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January 3, 2022

„Jedes Bild ein Baustein eines Weges“ – Lukas Goller

Kunigunde Weissenegger

Lasst uns zum Anlass dieses ungezwungenen Schlagabtauschs einfach den Winter nehmen, waren und sind diese Jahreszeit und der Berg doch sein liebstes Habitat. „Ich bin in einem wundervollen Ort groß geworden: Der Santner wird immer mein großer Vater bleiben. Seis ist ein Ort, der sehr viel Energie besitzt – jedenfalls hat er diesen Effekt auf mich, er lädt mich auf … manchmal auch zu viel …“ 

Seine Karriere als Snowboardprofi hat Lukas Goller vor etwa fünf Jahren beendet, Snowboardfahren geht er aber immer noch gerne: „Die 18 Jahre waren eine sehr schöne Zeit, geprägt auch von Rückschlägen und Verletzungen, und somit ein sehr gutes Resilienz-Training.“ 

Heute arbeitet der gebürtige Seiser, Baujahr 1977, als Designer und Illustrator und lebt in Innsbruck, wohin es ihn mit 18 zum Architekturstudium verschlagen hat. Einige von Gollers großformatigen Arbeiten sind dort auch im öffentlichen Raum zu sehen: Schlendert mal die Zeughausgasse oder den Schusterbergweg entlang oder sucht in der Markthalle oder bei Burton Europe in der Hallerstraße oder im Burton Store in der Anichstraße nach seinen zügig präzisen Strichen – am liebsten schwarz auf weiß. 

Besen, Federn, Schilde, Waffen, Überwürfe, Bärte, Haare, Antlitze, Landschaften, Tiere, Menschen, Zwischengestalten sind die Motive, mit denen er nicht nur Häuserwände, sondern auch Snowboards, Skateboards, Kleidung, Uhren, Brillen, Möbel und Musik-Alben (z. B. von Restless Leg Syndrome) oder mit Siebdruck auf T-Shirts verewigt und in seinem Webstore verkauft. Instagram weiß Bescheid.Lukas Goller by Tobias Ludescher

Lukas, wie bist du zu deinem jetzigen Strich gekommen?

Als ich die Geometerschule besuchte, mussten wir natürlich auch Vermessungen machen. AutoCAD und die Digitalisierung steckten damals noch in den Kinderschuhen und wir zeichneten Pläne und Höhenschichtlinien noch per Hand. Meine Linienführung könnte sich so entwickelt haben. Wenn ich auch wollte, könnte ich diese Interpolation von Abständen nicht mehr ablegen. Außerdem bin ich in den 90ern mit Skateboardfahren aufgewachsen, dessen Grafiken meist Emulationen von alten Holzschnitten oder Kupferstichen waren: Die Drucktechnik war das Siebdrucken und somit zwang die Separierung der einzelnen Farben die Illustratoren Halftone Patterns oder eben holzschnittartige Techniken zu verwenden, um Fades (Übergänge) mit einer Farbe darzustellen. Dürer und Escher waren sicher riesige Vorbilder für mich, im Skateboardbereich waren es Künstler wie Marc McKee, Sean Cliver, Todd Bratrud oder auch V. C. Johnson. 

Gibt es ein Lieblingsmotiv?  

Nicht wirklich. Ich finde, dass jedes Bild ein Baustein eines Weges ist, der enden würde, wenn ich zufrieden damit wäre, was ich gerade beendet habe. Somit versuche ich vehement, dass diese Suche oder Lehre immer weiter geht. Der Weg ist das Ziel und das Ziel bestimmt nur die Richtung.

Was bedeutet Inspiration für dich? Wo holst du sie dir? 

Die Inspiration passiert immer dann, wenn man es schafft, nicht danach zu suchen. Es fällt mir leichter Inspiration zu finden, wenn ich mehrere Projekte gleichzeitig erarbeite, da ich es dann schaffe, die nötige Distanz zu den einzelnen Arbeiten zu finden, um sie (die Inspiration) passieren zu lassen.

ayaan hirsi ali zeughaus innsbruck (c) lukas goller

Was schaust du dir gern an? Wer fällt dir auf? … und wer bekommt täglich ein Like von dir?  

