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August 3, 2021

Ein bisschen süchtig nach dem Kreuz – Alexander Wierer

Eva Rottensteiner

no event info“. Mehr Info gibt es zunächst nicht über die aktuelle Ausstellung in der Brixner StadtGalerie. Erwartungen also nicht möglich. Alexander Wierer installiert, Elisa Barison kuratiert. Wierer hat in Münster Kunst studiert und ist zurück in Brixen, vorerst zumindest. Wir haben ihn im Fahrradurlaub in Genf gestört und mit ihm darüber gesprochen, was er an Menschengemachtem spannend findet, warum Schlafen künstlerische Praxis sein kann und was es mit dem Wlan seiner neuesten Installation auf sich hat.

Am Freitag 6.8.2021 (18 Uhr)  findet in der StadtGalerie auch ein Gespräch zwischen dem Künstler Alexander Wierer und der Kuratorin Elisa Barison statt, in welchem sie durch die Ausstellung führen und einen Blick hinter die Kulissen bieten.

Was haben Skistöcke und ein Staubsaugerstiel gemeinsam?

Dass es alles Stäbe sind, also im Groben verbindet sie ihre Form. Ich fand es spannend, sie so aufzustellen. Es ist ein Pfeil dabei und ein Selfiestick. Es ist eine Sammlung an Stöcken, bei der man sich fragt, wie weit man mit dem Sammeln kommt, wie viele Stöcke es in der Welt gibt.no event info (c) Leonhard Angerer Südtiroler Künstlerbund

Und was hat der Fischerhut damit zu tun?

Es gibt keinen konkreten Zusammenhang mit den anderen Gegenständen, sondern hat eher damit zu tun, wie ich die Ausstellung mache. Ich nehme immer jede Menge Zeug mit, wenn ich einen Raum bespiele, so wie den Hut hier oder die weißen Crocs. Die Gegenstände nehme ich mit, weil ich sie auf irgendeine Weise spannend finde und lasse sie dann durch den Raum fliegen. Die Galerie liegt mitten im Zentrum der Stadt, umgeben von Modeläden und schicken Geschäften. Shopping ist ein räumlicher Kontext der Galerie, damit hab ich gespielt. Ich fände es superlustig, wenn sich jemand mit dem Wunsch, eine neue Hose zu kaufen, in die Ausstellung verirrt. Da hat es sich angeboten, einen Look zu entwerfen. Passend zum weißen Fischerhut gibt es zwei weiße Pistolen.

Mit welchem Interesse gehst du in den künstlerischen Prozess?

Wenn wir beim Fischerhut bleiben, der hat in der Ausstellung nichts mit fischen zu tun, sondern damit, dass der Hut ein Gegenstand ist wie jeder andere. Mich interessiert das Installieren von Gegenständen des täglichen Lebens. Alles Menschengemachte finde ich spannend. Und mit diesen Gegenständen spiele ich im Raum. Durch das Installieren ergeben sich neue Sinnzusammenhänge. Ich finde es spannend, Gegenstände aus einem Kontext zu reißen und sie in einen neuen einzupflanzen, um zu sehen, wie sich das anfühlt.AMAA

In deiner Ausstellung geht es auch um die Systemrelevanz der Kunst und welchen Wert deine Kunst in der Gesellschaft hat.

Ja und nein. Ich habe mit der Kuratorin Elisa ein Jahr lang über die Kunst geredet, übers Künstlersein und übers Kuratorinnensein. Dieser Rahmen war ihr kuratorischer Beitrag. Man stellt sich als Mensch ständig die Frage, welche Relevanz man hat. Vielleicht haben aber gerade Künstler oft den Drang nach Geltung. Wenn sie schon was machen, wollen sie es zeigen, und da stellt sich oft die Frage, ob es überhaupt gefällt, ob man wen damit berührt, ob es irgendwen interessiert. Unterbewusst rattert das immer mit, aber ich mache es nicht so zum Thema in meiner Kunst. Doch natürlich ist es im Zuge der Pandemie eine relevante Thematik. Die Kunst hat in der Corona-Zeit für viele Menschen nicht die Wertschätzung erhalten, die sie haben sollte.

Ist es nicht auch nachvollziehbar, dass viele Menschen in Krisenzeiten nicht an die Kunst denken, wenn die Kunst oft zu elitär ist, um einen Großteil der Gesellschaft zu erreichen?

Klar, aber wenn Musik die stärkste Kunstform ist, wird klar, dass viele Menschen ohne diese nicht durch die Corona-Zeit gekommen wären. Genauso ist es mit der Unterhaltungsindustrie, auch wenn man sie nicht in einem engeren Kunstbegriff fasst. Auf elitäre Kunst können wir als Gesellschaft logisch verzichten.AMAA

Würdest du deine Kunst als interaktiv bezeichnen?

Es gibt einen performativen Aspekt in meinen Arbeiten. Das hat eher damit zu tun, wie sich Menschen darin verhalten. Damit spiele ich aktuell. Meine Arbeiten stellen manchmal direkte Fragen an die Betrachter, sie drängen sich einem auf. In der Ausstellung ist ein Boden – der billigste Parkettboden, den man kaufen kann. Den habe ich am Eingangsbereich ausgebreitet. Der nimmt ziemlich viel Fläche am Boden ein und der drängt sich den Besuchern auf, wenn sie hereinkommen. Sie müssen sich entscheiden ob sie auf die Fläche drauftreten, außen herumgehen oder ob sie die Fläche gar nicht sehen. Das ist lustig, weil sich die Frage jeder stellen muss, wenn er davor steht. Ich mag das Wort interaktiv nicht sonderlich, weil das zu sehr nach Gruppenarbeit klingt.

