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July 21, 2021

„Wir müssen das zu Ende denken“ – Jewellery on Display #3

Susanne Barta

Fine Jewellery und Nachhaltigkeit zusammenzubringen, das ist das Anliegen von Guya Merkle. Sie ist eine Pionierin in diesem Bereich. Guya lebt in Berlin, ihre Familie kommt aus Levanto, den Cinque Terre. 2007, mit 21 Jahren, übernahm sie die Schmuckfirma ihres früh verstorbenen Vaters und fuhr den Betrieb, wie sie es selbst formuliert, „erfolgreich an die Wand“. Aber der Schmuck habe sie nicht losgelassen, erzählt Guya, auch wenn die „Reise zum Schmuck“ lang und aufwendig gewesen sei. Guya wollte verstehen, warum Menschen fasziniert sind vom Schmuck, warum sie ihn kaufen, woher die Materialien kommen, wie sie gewonnen werden … Nach einer Ausbildung am Gemological Institute in London und dem Besuch verschiedener Goldminen, wo sie mit eigenen Augen sah, was da wirklich abging, gründete sie 2012 die Earthbeat Foundation. Ziel der Foundation ist es, einen legalen, sicheren, nachhaltigen und umweltschonenden Umgang mit dem Rohstoff Gold zu etablieren. 2015 folgte dann die Gründung ihrer nachhaltigen Schmuck-Brand „Vieri“. Guya nahm den Markennamen des Familienunternehmens wieder auf, Vieri war der zweite Vorname ihres Vaters, aber gab dem Betrieb eine neue Richtung. Die neue Website „Vieri. Responsible Jewellery“ ging eben online.Guya Merkle Vieri Foto_2+3Guya, nach dem Scheitern eures Familienunternehmens hast du deine persönliche Reise zum Schmuck angetreten. Hat dich das Ausmaß des Elends, das du in den Minen gesehen hast, gewissermaßen wieder näher zum Schmuck gebracht?

Als ich das erste Mal eine Mine besuchte, dachte ich mir, es kann nicht sein, dass Schmuck einerseits ein so hochemotionales und wertiges Produkt ist, das so viel Freude schenken kann, auf der anderen Seite aber auch so viel Elend bringt. Das passte für mich nicht zusammen. In diesen Momenten war ich froh, dass unser Unternehmen pleite gegangen war. Mit der Earthbeat Foundation ging es mir zunächst darum, aufzuklären und das, was ich gesehen und gelernt habe, weiterzugeben, gleichzeitig Lösungen zu entwickeln, wie man das verändern kann. Ich habe viele weitere Minen besucht, mit den Arbeiter*innen gesprochen und irgendwann wollte ich das, was ich wusste, auch in Produkte umsetzen. Alle meinten, dass die Wertschöpfungskette so kompliziert sei, dass man das nur konventionell machen könne. Ich wollte zeigen, dass es auch anders geht.Foto_4_Timon_Koch_Goldmines_Busia_2017_1Schmuck nachhaltig(er) zu produzieren war damals noch absolutes Nischenprogramm?

2012 als ich mit der Stiftung angefangen habe, gab es nicht viel. Fairtrade und Fairmined, mit denen ich im Austausch war, hatten damals das Problem Abnehmer zu finden. Da hat sich viel verändert bis heute. Mein Ziel war es aber nicht, eine Brand zu gründen, der es nur um den nachhaltigen Umgang mit Ressourcen ging, sondern eine zu entwickeln, die inspiriert. Ich bin heute mit vielen Leuten aus der Branche in Kontakt und freue mich über jede Marke, die sich auf den Weg gemacht hat. 

Wo stehst du mit Vieri heute?

Die ersten Jahre waren hart, ich musste viel lernen über Zielgruppen, Schmuckstücke, Kunden, Preise … Ich bin recht naiv an das Ganze herangegangen. Heute haben wir eine Kundschaft, die stetig wächst, wir sind eine Marke, die andere inspiriert, wenn auch eine Nischenmarke. Responsible Fine Jewellery ist nach wie vor selten. Für mich ist Vieri auch sowas wie eine Aktivisten-Brand.

Wie schwierig ist es denn heute nachhaltig zu produzieren?