Ich schaue mir viele Dokus von Adam Curtis an, er sollte da ein Like bekommen. Ich mag auch lange Podcast-Formate, da es so scheint, dass, wenn Leute genug Zeit haben (z. B. 3 Stunden), sie eher zu einem sinnvollen Dialog kommen. Ich glaube, dass das übliche Diskussionsformat im TV überholt ist, weil die Zeit fehlt, um Gedanken richtig auszuformulieren. Ich bin mir noch nicht ganz sicher, was das zehnjährige hypnotische Experiment „Soziales Netzwerk“ mit uns macht oder machen wird. Es scheint, dass die Algorithmussteuerung und das dahinterliegende KI-Gehirn uns besser kennt als wir uns selbst. Ich versuche es so wenig wie möglich zu verwenden – wenn mir das gelingt und ich nicht meiner unterbewussten Steuerung erliege, die der Algo Tag für Tag versucht zu triggern. Die Bubble-Erschaffung eines jeden von uns ist sehr gefährlich. Ich würde es die Geburtsstunde einer Million neuer Faschismen nennen. Jeder ist Experte, jeder hat eine „Meinung“, aber die wenigsten besitzen Wissen. Meistens pendelt das Wissen zwischen 2 Memes.

Hast du ein Motto, nach dem du lebst und arbeitest? 

Zeit ist kostbar, scheitern königlich, bau aus jedem Scherbenhaufen ein neues Kunstwerk. Irgendwann werden die Scherben zu Sand und der lässt sich leichter modellieren. 

Wonach strebst du? Wofür kämpfst du? 

Buckminster Fuller sagte mal: Man kann ein Problem nicht mit den Mitteln lösen, die es erschaffen haben. Ich glaube, ich strebe danach, etwas zu schaffen, das es noch nicht gibt, alles andere wäre Zeitverschwendung. Oder wie David Graeber meinte: The ultimate hidden truth of the world is that it is something we make and could just as easily make differently.Restless Leg Syndrome Cover_Rooted (c) Lukas Goller

Auch wenn im Internet doch einiges über dich zu finden ist, erzähl uns, was bei dir so läuft … 

Ich arbeite seit zwei Jahren für die Biogenossenschaft „Bio vom Berg“ und gestalte alle Illustrationen für ihre Etiketten. Gleichzeitig arbeite ich aktuell an Projekten für Audi, Hard Rock Cafe, Blue Tomato, Squadra Holds, Aesmo und in Vergangenheit für Swatch, Mini, Adidas Eyewear, Bastard Outerwear, Nitro Snowboards, Völkl Snowboards, Gentic, Zimtstern, Level Gloves und 55 DSL. Ich habe auch etliche Aufträge für private Wände, die ich bemale. 

Verrätst du uns, welche Idee du unbedingt noch umsetzen möchtest? 

Ich würde gerne wieder Bekleidung machen.

Wie gehst du beim Arbeiten vor? Welchen Einfluss hat dein Studium? 

Ich brauche immer einen exakten Plan – das, glaube ich, ist in meinem Wesen noch vom Architekturstudium übrig. Wenn ich ein neues Projekt beginne, versuche ich zumeist herauszufinden, was ich nicht machen sollte, alles auszuschließen, das es bereits gibt, 90 % der Denkaufgabe zu lösen, um schließlich anfangen zu können.

Arbeitest du lieber im Auftrag oder aus Eigeninitiative? Wie frei ist man auch bei einer Auftragsarbeit … wie gebunden bei einer freien Arbeit …?

Naja, Freiheit ist kein Luxus, sondern eher eine Bürde. Um richtig frei zu sein, muss man als erstes verantwortlich handeln und mal sein eigenes Laster mit Würde tragen, dann kann man erst anfangen, sich darüber Gedanken zu machen, was man mit der „Freiheit“ so macht.
Jedes Projekt hat sehr viele Variablen, von denen der „Auftrag“ nur eine kleine ist. Dann ist da noch der Dialog mit den Kunden, die Zeitbegrenzung, die Machbarkeit und zum Schluss die Ausführung. Mich hat die Auftragsarbeit positiv in meiner Strukturierung geprägt. Sie gibt mir Struktur. Wenn ich „für mich“ etwas mache, versuche ich es ebenso anzugehen, es fehlen da zwar ein paar Variablen, um die Gleichung des Projektes zu lösen, es bleiben aber meist doch noch ziemlich viele. Deadlines haben in diesem Sinn etwas Positives, da man das „Unnötige“ umgeht, weil man keine Zeit dafür hat, und somit das Essenzielle mehr Platz findet. Im Grund weiss ich bei keinem Projekt, das ich angehe, ob ich es lösen kann. Ein Projekt ist nur ein zeitlich begrenzter Snapshot, der dir später zeigt, wo du einmal warst.among the dieing 003

Bilder: (1) Mann mit Hut, Zeughausgasse, Innsbruck (c) Manuel Bernert; (2) Lukas Goller (c) Tobias Ludescher; (3) Ayaan Hirsi Ali, Zeughausgasse, Innsbruck (c) Lukas Goller; (4) Cover „Rooted“ by Restless Leg Syndrome (c) Lukas Goller; (5) among the dieing (c) Lukas Goller. 

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