Deine Arbeit „bipolar lights“ hast du nach dem pay-what-you-can-Konzept verkauft. Das ist ungewöhnlich im Kunstbetrieb …

Ich wollte eigentlich viele von denen wegkriegen, weil Feuerzeuge als Gegenstand viel kursieren. In dem Sinne wäre es auch interaktiv, weil sich die Arbeiten von allein bewegen. Die wandern von Tasche zu Tasche. Das kennen alle Raucher, wenn man ein Feuerzeug in der Tasche hat, das einem gar nicht gehört. Ich habe mir vorgestellt, dass es wie das Geld von Hand zu Hand wandert. In meiner Vorstellung kommt es dann auf irgendeine Weise wieder zu mir zurück und ich treffe dabei einen anderen Menschen. Wie ein Kreis, der sich schließt. Die Feuerzeuge sind weniger eine Skulptur oder eine Arbeit, auf der mein Name steht, sondern ein Gegenstand, den man wiedererkennt.

Hast du dich deswegen fürs pay-what-you-can entschieden?

Wenn ich es mit 5 € oder sowas bepreist hätte, würde man nicht rechnen. Wenn man es aber offenlässt, ist es wie eine Frage: Was kommt jetzt? Manche haben nichts gezahlt, manche auch 20 €, andere 3,50 €. Es ist egal!Alexander Wierer (c) Daniela Capaldo

Auf deiner Website hast du keine Biografie, sondern 2 Lügen aufgelistet von Stanislav Lem. Lüge 1: Wir wollen den Kosmos erobern. Lüge 2: Wir halten uns für die Ritter vom heiligen Kontakt. Warum?

Ich fand den Text spannend. Für meine Abschlussarbeit an der Kunstakademie habe ich meinen Mitbewohner in Münster dazu gebracht, die Erkenntnisse von Stanislav Lem in einen Fließtext einzuarbeiten. Das war eine Herausforderung, weil er die Kunst komplett scheiße fand und meinte, dass Künstler alles Egomanen sind. Kunstakademien seien Ansammlungen solcher. Dass er mir am Ende als Kulturwissenschaftler doch diesen Text geschrieben hat, hat mir gezeigt, dass doch ein Verständnis da war. Vier Jahre lang haben wir nicht über Kunst geredet, sondern uns nur gegenseitig beobachtet. Mit seiner Sprache hat er mir nochmal die Augen dafür geöffnet, was ich mache, denn als Künstler kann man seine Kunst oft nicht gut in Sprache fassen.

Klingt nach einem schwierigen Zusammenleben.

Ja schon, aber auch sehr schön. Man stärkt sich gegenseitig, weil man sich aneinander wetzt.

Ich bin mir nicht sicher, wie ernst das gemeint war, aber in einem anderen Interview meintest du, dass deine künstlerische Praxis Schlafen sei.

Das ist so semi-ernst gemeint. Aber es ist schon so, dass ich erstmal für eine Stunde schlafen gehe, wenn ich irgendwo anstehe. Dann wach ich wieder auf und hab den verzwackten Gedanken aufgelöst und kann mich dem Problem nochmal widmen.

Du warst für zehn Jahre unterwegs in der Welt, trotzdem bist du jetzt wieder zurück in Südtirol. Warum?

Für mich war Südtirol schon immer ein spezieller Ort, den ich nie hinter mir lassen konnte. Ich weiß aber noch nicht, wie lange ich bleibe. Endgültige Gedanken sind für mich sowieso schwierig und angstvoll.Kunst in der Kartause (c) Alexander Wierer2

Du stellst auch bei implant(at)karthaus mit aus. Was ist dein Beitrag?

Mein Beitrag ist ein Kreuz in Form einer Panzersperre, wie man sie aus der Normandie kennt, vom Zweiten Weltkrieg, als die Alliierten angegriffen haben. Es ist ein Kreuz, das drei Achsen hat, wie ein Netz.  Römische Landvermesser haben beim Siedlungsbau eine x- und y-Achse geschlagen (Cardo und Decumanus) und anhand der Achsen die Stadt aufgebaut. Das war vor 3000 Jahren und da hatte das Kreuz nicht die Bedeutung, die es heute hat. Ich sehe das Kreuz als Grundform in unserer Welt: Wenn man es baut und damit hantiert merkt man, dass es etwas sehr Natürliches ist. Und doch ist es mittlerweile sehr religiös besetzt. Ich habe auch auf einer technologischen Ebene das Kreuz erforscht. Ergebnis war ein 5.1 Soundsystem, das in Kreuzform aufgebaut ist. Das kennt man aus Surroundsystemen in Wohnungen, wo zwei Lautsprecher hinter der Couch installiert sind, drei weitere hinter dem Fernseher und der Bass in der Mitte zwischen den Lautsprechern, eine Kreuzform. Ein Solarpaneel lädt eine Powerbank, die einen kleinen Wlan-Router betreibt. Als Besucher kann man sich im Umkreis von 20 Metern in das Wlan „X“ einloggen, also auch ein Hinweis auf das Kreuz in der Sprache. Ich bin ein bisschen süchtig nach dem Kreuz.Kunst in der Kartause (c) Alexander Wierer

Implant(at)karthaus ist eine Gruppenausstellung kuratiert von Michael und Thomas Rainer. Sie ist von 11.07. bis 22.08.2021 im Innenhof des Kreuzgangs der ehemaligen Kartause zu sehen.

Credits: (1) Alexander Wierer; (2) Leonhard Angerer für Südtiroler Künstlerbund; (3 + 4) Fotostudio Jürgen Eheim für Südtiroler Künstlerbund; (5) Daniela Capaldo; (6 + 7) Alexander Wierer

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