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September 22, 2021

Loved Clothes Last – Orsola de Castro

Susanne Barta

Kann man über nachhaltige und faire Mode und einen verantwortungsvollen Umgang mit unserer Kleidung heute Bücher schreiben und dem vielfach Publizierten noch etwas Grundlegendes hinzufügen? Das Thema an sich ist ja kein intellektueller Hochleistungs-Parcours, auch wenn Fakten, Daten, Mindsets und Praktiken dazu, vor allem die vielen Probleme der Umsetzung, eine Herausforderung darstellen. Eher braucht es Fleiß und Zeit sich in die Materie hineinzuvertiefen. Dass die Fashion-Industrie (nach wie vor) zu den großen Verschmutzern und Ausbeutern gehört, macht das Thema aktuell und wichtig. Über 53 Millionen Tonnen Textilien werden jedes Jahr produziert, 75 % davon weggeworfen, Tendenz steigend, sei es in der Produktions- als auch in der Post-Consumer-Phase. Der CO2-Fußabdruck der Fashion-Industrie ist groß, die Art und Weise, wie wir Mode konsumieren und mit unseren Kleidern umgehen, hat viel damit zu tun. Das klingt vermutlich wenig inspirierend und nach Spielverderber. Aber hey, kreativ(er) mit Mode umzugehen, mit dem, was im eigenen Kleiderschrank hängt, kann wirklich Spaß machen.

Jedes Buch, das erscheint, uns inspiriert und Informationen in die Hand gibt, ist daher eine gute Sache, auch weil immer wieder neue Leserinnen und Leser erreicht werden. Im Reigen dieser Publikationen ist zuletzt Orsola de Castros Buch „Loved Clothes Last. How the Joy of Rewearing and Repairing Your Clothes Can Be a Revolutionary Act” erschienen. Orsola ist nicht irgendjemand in der Sustainable Fahion Community, sie ist die Co-Gründerin der inzwischen internationalen Plattform „Fashion Revolution“. Die Italienerin lebt seit langem in London und hat sich nach eigenen Designerfahrungen mit ihrem Upcycling Label „From Somewhere“ erfolgreich auf die aktivistische Seite der Fashion-Welt begeben. Ich habe vor zwei Jahren ein Interview mit ihr geführt für diesen Blog, ihr findet es hier.

Fashion Revolution France Foto_2

Entgegen des schon ziemlich weit fortgeschrittenen Bewusstseins von Konsument*innen in Bezug auf Lebensmittel und Ernährung hapert es bei dem Wissen über das, was wir tagtäglich anziehen, ja noch sehr. Kaum jemand würde seine Kleidung wohl so unbeschwert tragen, wenn wir wirklich wüssten, was da alles an (giftigen) Chemikalien verwendet wurde für die Herstellung, und was unser aus allen Rudern gelaufene Fashion-Konsum anrichtet.

Orsolas Buch ist angenehm zu lesen, ab und an plätschert es vor sich hin, aber wer einsteigen möchte in die Welt der nachhaltigen Mode oder einiges vertiefen, der ist hier sehr gut aufgehoben. Vor allem die Erklärungen und Anleitungen zur richtigen Pflege von Kleidung haben mir klar gemacht, dass ich da, entgegen meiner Selbsteinschätzung, nicht so sattelfest bin, und ab nun die Pflegeanleitungen viel genauer lesen werde.

Foto_3_Orsola_Carry_Photo credit Sienna Somers

Orsolas eindringlich vorgebrachte Message lässt sich am besten so zusammenfassen: “Mend – Repair – Rewear“. Sie schreibt über das System Mode, Herstellung, Materialien, neue Geschäftsmodelle, transparentere Lieferketten und gibt Tipps, wie wir die Lebensdauer unserer Kleider verlängern können – durch entsprechende Pflege, kreatives Reparieren/Mending/Upcycling und wenn es ums entsorgen geht, wie man das am besten macht, ohne die Umwelt zu sehr zu belasten – wissend, dass es nicht ganz so einfach ist, Verhaltensmuster zu verändern: „Making changes always requires some kind of bravery, and altering our habits is often an unsettling thing to do. Right now we are facing one of the greatest threats to our evolution – climate heating – so adapting our behaviours to a novel set of requirements will have to become a new habit very soon, as we shift towards a less polluting society.”

