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September 8, 2021

Sara Canali geht mit SHER neue Wege

Susanne Barta

Im Mai 2020 launchte die Südtirolerin ihre Brand SHER, die Rad- und Trainingsbekleidung für Frauen entwickelt und herstellt. Die Pandemie hatte gerade die halbe Welt lahmgelegt, aber Sara ließ sich nicht beirren. Ein Jahr später sitzt sie munter in ihrem Büro/Showroom im NOI Techpark und erzählt über die ersten Schritte, Höhen und Tiefen, das Feedback ihrer Kundinnen und über das, was sie vorhat.

Ich bin in einige SHER-Teile hineingeschlüpft und war überrascht, wie angenehm sich die Materialien anfühlen, wie schön die Teile geschnitten sind und wie gut sie aussehen. Dass sie auch alles können, was zeitgemäße Sportbekleidung können muss, darauf legt Sara nicht nur großen Wert, das bestätigen auch ihre Kundinnen regelmäßig. Wie schwierig es ist, Sportbekleidung zu finden, die Funktion und Look zusammenbringt, weiß auch ich nur zu gut. Sara bringt viel Erfahrung mit in ihr Start-up – sie hat lange in der Sportbekleidungsbranche gearbeitet – dennoch ist der Aufbau eines eigenen Labels nochmal eine ganz andere Herausforderung.

© SHER Sara Canali Foto_2+3

Sara, wie ist das erste Jahr gelaufen?

Es war ein gutes Jahr, wenn auch nicht einfach. Im März, als es losgehen sollte, mussten viele Produktionsbetriebe schließen, es gab Lieferprobleme, alle waren zuhause und natürlich hatte ich ständig im Kopf „soll ich jetzt wirklich eine neue Marke starten?“. Gleichzeitig dachte ich aber auch, „wenn alle wieder raus dürfen, möchten sie was unternehmen“. Und so war es dann auch. Die Bike-Sparte boomt geradezu, nicht nur das Radfahren verändert sich, auch unsere Mobilität. Also war es dann doch ein guter Zeitpunkt. Natürlich war dieses erste Jahr auch ein Test-Jahr. Wir haben viel Zeit und Energie in die Produktentwicklung gesteckt, sind mit einer kleinen Kollektion gestartet, das Feedback war sehr gut und darauf bauen wir nun auf. 

SHER produziert Rad- und Trainingsbekleidung für Frauen. Welche besonderen Bedürfnisse haben Frauen hier?

Ich habe lange in dieser Branche gearbeitet und kenne die Mechanismen, wie man an neue Produkte herangeht. Der Radsport ist immer noch eine Männerdomäne und alles, was Frauen tragen, wird von der Männerbekleidung abgeleitet. Frauen aber möchten technisch-funktionale Bekleidung, die auch gut aussieht. Da gibt es noch viele Vorurteile, im Sinne von „Bekleidung, die auch gut aussieht, kann nicht so gut sein“; das ist natürlich nicht so. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass Frauen viel langfristiger denken, Fragen stellen bezüglich der Haltbarkeit und der Pflege der Kleidung, sie sind anspruchsvoller, was Funktion, Lebensdauer, aber auch den Stil betrifft. Bisher also war die Damen-Radbekleidung einfach eine Kopie, ohne Rücksicht auf die Bedürfnisse der Frauen. Da ist noch viel Aufholbedarf!© SHER Sara Canali Foto_4

Du legst großen Wert auf die Auswahl der Materialien, investierst auch in ihre Entwicklung. Womit arbeitet ihr?

Das Material bestimmt die Form, die Farben und die Designs. Wir arbeiten viel mit Webmaterialien, das ist selten in der Sportbekleidungsbranche, weil es teurer ist, dafür hat man ganz andere Möglichkeiten. Unsere Materialien kommen zu 95 % aus Italien, es sind wenige, aber sehr hochwertige und ich arbeite intensiv mit unseren Partnern daran, neue Stoffe zu entwickeln, die unseren Ansprüchen entsprechen. Wir suchen auch nach speziellen Garnen, die aus nachhaltiger Sicht, aber auch in Bezug auf Funktion und Lebensdauer, einen hohen Standard liefern. Mir ist wichtig, dass sich die Materialien toll anfühlen auf der Haut, aber auch erlauben, unsere Designs umzusetzen. Ich sage immer, ich möchte über alle Größen hin „demokratisch“ sein, damit meine ich, dass die Teile so designt sind, dass man auch in größeren Größen gut aussieht. Die Materialien sind da sehr wichtig. Gleichzeitig müssen sie den Ansprüchen des Radsports entsprechen, was Abrieb, Strapazierfähigkeit, Atmungsaktivität, Feuchtigkeitsaufnahme etc. betrifft. Wir produzieren in Italien und Portugal und versuchen die Wege so kurz als möglich zu halten. Das kostet natürlich, unsere Produkte sind nicht billig, aber all das zusammen macht dann auch den Unterschied aus. © SHER Sara Canali Foto_5

Seit kurzem verwendest du auch ein neues Material, das biologisch abbaubar ist …

Amni Soul Eco® wurde von Fulgar entwickelt, einem der führenden italienischen Garnhersteller im Bereich innovativer und umweltverträglicher Chemiefasergarne. Dieses Garn zersetzt sich nach etwa fünf Jahren, wenn es luftdicht vergraben wird. Erfreulicherweise gibt es in diesem Bereich immer mehr Entwicklungen und Innovationen. Materialien, die für Sport geeignet sind, müssen sehr viel können, es ist gar nicht so einfach, entsprechend nachhaltige Lösungen zu finden. Das Thema ist komplex, aber man muss einfach anfangen und es machen, auch wenn 100%ige Nachhaltigkeit noch nicht möglich ist. 