Es ist gar nicht so schwierig, aber es ist kostenintensiv. Es kostet einfach mehr. Man muss Prozesse umstellen, mehr investieren. Bei Vieri können wir noch nicht alles aus „Handy Gold“, also sogenanntem Urban Mining Gold herstellen, da es nicht genügend gibt. Deshalb investieren wir auch in die Prozesse des Recyclings für Elektrogeräte, denn das soll sich in Zukunft ändern. Und deshalb arbeiten wir auch noch mit „Standard Recycling Gold“. Wichtig ist, dass wir kein Gold nutzen, das direkt aus einer Mine kommt. Also auch nicht Fairtrade und Fairmined.Foto_5_Timon_Koch_Goldmines_Busia_2017_3Recycling ist ja keine Innovation, Gold wird schon seit immer auf Grund seiner Wertigkeit wiederbenutzt und ist relativ einfach wieder in den Kreislauf hinein zu bekommen. Man sollte aber schon genau schauen, ob etwas recycelt wurde, das auch ein „Vorleben“ hatte oder ob es sich nur um ein Stück handelt, das sich nicht verkauft hat. Aber am Ende ist alles ok, was die Kreislaufwirtschaft so stärkt, dass man Gold nicht mehr aus der Erde holen muss. Theoretisch ist genügend da, es bräuchte kein neu geschürftes Gold. Um die Leute zu sensibilisieren und zu informieren, haben wir den World Gold Day worldgoldday.com. ins Leben gerufen.

Wie beschreibst du den Stil von Vieri?

Sehr feminin, organisch und mit einem Twist. Ich versuche in den Designs viele Aspekte einer Frau einzufangen. Eine Frau heute hat ja die Superpower, wie ich das gerne nenne, vieles zu vereinen und zu jonglieren. Ein Schmuckstück kauft man im besten Fall für immer, es muss einen durch viele Phasen des Lebens begleiten können, soll eine gewisse Zeitlosigkeit haben, dabei aber auch spielerisch sein. Farben sind für mich essenziell. Ein Schmuckstück ist ein „Kommunikations-Piece“, nichts Statisches. Mir ist es wichtig, schönen Schmuck herzustellen, denn er funktioniert für mich nur, wenn beides zusammenkommt, Ästhetik und Nachhaltigkeit.Foto_6 Guya Merkle VieriNachhaltigkeit in der Mode ist ein großes Thema, sind die Konsument*innen auch bei Schmuck anspruchsvoller geworden?

Es hat sich viel verändert. Schmuck per se ist kein Mitnahmeprodukt, sondern meist ein Produkt, mit dem man sich auseinandersetzt, bevor man es kauft. Ich spreche hier jetzt nicht von billigem Modeschmuck. Die Kunden sind viel aufmerksamer geworden und fragen mehr nach. „Sustainable Jewellery“ wird aber immer mehr zu einem Werbeslogan, das regt mich auf. Wenn man zur Bedeutung von Nachhaltigkeit zurückkehrt, dann geht es darum, mit den Ressourcen unseres Planeten so umzugehen, dass die darauffolgenden Generationen genauso viel haben wie wir. Wir reden hier aber über zu Ende gehende Rohstoffe, weil wir sie verbrauchen. Deshalb geht es darum, Mechanismen zu schaffen, dass diese Rohstoffe wieder in den Kreislauf hineinkommen. Es ist also ein Unterschied, ob man nachhaltig sagt oder „respectful“, „impactful“ oder ethisch. Konsumenten wiegen sich schnell in Sicherheit, wenn nachhaltig draufsteht.

Mir ist es auch wichtig, kein Überangebot zu schaffen und das Ganzheitliche nicht aus dem Blick zu verlieren. Es hört ja nicht auf bei der Nachhaltigkeit, die Probleme des Globalen Südens gehen nicht einfach weg. Dort wird noch geschürft und es bestehen vielfältige Abhängigkeiten. Deswegen ist es so wichtig, sich Gedanken darüber zu machen, was passiert, wenn die Rohstoffe zu Ende gehen. Es braucht alternative Einkommensquellen, man muss nachhaltige Kreisläufe stärken … das ist Aufgabe der Stiftung. Wir müssen das zu Ende denken. Guya Merkle Vieri Foto_7+8Wie ist es euch mit Corona ergangen?

Geschäftlich lief es gut. Viele Menschen hatten das Bedürfnis, sich etwas zu gönnen. Es freut mich auch, dass sich immer mehr Frauen selber Schmuck kaufen und sich damit eine Freude machen. Für die Stiftung lief es auch gut, es durfte nicht geschürft werden in Uganda, wir haben ein Social Business gestartet, wo wir Imker ausbilden und diese Tätigkeit durften sie weiter machen. Privat war es als Mutter mit kleinem Kind der Wahnsinn.Foto_9_Uganda_2017_by Timon Koch14Ich habe Guya über Recherchen kennengelernt, mein Sohn war auf der Suche nach einem passenden Verlobungsring und da seiner zukünftigen Frau und ihm Nachhaltigkeit ein Anliegen ist, fiel die Wahl auf Vieri. Es war eine sehr gute Wahl!Foto_10 © Guya Merkle Vieri

Fotos: (1–3) © Guya Merkle/Vieri; (4) © Timon Koch Goldmines Busia; (5–8) © Guya Merkle/Vieri; (9) © Timon Koch Uganda 2017; (10) © Guya Merkle/Vieri

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