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June 15, 2021

Schuhe putzen und Machtverhältnisse hinterfragen mit Maria Walcher

Eva Rottensteiner

Eigentlich haben wir schon so oft über sie geschrieben. Und wir müssen es wieder tun. Rund um die Künstlerin Maria Walcher wird es einfach nie still. Ob wandernde Nähmaschine, Schiefertafel im Gefängnis oder im Wasser schwimmende Bronzeskulpturen – bei der gebürtigen Brixnerin steht der öffentliche Raum als Ort des interkulturellen Austauschs und Dialogs im Mittelpunkt ihrer Arbeit. Walcher vernäht Menschen, Kulturen und Alltagspraktiken mit Gesellschaftskritik. Im Mai wurde sie für ihre künstlerische Leistung mit dem Paul-Flora-Preis 2021 ausgezeichnet. Zurzeit hat sie außerdem eine Residency in Buchen (Tirol), wo sie sich gemeinsam mit drei anderen Künstler*innen mit dem Zusammenspiel von Natur, Kunst und künstlicher Umwelt beschäftigt hat. Noch bis Anfang Oktober kann man ihre Installation auf der Biennale 50x50x50 in der Franzensfeste erleben. Ab 17. Juli ist sie außerdem in Kunst Meran Arte Merano vertreten. Soviel sei verraten: Es geht um Füße und Schuhe.

Welche Gedanken und Themen schwirren dir aktuell im Kopf herum?

Das Nebeneinander von konzeptueller Kunst und handwerklichem Tun ist für mich gerade etwas, das mich sehr interessiert. Dabei spielt das Thema „Arbeit/Arbeitsverhältnisse/Wertschätzung/Hierarchien“ stark rein. Was ist Arbeit, wo fängt Arbeit an, wo hört Arbeit auf, welchen Stellenwert hat welche Art von Arbeit und wie manifestiert sich das in der Darstellung der ausübenden Menschen?

double u_ installation (c) Maria Walcher 2021_1

Warum interessiert dich eigentlich das Thema Erinnerungskultur?

Vielleicht weil ich vielfach ortsspezifisch arbeite und ortsspezifische Kunst, Auseinandersetzung mit einem Ort bedeutet, wobei die Geschichte des Ortes eine Rolle spielt. Dabei ist immer wichtig darauf zu schauen, woher kommt die Geschichte dieses Ortes, aus welcher Quelle erfahren wir sie, wer erzählt sie, gibt es auch andere Varianten davon, wie wird sie erzählt und was suggeriert sie uns? Wird sie heute gleich erzählt wie vor 30 Jahren? Das ist spannend. Ich spiel in meinem Arbeiten immer wieder gern mit traditionellen Elementen, greife sie auf, experimentiere damit, aber nicht in einer konservativen Haltung, sondern eher um konditionierte Verhaltensmuster zu brechen und sie in einen Dialog mit tagesaktuellen Themen zu bringen.

In deinem neuen Projekt geht es um das Handwerk des Schuheputzens. Erzählst du uns mehr? Welche Techniken wirst du verwenden?

