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August 14, 2021

Extrasober: Alkohol, ent-cool-isiert

Eva Rottensteiner

Ernüchternd blicken 12 künstlerische Augenpaare auf die globale Trinkkultur. Welche Rolle spielt das Kollektive beim Trinken? Was hat Alkohol mit Macht zu tun? Wo wird der Rausch banalisiert? Wie fühlt es sich an, wenn man sich dem Rausch zu entziehen versucht? Und warum wird ein betrunkenes Nein oft nicht als solches ernst genommen?

In neun Stationen haben sich internationale Künstler*innen mit den Wechselwirkungen zwischen Rausch, Sucht, Krankheit, Leid und Macht auseinandergesetzt. Das Projekt „Extrasober – Ein nüchterner Blick“ entstand in Zusammenarbeit mit dem Forum Prävention im Rahmen der 3. Österreichischen Dialogwoche Alkohol und wurde kuratiert von Sophie Lazari und Annika Terwey, beide italienische Künstlerinnen und Studierende der Universität der Künste in Berlin.Saccharomyces cerevisiae (c) Maria Capello

Am Anfang war die Roboterstimme. Rote Visuals auf schwarzem Hintergrund erinnern an alte Windows-XP-Bildschirmschoner und verbildlichen den molekularen Aufbau von Ethanol. Experimente mit Objekten wie einer Stange, an der zwei Becher angebunden sind, testen das kollektive Erfahren. Und wenn eine Person zum Trinken ansetzt, drängt sich einem die Frage auf: trinken oder verschütten? Es folgen karikaturenartige Illustrationen. Aufgedunsene Gesichter, rote Wangen und halboffene Augen in der Kneipe, dem Tatort so manchen Saufgelages. Sieht man genauer hin, erkennt man die geilen Blicke betrunkener Männer, die bei Blicken oft nicht bleiben. Schwarze Geschöpfe kriechen aus den Ohren, Stirnen und Nacken der Trinker*innen. Ein paar Illustrationen später schaudert es einen, wenn die Mutter zum Kind sagt: „Trink, aber kenn deine Limits.“ Der Rausch und seine Glorifizierung ist nämlich überall, auch in der Familie.3-THAT_AWKWARD_MOMENT_nr14 (c) Kennet-Lekko

„Who stole my serotonin“, fragt sich ein anderer Künstler mit einer seiner Kollagen. In einer anderen gönnt sich eine Fratze ohne Gesicht ein Glas Wein. Das Mantra hier: Nicht meditieren, sondern selbst therapieren. YOLO. Regulieren Sie auch manchmal Ihre Emotionen mit Alkohol? Finden Sie es lächerlich, alkoholfreies Bier zu trinken? Verstricken Sie sich in schamvollen Lügen, wenn Sie mal wieder einen über den Durst getrunken haben? Es folgt ein soziales Experiment, das auch unangenehme Fragen aufwirft. Unangenehm wird es dann so richtig bei Angelica Liv, die Alkohol aus einer feministischen Perspektive aufdröselt. Sie hat doch gar nicht Nein gesagt, hat sie? Immerhin war sie betrunken. Nicht zuletzt werden die Besucher*innen eingeladen, einen kritischen Blick auf die L%bby zu werfen und 1 € mit einem Bierdeckel zu verwechseln und bei näherem Hinschauen den Geldsack und die Bierkiste an den Krallen des deutschen Bundesadlers zu entdecken. Am Ende flimmert das Delirium über den Bildschirm und die schreckliche Dunkelheit wird in Worte gefasst, durch die man im Entzug gehen muss.My Body my Rules (c) Angelica Liv

Extrasober ist ein breitgefächerter, kritischer Blick auf die Trinkkultur in Sauftirol und entzaubert das Delirium. Die zwei Kuratorinnen beweisen, dass Kunst ein bereicherndes Tool sein kann, um alternative Aufbereitungen für ein altes Problem zu finden. Die Gedanken waren zwar nicht alle neu, aber bieten einen kreativen Rahmen für gesellschaftlichen Diskurs. Die 12 Künstler*innen haben es geschafft, jenes Volksgetränk zu ent-cool-isieren, welches unsere Gesellschaft vergiftet. Die Botschaft ist klar: Nüchtern lebt und liebt es sich besser als sediert.

Credits: (1) L%bby by DIÆGO; (2) Saccharomyces cerevisiae by Maria Capello; (3) Drinking vs Thinking by Kennet Lekko; (4) You are not alone by Angelica Liv

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