Politik und/oder den Kund*innen verlangt wird. Aber irgendjemand muss anfangen, diesen Teufelskreis zu durchbrechen. Und dafür müssen wir an unterschiedlichen Stellen ansetzen: bei den Kunden, der Industrie und der Politik.

Hat die Pandemie diese Themen gepusht?

Im ersten Lockdown sind Nachhaltigkeit und Digitalisierung plötzlich ganz groß geworden. Obwohl diese Themen ja seit langem da waren. Kleiderschränke wurden durchforstet und darüber reflektiert, wie viel sich angesammelt hat und dass es doch besser wäre, in Zukunft mehr auf Qualität statt auf Quantität zu setzen. Und was ist eingetreten? Ein kleiner Teil hat tatsächlich sein Konsumverhalten verändert, der Großteil aber ist in gewohnte Verhaltensmuster zurückgefallen. Das hätte anders laufen können, wenn die Industrie anders reagiert hätte. Im Sinne von „wir führen euch nicht permanent in Versuchung und ihr entwickelt ein entsprechend anderes Konsumverhalten“. Aber wir sind wieder auf dem Weg „back to normal“.

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Du unterrichtest auch Verhaltenspsychologie. Ist ein verändertes Konsumverhalten bei deinen Student*innen ein Thema?

Wir alle kennen die Vorfreude, wenn ein Paket kommt oder wenn wir shoppen gehen. Da geht im Gehirn ein ganzes Feuerwerk ab, Glückshormone werden ausgeschüttet. Aber wir wissen auch, dass diese Stoffe abhängig machen. Vor einiger Zeit haben wir ein Projekt umgesetzt, bei dem die Studierenden die Kleiderschränke ihrer Eltern, Großeltern, Geschwister, also verschiedener Generationen, analysierten. Unglaublich, was da herauskam. Ein Vater hatte zum Beispiel 75 weiße Hemden im Schrank, bei einigen hingen noch die Etiketten dran. Wir alle haben Sachen im Schrank, wo wir uns fragen können, „habe ich das wirklich gebraucht oder wollte ich es nur haben?“. Bei Fashion ist klar, so wirklich brauchen wir kaum was, aber so kann man an das Thema auch nicht herangehen. Dennoch ist es wichtig, sich mit den psychologischen Aspekten zu beschäftigen, und daher spielen verhaltenspsychologische Themen eine wichtige Rolle in allen meinen Vorlesungen. Alle Entscheidungen, die wir treffen, basieren auf Abläufe im Gehirn. Und wenn dieses Belohnungssystem erstmal richtig trainiert wurde, wacht man nicht geläutert am Montagmorgen auf und macht alles anders. Wir müssen für den Wegfall dieser Belohnungsmechanismen Ersatzroutinen entwickeln, wie bei einer Raucherentwöhnung.

Theo Grassl Foto_6 Polimoda

Wie könnte man da starten?

Darauf gibt es keine eindeutige Antwort, das ist sehr individuell. Was bei einem funktioniert, funktioniert bei der anderen nicht. Wir sind auf Bequemlichkeit gedrillt, aber das Thema Nachhaltigkeit ganzheitlicher zu vermitteln, könnte helfen. Deshalb ist es mir wichtig, dass die Studierenden einen größeren Blickwinkel entwickeln, lernen, unterschiedlichste Aspekte zu verknüpfen, und das dann auch anwenden können. Diesen Transfer müssen wir hinkriegen. Auch auf Unternehmensseite sollte mehr darüber nachgedacht werden, was genau welche Auswirkungen hat. Ich möchte den Studierenden vermitteln, keine Scheu davor zu haben, alte Modelle und Ansätze kritisch zu hinterfragen und wenn notwendig, zu modifizieren. Es ist Aufgabe der Lehrenden, sie auf diesen Weg zu bringen. 

Wenn ihr mehr von Theo Grassl erfahren möchtet, diesen Podcast kann ich sehr empfehlen. 

Und hier auch noch ein Info-Video über die Polimoda in Florenz.

Fotos: © Theo Grassl; auf den Fotos 4 und 6 ist die Polimoda zu sehen.

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