Culture + Arts > Performing Arts
August 30, 2021
Becoming uncomfortable with Barbara Gamper’s art
Eva Rottensteiner
Wenn Barbara Gamper Kunst macht, dann nicht, ohne vorherrschende Machtverhältnisse zu kritisieren. Die Kunst der geborenen Meranerin entsteht an der Schnittstelle von Tanz, Somatik und visueller Kommunikation. In ihren Performances und Videos geht es viel um den Körper und darum, was die Gesellschaft in ihn hineingeschrieben hat. Barbara Gampers Kunst hat aktivistischen Anspruch, gerade was den queerfeministischen oder antirassistischen Diskurs angeht – von der Auseinandersetzung mit dem Privileg des Weißseins ist bis hin zur Dekonstruktion rassistischer Strukturen in der Care-Arbeit. Von Bozen über London bis nach Berlin löst sie in ihren Performances gemeinsam mit den Zuschauer*innen Grenzen und Ausgrenzungen auf.
Du hast zuletzt in Kunst Meran gewerkelt, meintest du in einer deiner Mails. Woran denn eigentlich?
Ja, genau, ich wurde zum 25-jährigem Jubiläum von Kunst Meran zu einer Ausstellung eingeladen, die von sieben Kurator*innen organisiert wird. Es geht um den Medientheoretiker Flusser, der auch mal in Meran war. Meine Installation ist für Sabine Gamper entstanden, die das oberste Stockwerk bespielt. Dort finden sich sieben Positionen von sieben Künstlerinnen. Das oberste Stockwerk hat sie bewusst ausgewählt, um die Hierarchien zu kippen und den Frauen den Platz ganz oben zu geben. Wir erforschen dort die Bedingungen der Care-Arbeit (Anm. d. Red: Sorgearbeit, also alle pflegenden, betreuenden und sorgenden Tätigkeiten, z. B. Kinderbetreuung, Krankenpflege, Haushalt). Das hängt auch mit der Pandemie zusammen, weil es im Zuge dieser teilweise eine Regression in der Gleichberechtigung und Arbeitsaufteilung zwischen Männern und Frauen gab. Diesen Rückschritt in der Rollenaufteilung habe ich auch in meinem privaten Umfeld wahrgenommen. Und weil ich schon lange ein Möbelstück machen wollte, das zum Hineinsetzen einlädt, aber auch gleichzeitig etwas auslöst, habe ich die Terrasse des Stockwerks mit einer Stahlcouch bespielt. Es geht um Hierarchien und Dynamiken hinter Care-Arbeit.
Welche Hierarchien meinst du da konkret?
Die Fürsorgearbeit ist voll von Ungerechtigkeit und Diskriminierung. Das hat mit den rassistischen und patriarchalen Strukturen zu tun, der sie unterliegt. Die ganze Wirtschaft ist abhängig von der teils unsichtbaren und unbezahlten oder schlecht bezahlten Care-Arbeit. Wenn wir uns das Gesundheitswesen anschauen, wird die pflegende Arbeit nicht finanziell wertgeschätzt, die Ausbildungen nicht gefördert und es gibt viel zu wenig Pfleger*innen. Ich habe mir die globale Perspektive angeschaut, Global Care Chains, also die globalen Betreuungsketten (Anm. d. Red.: so werden transnationale Umverteilungen von Betreuungsaufgaben im wissenschaftlichen Diskurs bezeichnet) und wieviel die mit (weißen) Privilegien zu tun haben. Ich meine damit das Phänomen, wenn weiße westliche Frauen migrantische Frauen oft prekär anstellen, damit diese ihre Hausarbeit und Kinderbetreuung übernehmen. Dadurch kann sich die weiße Frau emanzipieren und beispielsweise arbeiten gehen. Die migrantische Frau wiederum hat oft selbst eine Familie, teils im Heimatland, die sie betreuen müsste. An ihre Stelle tritt oftmals die Großmutter oder älteste Tochter. Das sind diese globalen Betreuungsketten, die auf Ausbeutung basieren.
Wie können wir uns die Umsetzung vorstellen?
