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October 16, 2021

Frauenhass beginnt nicht erst beim Mord

Eva Rottensteiner

Keine einzige weniger. Diese Forderung treibt Feminist*innen von Argentinien bis Wien auf die Straßen, am 25. September 2021 auch auf den Bozner Waltherplatz. Keine einzige FLINTA*(steht für: Frauen, Lesben, Inter, Nicht-binäre, Trans, Agender) darf mehr aufgrund ihres Geschlechts ermordet werden. Laut E.U.R.E.S wurde 2020 in Italien alle drei Tage eine Frau umgebracht. Die Täter? Meist sind es die Partner oder Ex-Partner der Frauen*. Und seit den Lockdowns ist es noch schlimmer geworden. Gewaltverbrechen gegen Frauen* haben weltweit um ein Drittel zugenommen (Monika Hauser/RaiNews, 2020).

Darauf hat die Aktion #etwaslaeuftfalsch im Juni und nochmal im September 2021 mit Plakaten im öffentlichen Raum künstlerisch und literarisch reagiert. 10 Künstler*innen, Autor*innen und Illustrator*innen aus dem deutschen und italienischen Raum haben sich mit dem Thema auseinandergesetzt. Kuratiert wurde das ganze von Martina Oberprantacher, Daniele Lupo, Angelika Burtscher und Maxi Obexer. Letztere haben wir uns für ein Interview über das Thema Femizide geliehen. Obexer ist Schriftstellerin und leitet die alljährliche Summer School Südtirol

„Es ist nicht interpretierbar. Es ist Mord.“ (Aufschrift eines Plakates) – Wer interpretiert? Und warum?

Die Aussage bezieht sich darauf, wie Femizide verhandelt werden. Im Gerichtswesen beispielsweise greifen Verteidiger immer noch zum Argument, dass die Tat aus Liebe, Jähzorn oder Eifersucht geschah. Alle diese Leidenschaften werden zur Verteidigung herangezogen, um die Strafmilderung für einen Mann zu erwirken, der seiner Partnerin das Leben genommen hat. Diese Plakataufschrift weist auf diesen ganzen Rattenschwanz hin, der leider immer noch einen Mord an einer Frau normalisiert. Das liegt auch daran, dass unsere Systeme, so auch das Gerichtswesen im Patriarchat eingebettet sind. Es ist nicht interpretierbar, wenn eine Frau aufgrund ihres Geschlechts getötet wird. Es ist keine Liebestat, kein Versehen, es ist Mord.

Wie bewertest du den gesellschaftlichen Diskurs rund um das Thema Femizid in Südtirol?

Frauen wie Monika Hauser, Barbara Bachmann, Barbara Plagg und viele andere Frauen setzen sich dafür ein, dass der Mord an Frauen nicht mehr einfach hingenommen wird. Auch wir mit unserer Initiative zielen darauf ab. Ich wünschte mir allerdings, dass sich die Männer und die Medien weit stärker dafür interessieren würden. Und dass sie gegen die Diffamierungen von Frauen, wie sie nicht nur auf Social Media, sondern auch in der Tagespresse und besonders während der Pandemie massiv zugenommen haben, vorgehen. Der Frauenhass beginnt nicht erst beim Mord, und es besteht ein Zusammenhang zwischen der medialen Vernichtung und der körperlichen Gewalt. Bei manchen Männern scheint immer noch der Gedanke zu herrschen, der Mord an Frauen durch Männer sei eine Frauensache. Ist es aber nicht. Deswegen betone ich immer wieder, dass unsere Plakataktion kein feministisches Projekt ist.

Warum nicht?

Wir streben keine Gleichheit an, wo es um brachiale, primitive Gewalt geht. Es sind die Männer, die töten. Es liegt eigentlich auf der Hand, dass sich auch die Männer dafür interessieren sollten, wenn ihre männlichen Genossen Frauen ermorden. Wir können nichts ändern, wenn nicht auch die Männer einsehen, dass das Patriarchat ein unterdrückendes System ist, unter dem letztlich alle leiden.Etwasläuftfalsch_Maxi Obexer (c) Daniel Mazza

Geschlechtsspezifische Gewalt ist statistisch gesehen männlich, die Betroffenen weiblich oder nicht-binär. Welche Rolle spielt Männlichkeit in diesem Kontext?

Es geht um das Konzept von Männlichkeit, das sich in Abgrenzung zu Weiblichkeit und allen anderen Geschlechtsidentitäten konstruiert. Eine ähnliche Abgrenzung gibt es auch zwischen Mensch und Tier. Was uns als Menschen angeblich ausmacht, ist stets in Abgrenzung zum Tier gedacht, das damit als rein defizitäres Wesen angesehen wird. Dieses männliche Selbstkonzept hat auch mit der geschichtlichen Funktion des Mannes als Beschützer, Soldaten oder Kriegsführer zu tun, der das schwächere Wesen, die Frau, schützen muss. Nach diesem Verständnis von Männlichkeit muss man sich von allem weiblich Konnotierten, also als schwach oder unterlegen Konnotierten, abgrenzen. Dazu zählt dann natürlich auch jede Art eines fluiden Geschlechter- und Sexualitätsverständnisses. Ich vermute, dass die besondere Grausamkeit, mit der Männer Frauen ermorden, von diesen tiefen Verdrehungen herrühren. Es muss etwas vernichtet werden, das ja zugleich in jedem verankert ist. Es ist ein Argument, das wissenschaftlich am häufigsten angeführt wird, auch Elfriede Jelinek beansprucht es.

