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October 18, 2021

Ulrich Egger: Die Schönheit des Verfalls

Maria Oberrauch

Ein Jahr durchatmen, im eigenen Land, das plötzlich so still dalag, ohne Bewegung. Die Berge, der Wald, das Dorf, die Stadt, dem Alleinsein konnte in dieser Hinsicht etwas ziemlich Gutes abgewonnen werden. Aber bald schon waren sie wieder da, die Ströme der Schlendriane, die kurzweiligen Bewohner und Bewohnerinnen der modernen Schlösser und Anlagen. Einer, der sich seit Jahren mit den Begleiterscheinungen des Tourismus beschäftigt, der Fenster öffent, in die Zukunft und Vergangenheit, der Architektur versetzt und in Rahmen legt, kleine und größere, ist der Südtiroler Künstler Ulrich Egger. Egger wurde 1959 in St. Valentin auf der Haide geboren. Er studierte Bildhauerei an der Kunstakademie in Florenz und begann sich später intensiv mit der Fotografie auseinander zu setzen. In seinen Foto- und Materialcollagen kombiniert er verschiedene Motive aus Industrie, Gebäudekomplexen und Fassaden. Viel Verfallenes ist da, Bröckelndes in einer ganz eigenen Schönheit, in hohen Wänden und müden Fließenmustern. Die Vergänglichkeit in Eggers Werken ist nicht nur offensichtlich sichtbar. Ich spüre sie. Wie wir nie, nie aufhören und sie uns immer einholt. Der Grödner Kunstverein Circolo hat im August 2021 sieben seiner Werke ausgestellt, im Rahmen der BAW – Bolzano Art Weeks waren Eggers Arbeiten im Castel Hörtenberg in Bozen zu sehen. 

Die Arbeiten in deiner letzten Ausstellung im Circolo in Gröden thematisieren den Tourismus in Südtirol. Ein Thema, aktuell wie nie und das seit Jahrzehnten. Wie siehst du dem entgegen, besteht Hoffnung auf einen Richtungswechsel?

Das ist schwer zu sagen … Seit vielen Jahrzehnten ist die Tourismusentwicklung eigentlich immer nur in eine Richtung gegangen – in die Richtung nach oben. Wer hat schon Lust auf den Wohlstand, den der Tourismus gebracht hat, zu verzichten? Corona hat uns allerdings gezeigt, wie verletzlich unsere Lebensform eigentlich ist, und vielleicht hilft uns das früher oder später dabei, doch einen Neustart zu wagen.  DSC_0001_ulrich egger

Fenster Und Fotografie. Innen und Außen. Vertrautes und Neuansichten. Holz, Nylon, Eisen. Wie bist du die Konzeption der Ausstellung angegangen? 

In der Ausstellung ging es mir um die Entwicklung des Tourismus und die Konflikte und Veränderungen, die dadurch entstehen können. Ich habe versucht Realitäten zu zeigen, die zum Nachdenken anregen sollten. In einigen Wandobjekten habe ich Innen- und Außenansichten gezeigt, gezeichnet von einer kalten und etwas unheimlichen Atmosphäre. In anderen Werken waren Eingriffe der Architektur in die Landschaft zu sehen. 

Was kann, darf, sollte Architektur heute?

Die Architektur muss sich aus meiner Sicht unbedingt mehr mit der Thematik des Klimas beschäftigen. Die globale Stadt- und Landplanung braucht neue Architekturkonzepte. Nachhaltiges Bauen und mehr Rücksicht auf die Menschen, die gerade in Zeiten wie diesen mehr Schutz, Gemeinschaft und Identität suchen.

Fotografie hält einen bestimmten Augenblick fest, nimmt ihn aus der Zeit, der Vergänglichkeit vorweg. Dabei ist gerade diese, die Vergänglichkeit, das Zerfallen und Zerfressen, Thema vieler deiner Arbeiten …

Ja, das ist genau das, was mich so sehr an die Fotografie bindet. Die Augenblicklichkeit ist eben einmalig und kann nie mehr wiederholt werden. Dieses Medium ermöglicht es uns, die Welt individuell wahrzunehmen. In meinem Fall versuche ich die Realität durch die digitale Bearbeitung zu verfremden, um dann mehr aufzudecken. Und ja, verlassene Orte ziehen mich an. Im Laufe der Jahre haben Menschen fast überall Spuren hinterlassen und alles, was der Mensch schafft, hat ein Verfallsdatum. Hinter jedem Ort steckt eine eigene, faszinierende Geschichte. Für mich zeigen verlassene Orte und Räume auch die Schönheit des Verfalls. 2x_Ulrich egger_

In deinen Fotocollagen verpflanzt du Gebäude ins hohe Gebirge – kurz bin ich irritiert, es gehört nicht hier her, es wirkt fremd in der steinigen Landschaft – und doch … genau hier befinden wir uns eigentlich gerade, mit immer größeren und abstrakteren Bauten erobern wir die Gebirge … 

Ich erfinde neue Bildwelten mit den Fotocollagen. Ich erfinde sie nicht wortwörtlich, sondern füge verschiedene Naturausschnitte und Fragmente aus Metropolen zusammen. Das Gebäude in der steinigen Landschaft habe ich in Paris abgelichtet und aus mehreren Ablichtungen auf meinem Computer zusammengestellt. Dabei habe ich mir vorgestellt, dass sich Menschen aus der Stadt dort oben niederlassen könnten. Ein Spiel mit der Fantasie, die aber ohne weiteres zur Wirklichkeit werden kann. 

Fenster sind …

Augen.

Verhüllung kann …

Neugier wecken.

Was bereitet dir Kopfzerbrechen? 

Was alles so in der Kunstszene passiert?

Welcher Ort hat dich zuletzt glücklich gemacht? 

Das Bonnefantenmuseum in Maastricht – die Ausstellung der Künstlerin Berlinde Debruickere. 

Was birgt die Zukunft? 

Zur Zeit arbeite ich an mehreren Arbeiten und Projekten. Wenn die Zukunft so bleibt, wie die Gegenwart, bin ich sehr zufrieden.Stadtlandschaft_ulrich egger

Fotos: Ulrich Egger 

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