Music

September 2, 2021

Die Nerdverwandlungsmaschine: Zwei Sound-Tipps fürs HoN 2021

Florian Rabatscher

Das Heart of Noise Festival schlägt auch in diesem Jahr mit einer extravaganten Sound-Auswahl über die Stränge. Wie man es ja von ihnen gewohnt ist. Doch trotzdem schaffen sie es irgendwie jeder Edition dieses gewisse Etwas zu verleihen. Fast unvorstellbar, in wie viele unterschiedliche, schräge Klänge sie Innsbruck seit 2011 jährlich einhüllen. Wie vielen außergewöhnlichen Künstler*innen aller Art außerhalb des Mainstreams hier schon eine Bühne geboten wurde. Und wie viele Legenden der besonderen Art sich hier schon die Klinke in die Hand gaben. Vom erst kürzlich verstorbenen „Godfather of Dub“ Lee „Scratch“ Perry über den Detroit-Techno-Pionier Jeff Mills bis hin zum wahren Cyber Punk Alec Empire.

In diesem Jahr kehrt sogar eine dieser Legenden, die bereits bei der allerersten Ausgabe des HoN dabei war, zurück: Stephen O‘Malley. Ein Name, bei dem einem sofort tiefe, düstere und schleppende Rückkopplungsorgien einfallen. Unglaublich langsame Songstrukturen, die sich scheinbar ins Unendliche ziehen. Hier kann es schon leicht passieren, dass es bei einem zehnminütigen Song nur fünf Anschläge auf der Gitarre gibt. Ja, Drone ist schon was Feines. Aber leider muss ich euch enttäuschen: Er kommt nicht mit Sunn O))). – Enttäuschung war jetzt vielleicht das falsche Wort, da er ja nicht nur als reiner VIP-Gast anwesend sein wird. Zusammen mit dem französischen Komponisten François J. Bonnet bringt er am Freitag, 3.9. um 23:00 Uhr im Congress Dogana ein keinesfalls uninteressantes Soundgebilde namens Cylene zum HoN. Die beiden erforschen damit sozusagen die dunkelsten Tiefen der Klangwelt. Stephen O’Malleys Gitarre erschafft eine gewisse Leere, die ein unendliches Universum öffnet, in dem Bonnet mit verschiedenen technischen Manövern klangliche Welten bildet. Klingt alles ziemlich konfus, aber stellt es euch so vor: Beim Hören dieses Sounds sinkt man tiefer und tiefer, bis man nichts mehr über und unter sich spürt. Trotzdem ist es nicht diese Freiheit wie bei trippigen Space- oder Krautrockorgien, sondern immer in Begleitung von einem beklemmenden Gefühl. Wenn jemanden diese Musik trotzdem ans Weltall erinnert, dann nur an Bord des Millenium Falkens, als Han Solo ihn versehentlich in den Magen eines riesen Weltraumwurms manövrierte, weil er dachte, es sei ein Asteroid. – Mein Gott, wie strange Star Wars doch ist. – Aber auch diese Klänge fühlen sich sehr seltsam beunruhigend an.  Vielleicht denken jetzt viele: Wer will schon so etwas bei Musik verspüren? Aber warum nicht? Alles, was wir von Sounds sonst vernehmen, sind Gefühle wie Freude, Trauer, Entspannung, Feierlaune oder auch manchmal Wut. Bei beunruhigender Musik, wie Extreme Metal, fühlt es sich wie mitten auf einem Kriegsschauplatz an. François J. Bonnet und Stephen O‘Malley hingegen schaffen es so zu klingen wie das verlassene Schlachtfeld danach: Momente nach der Gewalt, der Hässlichkeit oder dem Chaos. Diese Stille nach der Verzweiflung. Unberuhigend ruhig oder auch aufdringlich unaufdringlich. Sehr eigen das Ganze, also auf keinen Fall verpassen.

Für eine ganz andere Stimmung sorgt hingegen Maria Spivak am Samstag, 4. September 2021 um 18:00 Uhr im Hofgarten Musikpavillon. Die Tonkünstlerin aus Zypern wird euch mit feinstem Synth Pop verzaubern. Aber wirklich die feinste Art und weit entfernt von seichtem Pop-Gedudel. Ihr Sound hat keine 80er Vergleiche nötig, weil er ziemlich frisch klingt. Eine geisterhafte, kühle und melodische Stimme wird von Sounds, gemischt mit Post-Punk, Ambient Pop und Trip Hop getragen. Ihr letztes Album „Μετά Το Ρέιβ“ klingt mit seiner dreckigen DIY-Aufnahme derart authentisch, dass es sich allein schon deshalb heutzutage von den anderen gewöhnlichen Blitzeblank-Aufnahmen abhebt. Diese Frau kann live also mit Sicherheit allein mit ihrer melodischen Stimme und ihren Synth-Pads überzeugen. Ich meine, sie gaukelt uns ja nicht einmal mit ihren Aufnahmen etwas vor. Die bessere Umschreibung als Synth-Pop wäre also: Primitiver Futuristic-Lo-Fi-Synth-Dream-Pop. Oder noch einfacher gesagt: Pure Schönheit.

Na dann, liebe Fans der Anti-Pop-Bewegung, es gibt viel zu entdecken beim Heart of Noise Festival 2021. Das waren zwei musikalische Leckerbissen, aber natürlich gibt es noch viel viel mehr. Darüber müsste man aber zu jeder HoN-Ausgabe ein ganzes Buch verfassen, deshalb, entdeckt den Rest doch einfach für euch selbst. Sollten sich auch „normale“ Bürger*innen zufällig auf dieses Festival verirren, könnte es gut möglich sein, dass sie es als komplette Nerds wieder verlassen. Heart of Noise, die Nerdverwandlungsmaschine. 

Foto: Heart of Noise Festival

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