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August 24, 2021

Im Atelier: Manfred Alois Mayr

Maria Oberrauch

Manfred Alois Mayr  balanciert als Raumkünstler zwischen den traditionellen Kunstgattungen. 1952 in Tscherms geboren, studierte und lehrte er in Wien Graphische Künste, bis es in weiterzog, in neue Gefilde. Er arbeitet ganz klein und ganz groß, in Design, Skulptur, Architektur und er macht Kunst wunderbar greifbar. Der Ort ist das Feld, die Geschichte der Nährboden. Was er sucht, findet und wie er daraus erschafft? Ich habe ihn in seinem Atelier in Bozen besucht …

 Wie erging es dir das letzte Jahr? Hat sich für dich viel geändert?

Eigentlich nicht. Meine Projekte sind alle relativ groß und ziehen sich über längere Zeiträume. Ich war froh, mich auch wieder öfter zurückziehen zu können, in die Aufgeladenheit dieses Raumes. Meine Arbeitsentwicklung hat neue Kontraste und Ruhe erfahren, einiges hat an Intensität gewonnen und umgekehrt. Es braucht ja Pausen! Wie in der Musik: Die Töne allein können noch so rein sein, die Pausen aber, die Zwischenräume, sind wichtig und gehören genauso dazu. 

Womit wir schon bei einer deiner aktuelleren Arbeiten wären: Eine große Klanginstallation für die Pobitzer-Galerie in Meran. Du hast die Südtiroler Komponistin Manuela Kerer für „Carillon 2020“ mit ins Boot geholt. 

Ja, die Arbeit ist 12 x 6 Meter groß und bespielt den Lichthof der Galerie über drei Geschosse. In der ersten Phase habe ich mit Fundstücken, vor allem mit recycelten Metallscheiben vom Bau, gearbeitet und eine Dreidimensionalität erschaffen, die auch etwas hergibt, wenn keine Töne erklingen. Rost, Nickel, Gold, Metallfarben – die Fundstücke tragen Spannungen und auch etwas Edles in sich. Verbunden ist das Ganze mit Magnet-Hämmern, 1.000 Metern Kabel und mehreren Schaltkästen mit Zeituhr. Manuela Kerer hat anschließend darauf reagiert und die große Herausforderung angenommen, Stücke für diese Metallobjekte zu komponieren. Jeden Monat spielt die Installation eine von sieben Kompositionen. Einmal die Stunde schlägt außerdem ein Ton an einem der Objekte an. 

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Eine Art Glockenspiel, ganz neu und doch auch ein Zitat vorheriger Klangarbeiten?

Mit Manuela habe ich schon für ein Projekt am Karersee zusammengearbeitet. Dort haben wir für die speziell in dieser Gegend wachsende Haselfichte eine Installation entwickelt: Auf den Brauch, den Baum eigens für den Bau wertvoller Streichinstrumente auszuwählen und zu fällen, habe ich reagiert und das „Anschlagen“ installativ umgesetzt. Manuela hat dafür eine Komposition für drei Perkussionisten auf dem Holz – Xylophon entwickelt. In Graubünden habe ich für eine temporäre Intervention ein Glockenspiel gebaut, das die Kirchturmklänge der umliegenden Dörfer wiedergibt. (siehe Titelbild – Anm. d. Red.)

Deine Arbeiten nehmen stets auf einen und nur diesen einen Ort Bezug. Kunst am Bau ist meist permanent verankert, im Kontrast zum Ausstellungsgetriebe, in dem Werke für einen gewissen Zeitraum und immer neue Räume bespielen. Was ist für dich das Besondere an dieser Art zu arbeiten? 

Man geht hin, befasst sich mit der ganzen Geschichte, mit dem Tal, mit dem Raum, dem Geschehen und dann entsteht eine Kontext bezogene Arbeit. Wenn ich in einem alten Haus im Dachboden einen Berg PET-Flaschen finde und im Stiegenaufgang Millefiori ähnliche Glaskugeln, dann reagiere ich darauf. 

Wie? 

Die Flaschen wurden zur sieben Meter hohen Säule. Von Weitem haben sie in diesem Ambiente, in diesem Schloss Castelmur, gewirkt wie Murano Glas. Nähert man sich dem Objekt, erkennt man, dass es PET-Flaschen sind. Durch die gegebenen Lichtverhältnisse, durch das Erschaffen für exakt diesen Ort, kommt eine ganz andere Schwingung in die Sache, als wenn ich es irgendwo anders hinstellen würde. Deshalb ist die Arbeit für mich dann auch abgeschlossen. Und ich mache an einem anderen Ort gewiss nicht dasselbe.

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Eine Linie, in Form und Farbe z. B., erkennt man dennoch. Was hat es mit den Handläufen auf sich?

