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October 4, 2021

Die zeitgenössische Kunstszene Bosniens – vor Ort mit Kuratorin Claudia Zini

Brigitte Egger

Gibt es denn auch Contemporary Art in Bosnien? – Eine Frage, welche die 36-jährige Kunsthistorikerin und Kuratorin Claudia Zini immer wieder zu hören bekommt. Ihre Leidenschaft für Kunst hat die gebürtige Trienterin vor sechs Jahren mehr oder weniger durch Zufall nach Sarajevo verschlagen. Dort hat sie zusammen mit Irfan Hošić und Izela Kesmer 2018 die Non-Profit-Organisation Kuma International – Center for Visual Arts from Post-Conflict Societies gegründet. Ein Forschungs- und Bildungszentrum mit Fokus auf Entwicklungen in bildender Kunst und Architektur im politisch gespaltenen Nachkriegsbosnien.

Claudia Zini ist davon überzeugt, durch Vermittlung von Kunst Grenzen zu überwinden und Brücken zu bauen. Jährlich organisiert sie eine internationale Summer School in Sarajevo, dieses Jahr zum Schwerpunkthema „Borders and Migration“, bei der Künstler:innen, Wissenschaftler:innen und Studierende aus unterschiedlichsten Ländern und Hintergründen miteinander in Austausch treten. Kuma International ist mittlerweile aus der zeitgenössischen bosnischen Kunstlandschaft nicht mehr wegzudenken. Begegnungen, die dort stattfinden, schlagen Wurzeln und tragen ihre Ideen und Projekte in die Welt hinaus.

Über die Hintergründe ihres Engagements, persönliche Herausforderungen und Ziele erzählt Claudia Zini im Interview: 

Liebe Claudia, wie ist es überhaupt dazu gekommen, dass du dich für zeitgenössische Kunst Bosniens und Herzegowinas interessierst?

Das war 2008 in meinem Heimatort Trient. Durch Zufall habe ich dort eine Ausstellung von bosnischen Künstler:innen besucht und mich mit ihnen angefreundet. Sie haben mich gleich für Neujahr zu ihnen nach Hause in Prijedor, Bosnien, eingeladen. Zu der Zeit war ich Masterstudentin zeitgenössischer Kunst in Venedig und sehr interessiert an der Kunst, Kultur und Geschichte eines Landes, mit dem ich vorher noch gar nicht vertraut war.

Erinnerst du dich an deine Impressionen bei diesem ersten Besuch?

Damals bin ich mit dem Zug von Italien nach Bosnien gefahren. Ich werde den Anblick der Häuser nie vergessen, die ich an der Grenze zwischen Kroatien und Bosnien, den ehemaligen Kriegsfronten, gesehen habe. Einige von ihnen waren abgebrannt, schwer beschädigt oder gerade im Begriff, wieder aufgebaut zu werden. Es war das erste Mal, dass ich mit sichtbaren Spuren des Krieges konfrontiert war, die Bilder sind noch lange in meinem Kopf geblieben.
Zugleich war ich sehr neugierig über die Geschichten meiner neuen Freund:innen, die zwar ungefähr im selben Alter wie ich waren, aber ein ganz unterschiedliches Leben führten. Ihre Kindheit war geprägt vom Kriegsgeschehen, bis heute haben sie mit Elend zu kämpfen. Diese Konversationen waren sehr bereichernd, sie haben meinen Horizont erweitert und mein Interesse geweckt. Ich wollte diese mir fremde Umgebung verstehen – auch in Hinblick auf die Kunstproduktion, die dort unausweichlich von Krieg und Genozid geprägt ist.

Was sind die Herausforderungen, mit denen die gegenwärtige Kunstszene Bosniens konfrontiert ist?

Ich denke, die größte Herausforderung für bosnische Künstler:innen ist, dass sie keinen Zugang zum Kunstmarkt haben. Dieser existiert de facto nicht in ihrem Land. Es gibt keine Infrastruktur, die Kunst unterstützt. Das ist wahrscheinlich der größte Unterschied zum Westen, wo Kunstgalerien, zeitgenössische Museen und Kunstmessen florieren.

Kannst du uns von deiner Organisation Kuma International erzählen? – Was ist die Geschichte dahinter? Was sind eure Ziele? Worin siehst du die Bedeutung dieser Initiative für die Region?

Mit Kuma wollen wir primär eine Schnittstelle schaffen zwischen akademischer Forschung und einer Plattform für Ausstellungsprojekte und gesellschaftliches Engagement. Begonnen haben wir mit der Organisation einer jährlich stattfindenden Summer School, inzwischen haben wir das Projekt ausgeweitet in Workshops, Exkursionen, Ausstellungen, einer Magazinpublikation (Mahala Magazine) und einem eigenen Architekturprogramm, das jetzt im Oktober online starten wird.
Die Kuma International Summer School ist das erste internationale Programm, das sich ausschließlich der zeitgenössischen Kunstszene aus der Region Bosnien widmete. Eines der Hauptziele war es, das tief gespaltene Bildungssystem des Landes (das gegenwärtig streng nach ethnischer Zugehörigkeit getrennt ist) anzusprechen und eine andere, umfassendere Erzählung des vorangegangenen Konflikts anzubieten, indem wir vortragende Künstler:innen und Wissenschaftler:innen aus verschiedenen Teilen der Region und mit unterschiedlichem Hintergrund einluden. Wir möchten Menschen durch Kunst innerhalb Bosniens, aber auch international miteinander verbinden und vernetzen. Dabei hat es mich besonders gefreut, dass bereits an der ersten Summer School 13 unterschiedlichen Nationen unter den Teilnehmenden vertreten waren.