Zurzeit dreht sich bei mir alles rund um den Fuß, den Schuh, das Gehen, das Putzen, die Arbeit und gesellschaftliche Verhältnisse. In einer Serie von ganz unterschiedlichen Arbeiten, die gerade im Entstehen sind oder schon zu sehen oder im Laufe des nächsten Jahres erarbeitet werden, greife ich diverse Aspekte auf, experimentiere und bespiele verschiedene Orte mit der Aussicht, dass die Betrachter*innen meinen Annäherungen an verschiedenen Orten begegnen oder sie vielleicht auch wieder irgendwo zusammenlaufen. So ist zum Beispiel gerade im umliegenden Wald beim Ropferhof in Buchen in Tirol die Installation „Ohm“ zu sehen. Sie besteht aus 3 Elementen: 4 rote Sitzsäcken aus Lodenstoff, die den Schriftzug “TO GO” bilden, 7 überdimensionale Widerstände (aus der Elektrotechnik), die in der Wiese und im Wald stehen und eine Sound-Installation aus den Wörtern „walk“ und „work“. In der Franzensfeste in Südtirol bei der Ausstellung 50x50x50 hängt ein dünner, weißer Vorhang, der durch seine Faltung ein Wackelbild ergibt, auf dem von der linken Seite betrachtet „walk“ zu lesen ist und von der rechten Seite betrachtet „work“, auch diese Installation ist mit dem Sound „walk“ and „work“ unterlegt. Und im Juli sind in der Jubiläumsausstellung „KUNST IST. 20 anni di Merano Arte” im Kunsthaus Meran zwei Arbeiten zu sehen: ein Lenticularbild von meinen nackten Füßen, die einen Schrittbewegung beschreiben, und eine Performance, in der ich einen Schuh putze, poliere und dessen Farbton immer wieder verändere. Weiters habe ich eine größere performative Aktion im Kopf, die ich aber im Lauf des nächsten Jahres erarbeiten werde und die jetzt noch nicht spruchreif ist.

double-u_-installation-c-maria-walcher-2021_2

Wolltest du je etwas anderes machen als Kunst?

Ich bin aus dem Gymnasium heraus mit der Idee, dass ich gern Kunsttherapie machen würde (der soziale Aspekt in der Kunst hat mich immer schon interessiert) und hab daher Kunstpädagogik studiert. Ich habe mich dann aber doch in Richtung freie Kunst bewegt, weil da immer wieder Ideen und Projekte im meinem Kopf herumschwirren, die ich gerne umsetzen möchte und ich es genieße als freischaffende Künstlerin zu arbeiten, auch wenn es nicht immer ganz einfach ist. Die Idee/das Bild von einem Bauernhof schwirrt auch irgendwo in meinem Kopf herum. Das hat sich nun aber auf eine spezielle Art und Weise realisiert, da ich mit meiner Familie in die Hausmeisterwohnung des „Waldhüttls“ in Innsbruck gezogen bin, einem Projekt der Vinzenzgemeinschaft, einer Herberge für Roma, wo wir quasi zu städtischen Kleinbauern geworden sind. Nachdem ich durch Erasmus+ ein Jahr in Lissabon verbracht habe, habe ich immer gesagt, wenn alle Stricke reißen und ich einen Plan B brauche, dann geh ich nach Lissabon und eröffne die „Gelateria da Maria“ … aber im Moment, glaub ich, bleib ich eher hier.

Skizze_Ohm (c) Maria Walcher_2021

Wie entstehen bei dir Ideen zu neuen Installationen, Projekten und Co.? Was sind deine Stimuli?

Da ich ja vielfach ortsspezifisch und installativ arbeite, ist der Ort für mich ganz wichtig. Direkt vor Ort zu sein, den Ort zu spüren, mich damit auseinandersetzen und eine Arbeit dafür zu entwickeln. Manchmal sind es Einladungen zu einer Ausstellung, zu einem Projekt, die den Fokus auf ein bestimmtes Thema lenken und mich in meinen Ideen- und Skizzenarchiven wühlen lassen oder neues hervorrufen. Oder es gibt ein Bild oder eine Idee, die schon länger im Kopf herumschwirrt und danach schreit, umgesetzt zu werden, und wo ich dann sage, so jetzt mach ich das einfach. Die Bewegung ist für mich auch in der Ideenentwicklung sehr wichtig: Reisen im Zug, Gehen, im Auto auf dem Weg sein, sind oft gute Momente in denen Bilder entstehen. Oder auch beim Lesen, in der Recherche. Kann sein, dass mir in der Recherche zu einem Projekt ganz etwas anderes in den Kopf kommt, das ich dann skizziere und archiviere und vielleicht in einem anderen Moment wieder hervorhole. Etwas, das jetzt nicht immer so einfach war, aber definitiv auch wichtig zur Inspiration ist, sind Ausstellungen zu besuchen, mich mit anderen Künstlerinnen auseinander zu setzen, inspirierende Kataloge anzuschauen und Bibliotheken zu durchstöbern. Ich versinke aber auch gern im Internet und lasse mich von einer Seite zur anderen treiben, um zu Unvorhersehbarem zu gelangen.

