Music

August 28, 2021

Die Rückkehr der Krachjünger*innen: Heart Of Noise Festival 2021

Florian Rabatscher

Vom 3. bis 5. September sollten hippe Influencer und Freund*innen der seichten Unterhaltung lieber einen großen Bogen um Innsbruck machen … Wer trotzdem da ist, kann eines dieser angesagten TikTok-Videos drehen. Wie wär’s mit 20 Sekunden zum neuesten Hit von Ed Sheeran zähneklapperndem und nervösem Fingernägelkauen und am Ende leisem in die Kamera Flüstern: „Ich sehe tote Menschen.“? In diesen Tagen wird die schöne Alpenstadt nämlich von mysteriösen Verfechtern der Avantgarde besetzt. – Naja, jetzt nicht wirklich belagert, sondern lediglich kulturell etwas wachgerüttelt. 

Sie sind nämlich zurück! Die Stiefkinder der Kunst, die Aussätzigen der Musikszene, die Freaks der Unterwelt – besser bekannt als das Heart of Noise Festival. Als ich diese Nachricht hörte, machte auch mein Herz seltsame Noises – ein Gefühl, das einem in dieser öden Pandemie-Zeit viel zu selten durch den Körper schoss. Doch da ist sie wieder, diese kindliche Neugier: Wie früher, wenn man ein altes verfallenes Gebäude unbedingt betreten musste, um zu sehen, was man so Abgefahrenes darin findet. – Ja, so eine Bruchbude hat einfach was. Sieht zwar von außen nicht schön aus, bietet aber im Inneren allerlei schräge Überraschungen. Genau wie dieses besondere Festival. – Mit manchen Namen auf dem Line-up kann können die wenigsten wahrscheinlich etwas anfangen, aber genau das ist der Punkt. Es geht nicht um Größen, die durch ihre Bekanntheit Menschenmassen anlocken und die Kasse klingeln lassen. Nein, es geht um außerordentliche Inhalte, die dann selbst entdeckt werden müssen.

Das Festival Heart of Noise sucht schon seit 2011 nach Regionen außerhalb der Ästhetik des Kulturmainstreams und präsentiert alternative Genres und Impulse des aktuellen Musik- und Kunstgeschehens. Als Besucher*innen fühlt man sich wie Auswanderer*innen, die hartnäckig versuchen der Wirklichkeit zu entkommen. Dabei findet man sich in einem bizarren Zirkus wieder, der ausschließlich Artist*innen von anderen Planeten beherbergt und jegliche Sinne anspricht. Fürs Gehör gibt es manischen, hochartistischen Extreme-Metal von Ad Nauseum; François J. Bonnets & Stephen O’Malleys Drone-Sound, der scheinbar direkt aus den weiten Tiefen der Erde entspringt; Die Sterne mit krautigen Flächen die auf Italo-Pop treffen, verspulten Folk, Psychedelia und Disco; mit Maria Spivak wird auch Synth Pop geboten; sogar mit vierzig Jahre alten Commodore CBM 8032 Computern werden von Robert Henke Klänge produziert; Field-Recording-Künstler*innen und natürlich allerlei abgefahrener Krach und unübliche Club-Sounds. Auch fürs Auge gibt es von jeglicher Medienkunst über Tanz bis hin zu Performances genug Angebot. Oft kann es auch gut möglich sein, dass man eine Fusion von allem zu sehen bekommt. Wahnsinn. Dieses Festival ist nicht nur bei der Künstler*innen-Suche ständig in Bewegung, sondern auch mit dem Veranstaltungsort, denn es findet in mehreren Venues statt und man ist während des sogenannten „TRAMatic RIDE“ sogar mit der Stubaitalbahn unterwegs.HoN_2021_Robert_Henke_01

Willkommen also im Universum von Heart of Noise, wo die Realität langsam verschwimmt, wo Skulpturen zu Klangkörpern werden und Klänge zu Bildern mutieren. Alles kann passieren, aber nie das, was logisch erscheint. So wird Neues erschaffen.  

Vielleicht ist genau das die Anziehungskraft dieses Festivals: Es hat etwas Verbotenes und diesen Charme von einem illegalen Rave. Der verbotene Apfel im Paradies. – Und natürlich essen wir ihn, pfeifen auf den Garten Eden. Warum fromm sein? Ergebt euch ruhig den Verlockungen. Wie dieses Festival sollte man genau das tun, was nicht erwartet wird. – Das HoN ist unter den Festivals, was Dennis Rodman im Basketball war: eigentlich zu schräg für seine Welt, aber trotzdem zu rar, um einfach ignoriert zu werden. Nehmt das heurige Motto „Live is good. Break your Form“ also bitte ernst und befreit eure Seelen von diesem ätzenden Pandemie-Schlummer. Oder macht es einfach wie Dennis Rodman und heiratet euch selbst. Jedenfalls beende ich diese Zeilen mit den Worten der legendären Sound Fusion von Public Enemy und Anthrax, die auch zum Geist von Heart of Noise passt: Turn it up! Bring the noise! 

Fotos: (1) Ronce © Manuela Rusu; (2) Robert Henke

Print

Like + Share

Comments

Current day month ye@r *

Discussion+

There are no comments for this article.

Archive > Music