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September 2, 2021

Elisa Barison: Stadt Galerie dekonstruieren und menschliches Zusammenleben neu denken

Eva Rottensteiner

Elisa Barison mischt die Karten neu. Die Kuratorin der Stadt Galerie Brixen hat Publizistik und Kunstgeschichte sowie internationales Kunstmanagement in Wien und Paris studiert. Ihr Weg hat sie durch französische Galerien, italienische Kunst- und Kulturfestivals, eine österreichische Produktions- und Spielstätte für Performative Kunst geführt. Mittlerweile ist sie wieder back in the hood. Und das ist auch gut so. 2018 hat sie mit Davide Bevilacqua im Rahmen des GAP-Curator-in-Residence-Programms das Atelierhaus des Bozner Museion bespielt (1+1=3). Seit Juni ist Barison die neue Kuratorin der Stadt Galerie Brixen – die vom Südtiroler Künstlerbund geführt wird – und hat mit „no event info“ bereits ihren Auftakt gefeiert.

Next on the program: „Hoangortn“ (= Garten vor den Häusern, wo sich die Nachbarschaft nach der harten Arbeit abends zum Plausch traf). Die Ausstellung, die einen Zustand der Geselligkeit zelebriert und dabei den alten Brauch dem Zeitgeist adaptiert.

Mit dabei: Charlotte Aurich, Margareth Kaserer, Franziska Schink, Maria Walcher.

Zeitraum: 2.9.–13.11.2021

Kommet und hänget ab!

Welche Superkraft müssen gute Kurator*innen haben?

Wenn Geduld und Flexibilität Superkräfte sind, dann wahrscheinlich diese. Ansonsten lieber Menschlichkeit als supernatural. Spaß an der eigenen Arbeit und viel Interesse für die Menschen, mit denen zusammengearbeitet wird. Außerdem liegt „gut“ immer im Auge der Betrachter*innen. Wer etwas mit Herzblut verfolgt, kann nicht viel falsch machen, glaube ich.

1+1=3 im Museion Atelierhaus kuratiert für GAP Glurns Art Point_Ph_GAP (c) Frieda Paris

Warum beschäftigt dich das Thema Kunst für alle?

Kunst muss ganz unbedingt für alle (zugänglich) sein. Hinter verschlossenen Türen macht so ein Werk ja auch wenig Sinn. Was die Menschen dann damit anfangen, das ist ganz ihnen überlassen, aber ich bin überzeugt davon, dass der Slogan „sharing is caring“ Sinn macht, wenn wir von Kunst sprechen.

Für welche Inhalte interessierst du dich in deiner kuratorischen Arbeit?

Ich beschäftige mich am liebsten mit den Arten menschlichen Zusammenlebens. Miteinander, aber auch mit der Natur. Es gibt so viele Dinge, die wir als real empfinden und ohne jeden Zweifel hinnehmen und uns darüber Tag für Tag ärgern oder plagen. Dabei sind es eigentlich nur theoretische Konstrukte. Das heißt sie können neu oder jedenfalls anders gedacht werden. Hier kommen Künstler*innen ins Spiel und das finde ich ganz wunderbar.

Der Viechmensch_Filmabend im Sterziner Moos Stadel_kuratiert für den Kunst und Kulturverein LURX (c) Elisa Barison

Warum eigentlich Alexander Wierer für den Anfang?