Ich habe meine Gedanken auf Textilien gedruckt, die als Kissen die Couch säumen. Ziel war es, eine farbige, haptische Installation zu schaffen, die zum Verweilen einlädt. Die Texte auf den Textilien verschmelzen fast mit dem Muster und sind erst bei genauerem Hinschauen erkennbar. Sie sind ein totaler Gegensatz zur bunten, einladenden Couch, weil sie Thematiken wie ökologische Zerstörung, Kolonialisierung und Kapitalismus aufgreifen. Sie behandeln, wie verschiedene Machtstrukturen zusammenhängen und welche Rolle darin das soziale Konstrukt des weißen heterosexuellen Mannes spielt. Die Installation trägt den Titel „Becoming uncomfortable – Changing patterns“ und soll zwar zum Hinsetzen einladen, aber auch ein Unbehagen erzeugen. Wenn man sich beispielsweise mit Rassismus und seinen eigenen Privilegien auseinandersetzt, kommt zu Beginn immer ein unbehagliches Gefühl auf. Die erste Reaktion ist dann zu flüchten, weil wir nie gelernt haben in diesem Gefühl zu verharren. Das ist ein wichtiger Prozess in der eigenen Sensibilisierung gegen Rassimus und Diskriminierung. Wenn man aber die Gefühle von Scham und Schuld zulässt und sie aushält, kann man davon lernen und die Scham transformieren. Die Installation soll dazu einladen, sich in dieses Gefühl mal reinzusetzen und dort zu verharren.
Wie kam es eigentlich, dass du Textilien in deinen künstlerischen Prozess integriert hast?
Bis zu meinem Master in London habe ich eigentlich nur mit Körper und Film gearbeitet. Aber mich hat diese Abhängigkeit von bestimmten Bedingungen gestört. Performances kann man nur sehen, wenn man live dabei ist, und Videos kann man ohne Elektrizität gar nicht verwenden. Außerdem fehlt beiden das Haptische. Als ich das Textildepartment der Uni mit all den faszinierenden Maschinen entdeckte, wusste ich sofort, dass ich hier viel Zeit verbringen möchte. Gerade das „Tufting“, Teppich-knüpfen, hat mich begeistert. Mit einer Maschine, die aussieht wie ein Bohrer, bearbeitet man eine Leinwand. Es ist ein bisschen wie malen, nur wird ein Faden wie eine Schlaufe durch die Leinwand geschossen. Die Arbeit mit Material hat mich voll zu meinem eigenen Körper zurückgeführt. Und sie hatten auch sonst immer noch viel Bezug zum Körper, weil es Textilien waren, die vom Körper aktiviert werden können.
Du hast viel vom Körper erzählt, der sehr präsent in deiner Kunst ist. Im letzten Interview mit franzmagazine meintest du, dass du mehr Aktivismus in deine Kunst integrieren möchtest. Inwiefern kann hier der Körper eingesetzt werden?
Unser Körper ist keine tabula rasa. Körper erzählen viel Geschichte. Ich beschäftige mich gerade viel mit somatischer Arbeit. Da gibt es beispielsweise die „Klein Technique“, die sich mit dem Skelett beschäftigt. Im Knochen liegt unsere biologische Identität, also beispielsweise ob wir Mann oder Frau sind. Doch unsere Muskeln erzählen, woher wir eigentlich kommen, unsere Geschichte. Welche Haltung wir haben, wie wir uns im Raum bewegen und wie viel Platz wir dort einnehmen, erzählen von unserer kulturellen und sozialen Herkunft. Es ist immer sehr politisch, wie ich den Körper einsetze. Mein politisches Bewusstsein ist gestiegen, seitdem ich Mutter bin. Aber schon durch meine Partnerschaft mit einer Schwarzen Person habe ich gemerkt, wie privilegiert ich als weiße Person bin und wie wenig ich mich bis dato mit Rassismus auseinandergesetzt habe oder auseinandersetzen musste, was eben ein Privileg ist. Ich werde nie wissen, wie es sich für meinen Partner und mein Kind anfühlt, aufgrund ihrer Hautfarbe diskriminiert zu werden, aber ich kann mich weiterbilden, mich sensibilisieren und aktiv werden im Kampf gegen Rassismus, meinen Sohn bestärken auf seinem Weg und mir ein Werkzeug aneignen, um meinen Sohn zu unterstützen. Ich habe gemerkt, dass ich nicht unpolitisch sein kann. Die politischen und sozialen Strukturen sind immer verwoben mit meinem Tun, gerade in meinen letzten Arbeiten. Und gerade mit Bewegung und Körper kann ich Dinge ausdrücken, die ich in Worten gar nicht fassen kann. Man hat oft so große Angst davor, etwas nicht zu verstehen. Bewegung lässt mehr Raum dafür.