Ohm_Installation (c) Maria Walcher_2021_1

An welchem Projekt oder an welcher Problemstellung hast du rückblickend am längsten geknabbert?

Es hat bis jetzt zum Glück noch kein Projekt gegeben, das mich ganz zur Verzweiflung gebracht hat, aber jetzt spontan gefragt, fällt mir mein Erinnerungsprojekt „LETHE“ ein, auch wenn ich mit den Arbeiten zufrieden bin und ich finde, dass es eine runde Sachen geworden ist. Ich kann nicht genau sagen warum, aber irgendwie hat mir in diesem Projekt der „flow“ gefehlt. Vielleicht ist es zu sehr vom Kopf und weniger vom Bauch gekommen.

Du beschäftigst dich in deinen Arbeiten oft mit öffentlichem Raum und hast auch schon verschiedene öffentliche Räume in dieser Welt besucht und besetzt. Was sagt öffentlicher Raum über unsere Gesellschaft aus und welcher ist dir besonders in Erinnerung geblieben?

Wenn man beginnt zu schauen, wie und wo man was machen könnte, dann kommt man schnell drauf, dass es ganz wenig „öffentlichen Raum“ gibt und vor allem wenig Raum, der frei bespielbar ist. Es ist dann oft wieder einfacher private Flächen zu nutzen, weil es häufig unkomplizierter ist mit den Eigentümern zu sprechen und Genehmigungen zu bekommen. Wenn man Projekte im öffentlichen Raum realisiert, ist sehr vieles zu bedenken. Man befindet sich nicht mehr im geschützten Ausstellungsraum. Seien es Witterung, bautechnische Details, Haftung, Vandalismus, Rezeption, Publikum, Passant*innen oder Strom und vieles mehr wie zum Beispiel Notrufe, die bei der Polizei eingehen, weil zwei Skulpturen im Wasser liegen. Oder drauf zu kommen, dass für die Genehmigung der Installation der Skulpturen in der Spree in Berlin nicht die Stadt zuständig ist, sondern die Wasser- und Schifffahrtsbehörde und dann scheitert es fast daran, dass sich jemand beim Bild der schwimmenden Skulpturen zu sehr an das Bild eines angeschwemmten Kindes erinnert  fühlt. So bleibt es immer eine Herausforderung, etwas im öffentlichen Raum zu machen, und ich bin froh, wenn ich mich nicht selbst um die Genehmigungen kümmern muss. Was ich spannend finde, sind die unverblümten, spontanen und direkten Reaktionen auf das Kunstwerk oder Projekt, die man im öffentlichen Raum bekommt.

Ohm_Installation (c) Maria Walcher_2021_2

In deinen künstlerischen Arbeiten geht es viel um gesellschaftliche Machtverhältnisse und aktuelle sozialpolitische Dynamiken wie Flucht, Erinnerungskultur, Ressourcenverteilung oder Angst vor dem Fremden. Welche Rolle spielt Selbstreflexion bei deiner künstlerischen Praxis?

Ich denke, das Selbst, die eigene Person ist Ausgangspunkt einer jeden Arbeit, indem man sich in ein Verhältnis zur Gesellschaft setzt, sich mit etwas auseinandersetzt und dies manifestiert. Ob ich jetzt ganz eine persönliche Arbeit mache, die sich mit meiner Biografie befasst, oder eine gesellschaftspolitische, die Strukturen hinterfragt, so bin ich immer Teil davon, ob ich will oder nicht, denn die Arbeit ist ja immer etwas, das durch meinen Blick auf die Welt entsteht.  Deshalb ist es wichtig, sich immer wieder zu hinterfragen und zu kontextualisieren.

Photo Credits: Maria Walcher

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