Orsola geht Fragen nach wie: „Why did we succumb to a culture that tells us that buying lots of stuff is directly linked to happiness and fulfillment?“ Diese Frage geht tief. Ich kann nicht leugnen, dass sich was Schönes kaufen, durchaus glücklich machen kann. Aber klar, es geht um bewussteren Konsum und darum, wenn man sich für ein neues Stück entscheidet, es so lange als möglich zu tragen und im Kreislauf zu halten. Orsola: „We absolutely need to stop seeing our clothes as disposable. If anyone knew how much time and energy goes into making them, we might slow down this unhealthy circle of buying endlessly, and at times, needlessly.“

Foto_4_con Orsola de Castro

Gut hat mir auch das ausführliche Kapitel über Denim gefallen. Neben praktischen Tipps, wie man seine Jeans „menden“ kann, schreibt Orsola auch über den Trend des Used Looks: „Distressed denim is the symbol of fast fashion, its most perfect visualization, the physical manifestation of a senseless race to the bottom … It shows how unintelligent, how undesigned it has all become … Ridiculous may not be a strong enough word to describe this phenomenon … there is no joy in owning jeans like this.“ Also eine „real time“ gealterte Jeans mit Rissen (die man zum Beispiel „patchen“ kann, Orsola zeigt uns wie) und Spuren, weil lange und viel getragen, hat Charakter und ist was ganz anderes, als eine Jeans im Used Look, der man ansieht, dass sie ganz neu ist. Ganz ehrlich? Das schaut auch nicht cool aus. Foto_5_ricardo-gomez-angel-rNXy6ngoyQ0-unsplash

Seit einigen Jahren ist ein Trend zu handgefertigten Produkten zu beobachten, überall poppen Manufakturen auf, kleine Betriebe mit kleinen Kollektionen bekommen viel Aufmerksamkeit. Orsola singt in ihrem Buch ein Loblied auf das Handwerk: „For years now we have been led to believe that most handicrafts were not that interesting, a bit dull, a bit too ‘ethnic’, as if implying that ethnicity also meant slightly unpolished … I mostly blame the luxury sector for this visual bastardization … we got confused between real luxury and mass-produces premium products.“ Anstatt also (Luxus-) Produkte von der Stange zu kaufen, empfiehlt sie, sich auf eine individuellere Stil-Reise zu machen.

Im Kapitel „Transparency is Trending“ erzählt Orsola u. a., wie wenig sich die Fashion-Industrie immer noch hinter die Kulissen schauen lässt, wie wichtig es jedoch ist, hier mehr Licht ins Dunkel zu bringen, also Lieferketten zugänglicher und transparenter zu machen. Sie erzählt wie es zur Gründung von Fashion Revolution und den aktiven Kampf für bessere Bedingungen für Arbeiter*innen in der Modeindustrie kam und wie man als Konsument*in Greenwashing von Unternehmen ziemlich schnell erkennen kann.

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Wir brauchen also ein neues Mindset, wenn es um unseren Modekonsum und unseren Umgang mit Kleidung geht: „To change the system, we must change the culture it thrives on, and rethinking the role of our existing clothes and objects could be the way from a culture of excess to one of abundance instead.“ Die gute Nachricht ist, es ist ganz und gar nicht so schwierig oder kompliziert, mehr von dem zu tun, was allen gut tut. Aber wo anfangen? Orsola schlägt vor: „The best place to start is your own wardrobe.“ Und schon ist man mitten drin.

Und hier noch ein Zitat zum Schluss, das mir sehr gut gefällt: „Buying responsibly is in; buying new is old; buying used is cool – and keeping is the ultimate reward.“ Thanks Orsola.

Orsola de Castros Buch „Loved Clothes Last“ ist bei Penguin erschienen.

PS: Sogar Südtirol kommt kurz vor im Buch. Orsola war in ihrer Kindheit hier auf Urlaub, sie schreibt über das Edelweiß, das ihr dann auch in Thailand als lokales Symbol begegnet ist.© Susanne Barta Foto_1

Fotos: (1) © Susanne Barta, Jeans > Dawn Denim aus der Kollektion „Art von Broken Pieces, T-Shirt > Secondhand; (2) © Fashion Revolution France; (3) FR Gründerinnen Cary Somers und Orsola de Castro © Fashion Revolution/Sienna Somers; (4) FR Coordinatator Italy Marina Spadafora mit Orsola de Castro © Fashion Revolution; (5) © Ricardo-Gomez-Angel/unsplash; (6) © Fashion Revolution; (7) © Susanne Barta 

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