Apropos Bewegung: Du machst gerade eine Ausbildung zur Somatikerin. Was ist das überhaupt?
Soma bedeutet Körper auf Griechisch. In der Somatik befasst man sich mit dem Körper, aber nicht in Form eines Trainings, wie Yoga zum Beispiel. Vielmehr geht es um Entschleunigung und die Wahrnehmung und das Spüren des Körpers von innen heraus. Für mich hat es einen politischen Aspekt, weil dieses Hineinfühlen herausfordernd sein kann, je nachdem welchen Körper man hat und welche Normen und Reaktionen auf diesen einwirken. Das Interesse an der Somatik kam bei mir mit meinem Sohn Teo, als ich ihn beobachtete, wie er sich als Baby in die Welt hinein bewegt und wie mühelos sich Kinder bewegen, aber auch nachahmen. Was mich an der Somatik interessiert, ist unsere Bewegung müheloser zu machen und ungesunde Bewegungsabläufe oder Körperhaltungen zu korrigieren bzw. den Körper in seinem vollen Bewegungspotenzial zu erfahren und dem Ausdruck zu schenken. Die Bewegungen in der Somatik liegen außerhalb des Spektrums, das man gewohnt ist, aber genau durch diese kann man alte Muster aufbrechen.
Fließt dieser Ansatz in deine Kunst ein?
Ich habe angefangen, somatische Workshops in meine Ausstellungen zu integrieren, die immer um die Thematik der Ausstellung kreisen. In London hatte ich eine Ausstellung zum Thema Ozean. Die Idee war, dass wir alle aus dem Ozean kommen und das Wasser die Quelle des Lebens ist. Ich habe dann ein großes Textil gestaltet, das von vielen Menschen getragen werden kann und ein Gefühl von Verbundenheit herstellen sollte. Dann haben wir einen Spaziergang durch ein Wasserreservoir gemacht und alle Teilnehmer*innen waren dazu eingeladen, ihre „liquid qualities“ im eigenen Körper zu fühlen und durch Bewegung umzusetzen. Durch die Somatik kann ich mich besser mit mir selbst verbinden, und wie soll man mit anderen Menschen verbunden sein, wenn man keine Verbindung zu sich selbst hat. Dieser Zugang hat Potential, um das Mitgefühl untereinander zu stärken und Angst abzubauen.
Also könnte Bewegung auch eine Form von Care sein, wenn man dadurch Mitgefühl und Zusammengehörigkeit übt, oder?
Ja, total. Das habe ich gerade im letzten Jahr gemerkt, wie viel der Körper verarbeitet, wenn man sich bewegt. Ich hatte im Rahmen meiner Ausbildung ein Modul vor Ort und war plötzlich nach der ganzen sozialen Distanz im Raum mit vielen anderen Menschen. Durch das Bewegen in der Gruppe kann so viel Resonanz und Mitgefühl entstehen. So wie schon die Wissenschaftlerin und Feministin Donna Haraway sagte, hören unsere Körper nicht bei der Haut auf. Sie ist eine Membran, die ständig im Austausch ist. Und anstatt vom universalen und in sich geschlossenen Körper zu sprechen, sollten wir uns mehr in andere hinein fühlen und auch die direkte Verbindung zu unserer Umwelt spüren. Dazu gehört für mich auch die Möglichkeit mich zu fragen, wie sich andere Menschen in ihrer Körperlichkeit fühlen, also wie ihre Erfahrung aufgrund von Hautfarbe, Klasse oder Geschlechtsidentität geprägt ist.
Du machst auch Workshops in der Schule. Warum hast du dich entschieden, mit Jugendlichen zu arbeiten und nicht mit deiner primären Zielgruppe deiner Kunst, den Erwachsenen?
