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September 13, 2021
Angelika Rainer: kopfüber eine Klasse für sich
Maria Oberrauch
Man weiß, wer sie ist und irgendwie auch nicht. Angelika Rainer ist weit über Italiens Grenzen als eine der besten Eiskletterinnen der Welt bekannt. Sie ist dreifache Weltmeisterin im Eisklettern und schaffte als erste Frau eine Drytooling Route im Grad D15 zu durchsteigen. Ziemlich stark und relativ zurückhaltend, die gute Frau. Der Dokumentarfilm My Upside Down World macht endlich die Scheinwerfer groß und folgt Angelika Rainer auf ihrem Weg durch die Welt und durch die Routen ihres Lebens. Er zeigt ihre Tage nach der Wettkampfära, Projekte, die abgeschlossen und neu begonnen werden wollen, innere und äußere Kämpfe, ein Versuchen und Erreichen, Erklimmen und Erkennen, Erzählen und Erwägen auf ihrem Weg durch Island, Griechenland, die Schweiz und die Dolomiten. Im Zuge der Herbstausgabe des diesjährigen Trento Film Festival wird „My Upside Down World“ am 22. September im Filmclub in Bozen gezeigt.
Wie geht es dir und was machst du so, aktuell?
Mir geht es gut, ich bin wie immer fest am Klettern. Nachdem ich seit Frühling 2018 keine Wettkämpfe mehr bestreite, konzentriere ich mich wieder mehr auf das Felsklettern, mit dem ich ja ursprünglich begonnen hatte. Nach 10 sehr intensiven Jahren im Eiskletterweltcup, während denen ich mich auch bei Projekten im Freien meist auf das Klettern mit Pickeln und Steigeisen konzentrieret hatte, möchte ich jetzt noch einmal am Fels Gas geben und sehen, welche Verbesserungen hier noch möglich sind. In einem gewissen Sinn ist dieser Weg für mich also ein „Zurück zum Ursprung“.
Wie kam es zur Entscheidung, dich vom Wettkampf zu verabschieden? Und was hat sich für dich dadurch geändert?
Die Entscheidung ist über Jahre gereift. Von den regionalen Jugendwettkämpfen bis zum Weltcup habe ich insgesamt 20 Jahre lang an Wettkämpfen teilgenommen, irgendwann habe ich gespürt, dass das Feuer, das mich über all die Jahre angetrieben hat, langsam erlischt. Ich konzentriere mich jetzt zu 100 % auf das Klettern im Freien, auf Fels und Eis. Bereits während meiner aktiven Wettkampfzeit bin ich nach Kanada und Colorado gereist, um mich mit den schwierigsten Eis- und Mixed-Routen zu messen. Der Übergang war also fließend, trotzdem war das Beenden meiner Wettkampfkarriere ein intensiver Prozess.
Der Film „My Upside Down World“ geht auf diesen Prozess ausführlicher ein. Wie kam es dazu?
Die Idee zum Film wurde gemeinsam mit meinem Freund Marco und den beiden Regisseurinnen Elena Goatelli und Angel Esteban geboren. Sie wollten mich ursprünglich auf eine Kletterreise in den Iran begleiten, die Zeit reichte schlussendlich aber nicht aus, um die Aufnahmen dort zu organisieren. Nach einem gegenseitigen Kennenlernen kam dann die Idee, mich über ein Jahr bei all meinen Projekten zu begleiten. Gleichzeitig fielen die Aufnahmen genau in die Zeit nach Beendigung meiner Wettkampfkarriere, für mich eine sehr intensive Zeit, in der ich mich selbst neu finden musste.
Ist so was Überwindung? Ist es nicht eine andere Art der ständigen Überwachung der eigenen Fähigkeiten?
Eine bestimmte Überwindung war anfänglich schon dabei, da mich die Filmcrew zu Hause und auf verschiedenen Reisen begleitete und ich, aber auch meine Mutter, mein Partner und meine besten Freunde Einblick in unser Privatleben gewährten. Es war auch ein bestimmter Druck vorhanden, schwierige Routen durchsteigen zu müssen und gleichzeitig von einer sechsköpfigen Crew begleitet zu werden und ein bestimmtes schauspielerisches Talent an den Tag legen zu müssen.
Wie war es, „My Upside Down World“ das erste Mal zu sehen? Kann der Film außer beim Trento Film Festival sonst noch wo gesehen werden?
Wir haben den Film zum ersten Mal im letzten Sommer gesehen, als er noch im Schnitt war, und es war ein ziemlich intimes Erlebnis. Mich selbst so zu sehen, zu verstehen, wie ich von anderen gesehen werde, war neu für mich. Der Film ist momentan bei Film Festivals auf der ganzen Welt unterwegs, wird dann aber auch auf Servus TV und RAI Südtirol gezeigt werden.
Dein schönster Erfolg?
Mein Sieg beim Heimweltcup in Rabenstein in Passeier 2013. Ich war als frisch gebackene Weltmeisterin bei diesem Wettbewerb an den Start gegangen und der Druck von außen, aber auch meine persönliche Erwartungshaltung waren groß. Es war wunderschön vor heimischem Publikum zu siegen.
Deine liebste Nische?
Meine neue Wohnung, in der ich mich so richtig wohl fühle.
Die tollste Route?
Am meisten am Herzen liegt mir die Drytooling Route „A Line Above The Sky“. Bereits der Name regt meiner Meinung nach zum Träumen an. Sie befindet sich hinter dem Fedaia Pass in den Dolomiten und wurde vom Engländer Tom Ballard eingerichtet und erstbegangen. Damals war es die erste Route weltweit im Grad D15 und mit ihrem Durchstieg wurde ich die erste Frau, die diesen Schwierigkeitsgrad klettern konnte. Tom, dem wir diese fantastische Linie verdanken, verunglückte vor 2 Jahren tödlich am Nanga Parbat. Die Route ist somit eine Erinnerung, die mich mit ihm verbindet und die mir sehr viel bedeutet.
Was birgt die Zukunft?
Im November 2021 plane ich ein zweites Mal zum Eisklettern nach Island zu reisen. Die erste Reise dorthin im Februar 2020 war meine letzte größere Reise vor der Pandemie und ich hoffe, damit schließt sich ein Kreis, der uns internationale Reisen wieder möglich macht und Normalität zurückgibt.
Fotos: Film Still von „My Upside Down World“ (1), Marco Servalli (2), ManricodellAgnola (3), Jonathan White (4)
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