Alexander Wierers Arbeit ist unprätentiös. Das mag ich. Damit kann man Räume dekonstruieren und ihnen ehemals aufgeladene Energien und Attribute entnehmen. Das war mein Ziel für den Auftakt in der Galerie und Alexander hat es umgesetzt. Er hat dem Raum seine Hoheit genommen und ihn damit für eine neue Saison freigegeben, in der alles möglich sein soll. In seiner Ausstellung wurde der Rahmen (die Galerie, aber auch die Gesellschaft und unser Alltag) zum Inhalt. Menschen konnten dadurch (neu) schauen lernen und ihren Blick aufs Wesentliche richten. Schon immer Dagewesenes kann so endlich von uns wahrgenommen werden und eine Poesie des Alltags entsteht. Neben den „objéts trouvés“ in der Ausstellung beschäftigte sich Alexander in „no event info“ auch mit dem Galerieraum selbst und hat ihn zum Thema seiner ortsspezifischen Arbeiten gemacht. Dadurch konnten sich auch Besucher*innen mit dem Raum auseinandersetzen und fragen, was sie unter einer Stadtgalerie verstehen und was sie sich davon erwarten.

Sollte „no event info“ auch eine Einladung zur Gestaltung des Kunstraumes gemeinsam mit den Besucher*innen sein?

Ich finde, dass wir immer die Gestalter*innen unserer eigenen Realität sind und dass eigentlich jede Ausstellung in unseren Händen liegt. Alexander hat das auf jeden Fall unterstützt, indem er den Besucher*innen bekannte Gegenstände aus deren Alltag präsentiert und mit dem Titel bewusst keine Erwartungen schaffen wollte. Ich bin täglich erstaunt darüber, wie überfordert viele Menschen mit diesem Zugang sind und wie gerne wir alle dauernd an alles und jede*n Erwartungen haben.

DSC_8958 (c) Leonhard Angerer Südtiroler Künstlerbund

Bei deiner neuesten Ausstellung wird es um einen Brauch gehen, „den Hoangortn“. Wie bist du darauf gestoßen und warum war es dir wichtig zu erwähnen, dass der Brauch keine religiöse Verwurzelung hat?

„Hoangortn“ ist so ein Ding, von dem ich immer irgendwie gewusst habe, aber nie ganz sicher war (A) wie man es wirklich schreibt (bis ich verstanden habe, dass es keine korrekte Schreibweise gibt, jede*r folgt dem eigenen Instinkt dabei) und (B) was es wirklich bedeutet. Eine gute Freundin von mir hat den Begriff vor ein paar Monaten benutzt, nachdem wir gemeinsam unter Freundinnen einen angenehmen Abend mit Wein, guten Gesprächen und Basteleien verbracht hatten. Ich habe es also mit einer positiven Erfahrung assoziiert und begonnen, Leute um mich herum zu fragen, was sie unter dem Begriff verstehen. Alle haben etwas anderes gesagt, es war jedoch immer positiv und mit gemütlichem Beisammensein (oder sollte man Abhängen dazu sagen?) verbunden. Als ich dann nachgeforscht habe und von der Herkunft des Wortes erfahren habe, fand ich es interessant, dass es keinerlei religiösen Hintergrund für diese Tradition gibt, weil viele oder die meisten Bräuche, die mir bekannt sind, an irgend eine Art von Religion oder Glauben gebunden sind oder waren. Ich fand es einfach interessant, dass es beim „hoangortn“ schlussendlich darum geht, mit lieben Leuten eine gute Zeit zu haben, das will ich zelebrieren.Roundtable zur art bubble_1+1=3 im Museion Atelierhaus kuratiert für GAP Glurns Art Point_Ph_GAP (c) Elisa Barison

Wie ergab sich die Auswahl der Künstlerinnen? Und was können wir uns von Franziska Schink erwarten?

Die vier wunderbaren Künstlerinnen wurden alle mitsamt einer Arbeit oder einer bekannten Arbeitsweise ausgewählt, um gemeinsam den Zustand des „Hoangortn“ zu schaffen. Dabei ist dieser Zustand sehr offen, diverseste Zugänge und Techniken treffen aufeinander. Jede bringt ein anderes Thema mit an den Tisch und damit arbeiten wir dann. In meiner Idealvorstellung ist auch ein gemütlicher Abend mit den liebsten Freund*innen und bekannten Menschen so. Franziska Schink hat sich mit dem Begriff auseinandergesetzt und dabei ortsspezifische Installationen kreiert, die einerseits ihren ganz persönlichen Zugang zum „Hoangortn“ präsentieren und gleichzeitig durch Objekte und Ikonen Südtiroler Volkskultur die Brücke zu den Besucher*innen spannen. Am Ende soll die Ausstellung zum Sich-Aufhalten da sein und einladend sein.