Ich habe in Berlin Tanz studiert und meine damalige Mentorin ist dort in dem Bereich tätig. Damals habe ich oft ihre Kindertanzgruppen übernommen und gemerkt, wie viel Spaß mir das macht und was man mit Bewegung bei Kindern erreichen kann. Einmal habe ich bei einem Projekt in einem Kulturzentrum mitgewirkt, wo wir vor allem Kinder mit türkischen Wurzeln hatten, die bis dahin kaum Erfahrung mit zeitgenössischem Tanz hatten. Tanz ist ohnehin nicht populär unter Jungs und vielen kulturellen Kreisen ist auch zeitgenössischer Tanz fremd. Es war so spannend zu sehen, wie Bewegung hier interkulturelle Brücken gebaut hat. In den Workshops mit Jugendlichen habe ich auch immer wieder Diskussionen zu Themen wie Rassismus oder Feminismus eingebaut, aber auch Platz gemacht, um das Erfahrene in Bewegung ausdrücken zu können. Kunstworkshops im musealen Kontext sind oft eine elitäre Angelegenheit. Deswegen muss man die breite Gesellschaft einladen und den Tanz und die Kunst aus der elitären Ecke holen.
Könnte Bewegung ein Tool sein, um schwierige Themen zu behandeln und zugleich zugänglicher zu machen, gerade für die, die es persönlich betrifft?
Genau, ich glaube wir brauchen andere Methoden, als nur im Raum zu sitzen und zu reden. Diese Situationen sind oft zu aufgeladen, weil Sprache Macht bedeutet und einseitig ist. Daran muss auch gearbeitet werden. Aber ich finde, dass gemeinsame Aktivitäten den Austausch fördern und intime Momente schaffen können. Bewegungsworkshops könnten eine andere Art des Zusammenkommens sein, im sozialen Raum aber auch im Kunstbetrieb.
Was bedeutet für dich queere Mutterschaft?
Ich bin zwar in einer heterosexuellen Beziehung, aber beschränke meine Sexualität nicht darauf. Natürlich spielt das im Familienkonstrukt eine Rolle. Ich habe mich eine Zeit lang unwohl gefühlt, den Begriff des Queerseins für mich zu beanspruchen, weil ich aktuell in einer heterosexuellen Partnerschaft bin. Doch ich finde, um queer zu sein, muss man nicht in einer anderen Konstellation sein. Queersein ist auch eine politische Einstellung, als Kritik zum Heteronormativen zum Beispiel. „Mothering queerly“ ist für mich eine Art mit Mutterschaft umzugehen, abseits der Heteronormativität, mich z. B. immer wieder daran zu erinnern und ständig zu hinterfragen, wie man Mädchen erzieht und wie Jungs. Wie kann ich meinem Sohn mitgeben, dass er auch weinen darf und andere Emotionen als Wut zeigen darf? Wie können wir queere Praktiken anwenden, um das heteronormative und binäre Konstrukt zu crashen?
At the Point of Subversion geht weiter. Wie und wann?
Ab Herbst 2021 wird es hoffentlich weitergehen, aber wir wollen uns nicht unter Zeitdruck setzen, weil wir alle aktuell sehr viel Care-Arbeit leisten müssen und auf unsere Bedürfnisse achten möchten. Es wird wahrscheinlich mehr in Richtung Bildungseinrichtungen gehen, aber Genaueres dann im Herbst.
Barbara Gamper hat zeitgenössischen Tanz und visuelle Kommunikation in Berlin sowie bildende Kunst in London studiert. Aktuell macht sie eine Ausbildung im Bereich der somatischen Pädagogik in Berlin. Als Tänzerin und Choreografin für Performances hat sie in Berlin, Stettin und Moskau gearbeitet. Zuletzt hat sie in Karthaus ein Banner über das gesamte Gelände ausgestellt und ihre Installation „Becoming uncomfortable – Changing patterns“ kann man noch bis 24. Oktober 2021 in der Kunst Meran Merano Arte besuchen.
Photo Credits: (1) Barbara Gamper; (2) Kunst Meran_o Arte; (3) Museion Bolzano; (4) Daniela Brugger; (5) KELDER Projects London; (6 + 7) Galleria Doris Ghetta
Comments