Wenn man also nicht diesem Bild des männlichen Beschützers oder Kämpfers entspricht, kann man auch als Mann unter dieser Definition leiden.

Es ist ein Herrschaftssystem, das scharfe Abgrenzungen vornimmt, mit dem sich fortwährend Ausschlüsse formulieren. Die Über- und Unterordnung ist gesetztes Prinzip, die Unterwerfung unter einen einzigen. Es sind Machtstrukturen, zutiefst unfrei, zutiefst unglücklich. Wer die Freiheit als Grundsatz denkt, die jedem in gleicher Weise zusteht, der leidet unter dieser Unfreiheit, egal welchen Geschlechts.

Mir fallen hier auch Transpersonen ein, gerade Transfrauen die statistisch gesehen stark unter Gewalt leiden, aber im feministischen Diskurs oft untergehen. War das Thema bei euch in der Summer School?

Ja, der Hass gegen eine Transperson ist der gleiche Hass wie der an Frauen. Homophobie und Transphobie spielen sich im gleichen Rahmen ab. Letztendlich ist es ein System, das Gewalt über uns alle hat, auch über die Männer. Das trifft auch alle Queers. Es gibt hier viele Zugänge, die bei der Debatte mitgedacht werden müssen.

Was können Kunst und Kultur leisten, was politische Maßnahmen nicht können?

Kunst, Literatur und Sprache können die Narrative knacken und zusätzlich zur Wissenschaft die alltäglichen Manifestationen von Gewalt aufgreifen. Patriarchales Verhalten spielt sich ja in vielen alltäglichen Situationen ab. Wenn beispielsweise mein KFZ-Mechaniker süffisant lächelt, wenn ich ihm sage, dass der Reifen einen Linksdrall hat, seit er ihn montiert hat. Oder wenn ich dem Filialleiter in der Bank sage, dass der Bankomat nicht funktioniert, und ich wieder diese „lass-mich-mal-ran“-Reaktion erlebe. Solche Momente erlebe ich hier oft serienmäßig. Und ich wundere mich, auf welche Irritation, ja sogar Aggression ich stoße, wenn ich sie nicht hinnehme. Wir müssen täglich auf allen Ebenen kämpfen, wenn wir uns nicht degradieren lassen wollen. Kunst und Literatur können auf vielfache Weise unser Denken verändern und verfeinern; und natürlich können altertümliche Konzepte von Männlichkeit und Weiblichkeit ausgetauscht werden mit zeitgemäßeren.

Was war euch bei der Auswahl der Künstler*innen wichtig?

Die Auswahl musste divers sein und verschiedene Gruppen vertreten. Gewalt muss intersektional gedacht werden. Und wir brauchen natürlich auch die männliche Perspektive.

Im politischen Diskurs wird das Gewaltproblem vielfach ethnisiert. Rechte und konservative Parteien behandeln Gewalt an Frauen und nicht binären Menschen als Problem, das durch Migration nach Europa gekommen ist. Statistiken zeichnen ein anderes Bild. War das auch Thema im Laufe eures Projektes?

Diese Strategie ist schon länger bekannt, das ist blanker Rassismus. Die Silvesternacht in Köln ist ein Beispiel dafür. Für die Ausschreitungen und sexuellen Übergriffe zur Silvesternacht 2015/16 wurden arabische Männer beschuldigt und die Geflüchteten. Zu Unrecht, wie die Berichte der Polizei und Recherchen der Journalist*innen ergaben. Nur waren diese Meldungen und Berichtungen lange nicht mehr so öffentlichkeitswirksam, wie die Vorverurteilungen. Die haben dazu geführt dass die Flüchtlingspolitik von Angela Merkel massiv kritisiert wurde – und noch heute wird. Belegt ist auch, dass diese allgemeinen Beschuldigungen und Behauptungen gezielt von rechten, rechtsextremen Vereinigungen, u.a. auch von der AFD, orchestriert und instrumentalisiert wurden. Aber das sind dann meist noch Randnotizen, gemessen an der allgemeinen Verurteilung. Wie Narrative das Handeln der Massen prägen und bestimmen, ist eines der ständigen Themen an der Summer School Südtirol.

Das Problem ist kein Neues, die feministischen Forderungen nach mehr Sicherheit auch nicht. Die Zahlen der Betroffenen steigen trotzdem. Was braucht die feministische Bewegung in Südtirol?

Was es immer braucht. Es gibt hier sehr viele starke und kluge Frauen aus allen Generationen, die die Auseinandersetzungen führen und sich engagieren. Es liegt halt auch an den Männern, sich damit zu konfrontieren und nach einem Weg zu suchen, wie sich diese Barbarei stoppen lässt. Und es gibt sie ja auch. Und sie alle wissen, es gibt da in Südtirol noch einiges zu lüften.

Wer Lust hat, bei der Aktion mitzumachen, kann sich hier die Plakate downloaden und die eigene Stadt damit volltapezieren. Women*, claim your streets!

Photo Credits: Daniel Mazza

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