Mich interessieren Nicht-Orte. Orte, von denen man sich nichts erwartet, die leicht übersehen werden und oft erst auf den zweiten Blick wahrgenommen werden. Handläufe geben Halt, sind haptische Erlebnisse. Sie führen irgendwohin. Auch Decken werden heute oft übersehen. Aus diesen nichtprominenten Orten möchte ich etwas herausholen. Und genau solche Orte werden auch oft zu meiner Aufgabe, wenn ein Auftraggeber selbst merkt, da stimmt was noch nicht ganz, da muss was passieren. Meine Arbeit als Marke oder Stil interessiert mich dabei wenig. Vielleicht ist die Linie am ehesten in meiner Herangehensweise an Situationen zu finden. Also auch an der Art mit Farben zu arbeiten.

Dunkles Rot. Metallfarben … (Eine ganze Wand im Atelier ist mit unterschiedlichsten Farb- und Materialmustern belegt – Anm. d. Red.)

Ich setze eine Farbe nie aus einem dekorativen Aspekt in den Raum oder einer gewissen Vorliebe wegen. Der Raum selbst verlangt nach Farbe oder nicht. Wie ist er gestaltet, wie das Licht, die Materialität, die Geschichte, der Zweck? Kupferfetriol (Behandlungsmittel gegen Blattbefall) in einer Kellerei hat ihren Bezug und ihre Richtigkeit dort. An alten Bauernhäusern sieht man diese Farbe noch. Sie variiert nach Luftfeuchtigkeit, ändert ihre Strahlkraft, ist wunderschön. Dass der Besucher diesen Bezug nicht unbedingt wahrnimmt und kennt, ist dann auch gar nicht wichtig. Die Stimmigkeit ist darin. Warmes Rebschwarz. Schwefelgelb. Oder Armierungsstangen: Wenn ich sie rosten lasse, will sie niemand angreifen, denn Rost zieht nicht an. Die vergoldete Armierungsstange aber wollen die Menschen berühren. 04-m_a_mayr_GOLDLAUF_FOTO_G_R_Wett_001_25-150

Ursprünglich kommst du aus der Malerei und Graphik und hattest dafür auch einen Lehrauftrag an der Akademie für bildende Künste in Wien …

Ich habe dort Graphische Künste unterrichtet. Vollpragmatisiert, wie es die Österreicher dazumal waren, hatte ich einen unkündbaren Lehrauftrag an der Akademie. Aber wenn man seinen Job wirklich ernst nimmt, muss man auf die verschiedenen Studenten und Charaktere eingehen … es fließt viel Energie in das Lehren und der Rhythmus ist so fremdbestimmt, dass die eigene Arbeit darunter leidet. Ich habe gekündigt und war dann ein halbes Jahr in Spanien, wo meine ortsspezifische Arbeit angefangen hat: Wie läuten in welchem Ort die Glocken? Was hat es mit dem Wachs auf sich, das dort den Kirchen gespendet wird? Was ist das eigentlich für ein Blau an den Marienstatuen? 

Die Leinwand hat sich in den Raum verschoben?

Der Bezug zum Räumlichen war schon vorher da. Architektur und Malerei waren für mich nie etwas Getrenntes. Aber ich habe mich vom bildhaft akademischen Blickwinkel immer weiter entfernt. Wenn man das tut, was man gerne tut, und vor allem auch, wenn man Umwege nicht scheut, ist der eigene Weg ein guter Weg.

Ein Weg der dich zurück nach Südtirol geführt hat. Wie nimmst du diesen – etwas kleineren – Raum war?

Klar, Südtirol ist keine Kunstmetropole. Und meine zweite Bleibe in Wien habe ich immer noch, denn dieses andere Reibungsfeld, diese Verbindungen brauch ich auch. Kontraste sind wichtig, genauso aber Gemeinsamkeiten. Wenn ich hier mit Freunden auf den Berg gehe, kann es schon passieren, dass die Arbeit mit mir geht, aber dass man dann oben zusammensitzt und die Gesellschaft der anderen genießt, schließt sich ja nicht aus. Ich weiß, wo ich Gleichgesinnte treffe – in Wien, im Pustertal, im Vinschgau, in Graubünden. Und wenn du eine Geschichte in dir trägst, dann wirst du sie auch draußen wiederfinden, egal wo.

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Zum Beispiel?

Für eine Ausstellung in Moskau mussten wir etwas vor Ort erschaffen. Weil ich mich gerade intensiv mit Farbe beschäftigt hatte, füllte ich sämtlich Getränke Moskaus, die ich finden konnte, in Gläser ab und bildete die dortige Farbskala darin ab. Es sind andere Farbnuancen als in Südtirol und doch sind es immer Farben und viele ähneln sich. Ich reagiere auf Situationen und dabei ist es wichtig zu verstehen, wo man was wachsen lassen kann. Es braucht Stimmigkeit und zugleich ein Reibungsfeld dazu. Schau dir nur dieses Atelier an: Eigentlich eine Katastrophe. Die Züge, die daran vorbeirauschen. Diese Tür, diese Form, diese Lage. Ich wollte den Raum nur zwischenzeitlich nutzen, bis ich verstand, dass man einen Raum positiv aufladen kann und sich selbst darin auch. Ich bin jetzt seit über 15 Jahren hier.

Dein Atelier tut jedenfalls seine Wirkung. Ein Kraftort. Danke für das Gespräch. 

Fotos: Manfred Alois Mayr

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