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October 20, 2021
So gut kann Upcycling aussehen!
Susanne Barta
Wir bleiben diese Woche noch in Brixen. Kennt ihr das WiaNui? Ich kannte es nur vom Hörensagen. Als ich letzte Woche Doris Raffeiner in ihrem Geschäft besuchte, war ich überrascht: geschmackvoll, interessante kleine Labels, schöne Auswahl und eine eigene Nähwerkstatt. Auch ich hege noch das ein oder andere Vorurteil, dass Upcycling oftmals zu selbst gebastelt aussieht. Nicht so im WiaNui. Doris wählt aus, was zum Stil des Geschäfts und ihren Kund*innen passt und diesen Stil beschreibt sie als klassisch mit modischem Pep. Alle Produkte sind aus nicht mehr gebrauchten oder recycelten Materialien entstanden, da gibt es Kleidung, Schmuck, Taschen, Rücksäcke, verschiedene Accessoires und Deko-Gegenstände.
Upcycling ist ein großer Trend. Man schaue sich nur im Internet um, vor allem „Thrift Flipping“ erobert gerade Social Media. Tutorial reiht sich an Tutorial. Unter Thrift Flipping versteht man das Umarbeiten, -nähen, -designen und Updaten von pre-loved Kleidungsstücken, die dann wieder verkauft werden.
2015 hat Doris mit zwei Bekannten die Sozialgenossenschaft WiaNui für Upcycled Living gegründet. Heute leitet sie das Projekt mit viel Herz und Engagement alleine und wird unterstützt von Praktikantinnen. Sie hat Kunstgeschichte studiert und wollte nach einer Ausstellung, die sie im Brixner Astra Kino organsiert hatte und die internationales und lokales Design aus recycelten Materialien in den Mittelpunkt stellte, unbedingt am Thema dran bleiben. Doris bezeichnet sich selbst als Trödeltante und große Freundin von Gebrauchtem. „Gebrauchte Gegenstände haben Leben in sich, das gefällt mir“, sagt sie.
Doris, mit welchen Ideen seid ihr vor sechs Jahren gestartet?
Nach vielen Überlegungen und Gesprächen sollte es ein Concept Store mit kleiner Werkstatt werden. Die Produkte stammen von Sozialgenossenschaften, auch geschützten Werkstätten, Künstler*innen und kleinen Firmen, vor allem aus dem oberitalienischen Raum. Wir produzieren auch selbst – wir, das sind meine Praktikanten und ich, die meisten haben einen Migrationshintergrund und bringen ihre kulturellen Prägungen mit ein. Es hängt dann ganz von den Materialien und Fertigkeiten der Praktikanten ab, was wir produzieren. Wir haben auch einen afrikanischen Schneider, mit dem wir projektorientiert arbeiten. Diese interkulturelle Zusammenarbeit ist sehr bereichernd.
Eine weitere Motivation war auch, dass das Produkt-Angebot in Brixen überaus eintönig war und wir etwas anderes anbieten wollten. Die großen Ketten sind sehr präsent, alles schaut irgendwie gleich aus. Aber es gibt auch anderes und das wollten und wollen wir zeigen.
Wie haben die Kunden reagiert?
Am Anfang kannten sie sich nicht ganz aus. Heute ist unser Konzept angekommen. Wir haben viele Stammkunden und Leute bringen uns zum Beispiel alte Mäntel, Stoffe, Knöpfe, Wolle, die wir verwerten um etwas Neues daraus zu machen. In der Zwischenzeit bekommen wir auch viele Materialien von Firmen oder anderen Sozialgenossenschaften.
Upcycling ist ein großer Trend, macht sich das bemerkbar?
Da hat sich sehr viel verändert. Vor ein paar Jahren noch war das Thema vor allem auf Ernährung beschränkt, jetzt langsam geht es auch auf andere Produkte über. Vielen meiner Kunden ist es ein Anliegen zu wissen, woher die Produkte, die sie kaufen, kommen und wie sie produziert werden. Auch Touristen wissen das Angebot zu schätzen und kommen jedes Jahr wieder. In Brixen tut sich einiges, es gibt zum Beispiel ein Repair Café, vor kurzem hat das REX aufgemacht, wir müssen das nur noch richtig in die Köpfe hineinbekommen.
Wie kleidest du dich selbst?
Ich trage viel von Progetto Quid, einer Sozialgenossenschaft, deren Kleidungsstücke wir im Geschäft führen. Ich mag den Stil, italienisch und immer einen Schritt voraus. Genauso wie Rifò, ein Label aus Prato, das wir auch anbieten und das tolle recycelte Kaschmir-Produkte herstellt und großen Wert auf eine kreislaufwirtschaftliche Produktion legt. Wenn ich mir sonst mal was kaufe, achte ich darauf, wo es produziert wurde. Bewusster Konsum ist natürlich ein Thema. Die Pandemie haben wir ja hoffentlich bald überstanden, aber viel daraus gelernt, scheint mir, haben wir noch nicht, unser Konsumverhalten ist sehr verbesserungswürdig.
Wie geht’s weiter mit WiaNui?
Ich wünsche mir, dass Upcycling ein fester Bestandteil unseres Lebens und Konsumierens wird. Vor allem große Firmen könnten da viel mehr machen. Konsumenten müssen auf der Hut sein, Greenwashing ist ein großes Thema, da kann man sich schnell einwickeln lassen. Wir möchten mithelfen, diesen Entwicklungsprozess der Konsumenten voranzutreiben. Im Sommer veranstalte ich in unserer Upcycling-Werkstatt das „MüllZauberAtelier“, Bastelwochen für Kinder mit recycelten Materialien. Diese Veranstaltung ist mir sehr wichtig, weil es darum geht, Kreativität und Freude an Selbstgemachtem zu fördern, die Kinder lernen dabei auch spielerisch Produkte anders wertzuschätzen.
Der Wohlstand in Südtirol ist ja ein junger, viele Fertigkeiten und, ich sage mal, auch Tugenden sind noch nicht ganz verschwunden und vielleicht muss man nur etwas graben, um einen besseren Umgang mit Ressourcen wiederzuentdecken?
Meine Großmutter war Schneiderin, das hat mich sicher geprägt. Ich habe früh gesehen, wie viel man aus Materialien, die man hat, machen kann. Das wäre auf jeden Fall ein Thema, das man in der Schule weiter fördern könnte. Die Grenzen unseres Wohlstands werden uns ja heute bereits deutlich aufgezeigt, man muss also etwas tun. Bildung ist hier sehr wichtig. Deshalb möchte ich auch die Idee des Upcyling weiterbringen, denn da würde sich schon viel verändern.
Ich habe ja vorher über „Thrift Flipping“ gesprochen. Zwei junge Frauen aus Ferrara machen aus alten Jeans und Jeansjacken, bevorzugt von Levis, sehr coole „neue“ Jeans, Jacken und Kleider. Diese Stücke solltet ihr euch unbedingt mal ansehen. Da sie eben gestartet sind und noch keine Website haben, auch kein Instagram, am besten dem WiaNui einen Besuch abstatten. Upcycled Living findet ihr in der Stadelgasse 7A in Brixen.
Fotos: (2, 3, 4, 6, 7, 8, 9) © Susanne Barta; bei der recycelten Kaschmir-Jacke von Rifò/Proghetto Quid konnte ich nicht widerstehen, ich trage sie fast jeden Tag – kuschelweich und fein warm; (1, 5) © WiaNui.
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