Realistisch gesehen, kann man sich dem Anspruch der Nachhaltigkeit ja nur nähern …

Wie gesagt, das Thema ist sehr komplex. Das fängt schon bei der Verpackung an. Wir verpacken zum Beispiel nicht in Poly-Bags, unsere Ware kommt lose in Kartons, eingepackt in Stoffsäcke, die wir aus Reststoffen nähen lassen, wir schlagen sie dann ein in Seidenpapier und schicken sie in einem recycelten Karton an unsere Kunden. Die Stoffsäcke gehen an die Produzenten zurück, zirkulieren also. Aber dann bekomme ich zum Beispiel Stoffproben von einigen Herstellern, die alle in Nylon verpackt sind. Es ist sehr mühsam, alle am Prozess Beteiligten zu sensibilisieren. Wir sind ein kleines Start-up, nur für uns werden diese Prozesse nicht umgestellt. Deshalb schaue ich auch genau, mit wem ich zusammenarbeite und ob sie unseren Ansprüchen gerecht werden. Man muss hartnäckig bleiben und weiter machen, einige lassen sich auch mitnehmen auf diesem Weg. Mein Traum ist, dass ich irgendwann sagen kann, „wir sind eine wirkliche Kreislaufwirtschaft“.© SHER Sara Canali Foto_6 

Du bringst viel Erfahrung mit, hast das erste Jahr mit SHER gut gemeistert, wohin soll es gehen?

Ich habe mir zum Ziel gesetzt, SHER langsam aufzubauen, es braucht einige Jahre, um sich zu festigen und eine funktionierende Struktur zu entwickeln. Auch um zu verstehen, was der Markt, was die Frauen wirklich wollen. Mein Anliegen ist es, Frauen zu inspirieren, dass sie hinaus gehen und sich bewegen. Die Kleidung soll dabei kein Hindernis sein, leider ist das oft so, vor allem beim Radsport. Eigentlich bin ich Unternehmerin geworden, aus dem Drang heraus, neue Möglichkeiten zu schaffen für Frauen, denn ich designe nicht nur neue Produkte, ich designe auch eine neue Organisation. Die Pandemie hat uns gezeigt, dass Frauen nach wie vor stark benachteiligt sind, 80 % der Arbeitsplätze, die in Italien verloren gegangen sind, sind Arbeitsplätze von Frauen. Dabei gibt es so viele neue Formen des Arbeitens. Eine Designerin mit drei Kindern zum Beispiel, kann nicht 9 to 5 durcharbeiten. Wenn das Ergebnis stimmt, ist es für mich ok, wenn sie nur einige Stunden arbeitet, wann, ist mir egal. Ich arbeite mit vier Frauen zusammen, in den Bereichen, Design, Produktenwicklung und Social Media Marketing, alle machen das von zuhause aus, niemand lebt in Bozen. Sie wissen, was wir schaffen müssen, aber sind flexibel.© SHER Sara Canali Foto_7

Welche Vertriebspläne hast du für SHER?

Wir verkaufen heute weltweit mit Fokus auf Europa. Vor allem direkt, online und über Events. Es ist mir ein Anliegen, Frauen zusammenzubringen und eine Community aufzubauen. SHER gibt es in Bozen bei Leaos in der Bindergasse, wir sind dabei, einige weitere B2B-Möglichkeiten aufzubauen, aber der direkte Kontakt mit den Kundinnen ist sehr wichtig, er ist für mich die Grundlage von Innovation. Wenn ich die Probleme meiner Kundinnen nicht kenne, nicht weiß, was sie brauchen, kann ich keine wirklich passenden Produkte entwickeln. Auch wollte ich aus den klassischen Handelssystemen rauskommen. Üblich ist, zwei Jahre vor Marktauftritt mit dem Entwurf einer Kollektion zu beginnen, meist hat man viel zu viele Teile, die den Markt erst gar erreichen und das ist nicht nachhaltig. Man investiert also Zeit, Energie und Ressourcen umsonst. Wir arbeiten anders, unsere Kollektionen entstehen in viel kürzerer Zeit, wir kaufen viele Restmaterialien auf, die niemand mehr verwendet. Es ist unglaublich, was an nicht verwendeten Stoffen in Lagern herumliegt, die meisten werden tonnenweise verbrannt. Wir investieren sehr viel Zeit in die Suche und Auswahl der passenden Materialien, eigentlich könnte man ja nur mehr mit Reststoffen designen. Hier braucht es ein grundlegendes Umdenken.

Fotos: © SHER Sara Canali 

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