Wie sieht ein Hoangortn in der Kunst aus?

Das sieht man von 2. September bis 13. November 2021 in der Stadt Galerie in Brixen.

Ich stelle mir immer vor, dass Kurator*innen ewig lange gedanklich oder im Gespräch philosophieren müssen, um zu den finalen Konzepten zu kommen. Ist das bei dir so?

Ich glaube, das macht jede*r anders, und auch bei mir hängt das vom Projekt und von allen involvierten Personen ab. Das Gespräch ist bestimmt der aufschlussreichste und auch schönste Teil. Ich habe irgendwelche Ideen, Gedanken oder Sorgen. Diese teile ich mit Künstler*innen und mir lieben Menschen und erhalte dadurch ein so großes Spektrum an Möglichkeiten, dass die eigentliche Arbeit eher damit beginnt, all diese Informationen zu ordnen. Der Teil des Austauschens gefällt mir am besten, im Ordnen werde ich mich wohl ein Leben lang üben müssen.

KNAUTSCH im Sterziner Moos Stadel kuratiert für den Kunst und Kulturverein LURX (c) Doris Moser

Warum bist du eigentlich nicht in Paris geblieben?

Weil das nötige Kleingeld in Paris eine große Rolle spielt und weil meine Zeit dort abgelaufen war. Ich möchte diesen Abschnitt meines Lebens auf keinen Fall missen, aber jetzt gerade fühle ich mich am richtigen Ort und genieße Südtirol sehr.

Kannst du mehr über die angekündigte Gruppenausstellung zu „radical softness“ und „radical care“ erzählen?

Der Begriff „radical softness“ ist mir zum ersten Mal vor etwa einem Jahr auf Instagram begegnet und hat mich wie ein Pfeil im Herzen getroffen. Der Widerspruch des radikal Weichen ergibt für mich total Sinn und ich fühle mich wohl und verstanden dabei. Ich habe begonnen zu recherchieren (mein Ausgangspunkt war dieses Essay) und bin auf eine ganze Welt von künstlerischen, sozialen und politischen Auseinandersetzungen mit dem Thema gestoßen. Diese möchte ich 2022 gemeinsam mit einer Gruppe von Südtiroler Künstlerinnen, die ich sehr schätze, besprechen und in ein einzigartiges Projekt umsetzen, in dem Gefühle beim Namen genannt werden und die Schwäche als wahre Stärke zelebriert wird.Elisa Barison (c) Leila Garfield

Was hast du mit der Stadt Galerie Brixen noch so vor?

Ich hoffe, dass wir langsam aber sicher aus dieser Zeit des „social distancing“ rauskommen, damit der Raum wirklich zu einem Treffpunkt für die Gesellschaft werden und es auch mehr interaktive und partizipative Programmpunkte geben kann. Zu viel möchte ich eigentlich nicht verraten. Es gibt eine Website zur Galerie, welche als deren Erweiterung gedacht wurde, also den Künstler*innen als eine Art digitales Tagebuch und Schaufenster zur Verfügung steht. Besucht die Galerie, ich freu mich!

Credits: (1) (c) AliPaloma; (2) Frieda Paris im Museion Atelierhaus (c) GAP; (3) Veranstaltung im Stadel im Sterzinger Moos (c) Elisa Barison; (4) Stadt Galerie Brixen/Alexander Wierer (c) Leonhard Angerer; (5) Museion Atelierhaus (c) GAP; (6) Stadel im Sterzinger Moos/Doris Moser (c) Doris Moser; (7) (c) Leila Garfield

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