Kuma International Summer School 1

Was macht den Zugang von Kuma International so besonders, im Vergleich zu anderen Art Summer Schools?

Das Einzigartige an Kuma ist, dass sie sich inhaltlich auf Künstler:innen konzentriert, die Traumata des Krieges durch ihre Kunst reflektieren und mit ihren autobiografischen Kunstwerken persönliche Geschichten erzählen – Fragmente von Erinnerungen, die oft verloren gehen oder absichtlich aus der offiziellen Erzählung ausgeschlossen werden. Ein solches Programm gab es zuvor nicht. Es geht auch darum, zu vermitteln, wie der Krieg in Bosnien 1995 die Ästhetik, die Inhalte und Techniken der lokalen Künstler:innen radikal verändert und neue künstlerisches Vokabular hervorgebracht hat.

Das bosnische/serbische/kroatische Wort „kuma“ bedeutet „Patin“. Wie knüpft diese Konnotation an deine Arbeit an?

Genau, Kuma bedeutet Patin. Eine Patin ist eine markante Figur in der bosnischen Gesellschaft – aber sie spielt auch für die italienische eine zentrale Rolle. So hat es also für mich Sinn gemacht, diesen Namen für die Organisation zu wählen. Eine Patin ist eine weibliche Figur, die sich um andere sorgt. Sie hat mich an Musen erinnert, die göttlichen, inspirativen Wesen der Kunst. Ich sehe Kuma als ein Ort für Menschen, wo sie sich zuhause und sicher fühlen. Und ich wollte auch, dass Kuma dieser Ort für mich selbst ist. Als Ausländer:in in Bosnien wünsche ich mir, dass Kuma mir Glück bringt und mich in meinen Abenteuern beschützt.

Du hast auch selber eine Ausstellung in Verona unter dem Titel „The Imaginary Pavilion of Bosnia and Herzegovina“ (2009) kuratiert. Ist es auch eines deiner Ziele, bosnische Kunst und Kultur den Menschen in Italien bzw. im Ausland näher zu bringen?

Ja, das ist definitiv eines meiner Ziele. Zur Zeit dieser Ausstellung habe ich in der Kunstgalerie A plus A in Venedig gearbeitet. Zusammen mit der Direktorin Aurora Fonda organisierte ich zwei Solo Shows – 2011 mit Ibro Hasanović und 2012 mit Mladen Miljanović. 2013 und 2019 war ich auch involviert in die Organisation des Bosnischen Pavillons der Biennale Venedig. Ich hoffe, dass es noch mehr Möglichkeiten dieser Art geben wird, bei denen ich dazu beitragen kann, bosnische Kunst in Italien und anderen Ländern sichtbar zu machen.

Wie ist es für dich, in Sarajevo zu leben? Was sind die herausfordernden Situationen für dich als Italienerin in Bosnien?

Für mich ist es ein Privileg, in Sarajevo leben zu können. Ich bin umgeben von inspirierenden Menschen, die meine Art und Weise, die Welt wahrzunehmen, verändert haben. Für mich war es als Italienerin relativ einfach, mich an die Kultur Bosniens anzupassen – sich Zeit nehmen zum Kaffeetrinken und zum gemeinsamen Essen, ohne Hektik genießen, von einem Tag auf den anderen zu leben und zu wissen, man wird auch Lösungen für Probleme finden. „Sve će biti u redu“ („Alles wird in Ordnung gehen“) – ein Satz, den ich hier ganz häufig höre.
Natürlich gibt es auch Herausforderungen, aber nicht, weil ich Italienerin bin, sondern ganz allgemein für mich als Ausländerin. Es ist jedes Jahr aufs Neue kompliziert, mein Arbeitsvisum zu erhalten. Manchmal habe ich auch das Gefühl, dass Leute hier misstrauisch gegenüber Ausländer:innen sind. Zu Beginn wissen sie meist nicht, ob sie den guten Intentionen trauen können, und oft muss ich erklären, wieso ich mich entschieden habe, nach Bosnien zu ziehen und wieso es mir hier gefällt. Ab und zu vermisse ich auch mein Heimatland, dann frage ich mich, ob es nicht einfacher wäre, mein Leben zuhause zu leben. Diese Momente der Selbstreflexion kommen und gehen. 

Und abschließend: Welche fünf Orte in Bosnien und Herzegowina würdest du unserem kunstaffinen Lesepublikum für einen Besuch ans Herz legen?

Den KRAK Center for Contemporary Culture und die City Gallery im Ort Bihać. Die Brodac Gallery, den ARKA Art and Education Center, das Bosniak Institute und die National Gallery in Sarajevo und das MSURS Museum für zeitgenössische Kunst in Banja Luka.

Fotos: (1) Claudia Zini; (2) Kuma International Summer School 2021 (c) Amna Hadžić/Ksenija Hotić

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