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June 9, 2021

Das schönste Gewerbe der Welt

Susanne Barta

Derzeit komme ich modemäßig überhaupt nicht in die Gänge. Ist es die lange Jogginghosen-Phase oder sind es die beginnenden Sommer-Temperaturen, die mich lähmen? Jedenfalls lese ich derzeit lieber über Mode, als dass ich irgendwelche Outfits zusammenstelle oder mir darüber Gedanken mache, was ich anziehen könnte. Auch bin ich gerade dabei, mir Online-Kurse herauszusuchen, die ich gerne besuchen möchte. Ist schon wieder einige Zeit vergangen, seit ich den Kurs von Fashion Revolution „Fashion’s Future: The Sustainable Development Goals“ gemacht habe, auch einschlägige Summits sind einige Wochen her.

Ein Buch über Mode, das mich kürzlich gefesselt hat, wurde von der Kulturanthropologin Giulia Mesitieri verfasst. „Das schönste Gewerbe der Welt. Hinter den Kulissen der Modeindustrie“. Mensitieri hat sich darin die Haute Couture vorgenommen und dazu verschiedenste Leute interviewt – Stylistinnen, Fotografen, Visagistinnen, Journalisten, Näherinnen, Models, Praktikantinnen und Assistenten, darunter auch den ehemaligen Assistenten von Karl Lagerfed –, sie war bei Shootings dabei, hat die Fashion Week in Paris besucht und ein unbezahltes Praktikum bei einem Designer gemacht. 

Das Buch erweitert den Blickwinkel auf das Thema Ausbeutung in der Modeindustrie um einige Facetten und lenkt den Blick auf Bereiche, die wenig ausgeleuchtet werden. Die Luxusindustrie bleibt immer etwas außen vor, die Kleidungsstücke der Luxusmarken werden mit Qualität und längerer Lebensdauer im nachhaltigen Diskurs in Verbindung gebracht, außer der Sektor ist in einen Skandal in einem der produzierenden Länder des globalen Südens involviert. Wir sind in der Zwischenzeit so sehr an die inneren und äußeren Bilder von Arbeitsbedingungen in Ländern wie Bangladesch, Indien, Myanmar oder der Ukraine gewöhnt, dass wir das, was unter unserer Nase vor sich geht, gar nicht mehr im Blickfeld haben. Im Buch befinden wir uns mitten in Paris, in Frankreich. Die fortschreitende Auslagerung der Produktion wird nur am Rande thematisiert, dafür aber der mit dieser Entwicklung gewachsene Dienstleistungssektor ins Zentrum gerückt – Kommunikation, Kultur, Kreativität, Information. Mensitieri erforscht, wie der moderne Kapitalismus unsere Arbeitswelt verschlechtert. Die Autorin wurde mit dieser Arbeit an der École des hautes études en science sociale im Fach Kulturanthropologie promoviert.00020-Dior-Couture-Spring-2021-credit-ELINA-KECHICHEVA

Haute Couture ist ein geschützter Begriff, strenge Kriterien regeln die Zugehörigkeit zum erlauchten Kreis, Voraussetzungen sind zum Beispiel wenigstens zwei Ateliers in Paris und mindestens 20 Beschäftigte zu haben. Der elitäre Zirkel hat nur dreizehn dauerhafte und sechs „korrespondierende“ Mitglieder, dazu kommen einige für einzelne Kollektionen eingeladene Mitglieder. In Italien spricht man von „Alta Moda“.

Man merkt Giulia Mensitieri an, dass sie mit Mode bisher wohl nicht allzu viel am Hut hatte, manches wirkt etwas sperrig, auch wiederholt sie ihre Themen und Erkenntnisse fast mantraartig, aber erfrischend ist, dass sie mit ziemlich unverstelltem Blick an ihre Forschungsthemen herangeht und die sind im Besonderen die Transformation der Arbeitswelt und die begehrten imaginären Welten, die der zeitgenössische Kapitalismus hervorbringt.

In ihrem Buch erzählt sie von einer Welt, die mit miserablen Löhnen und unbezahlter Arbeit Luxus und Schönheit schafft. Die Widersprüche in der Modeindustrie sind zum Teil sehr groß: Mia, die Fotostylistin zum Beispiel schläft auf der Wohnzimmercouch in einer Zweizimmerwohnung in einem eher schäbigen Viertel in Paris, am nächsten Tag jettet sie nach Hongkong, um eine private Modeschau für chinesische Millionäre zu organisieren, sie trägt von Kopf bis Fuß Markenkleidung, (die sie ab und zu bekommt anstatt eines Honorars), kann sich aber an manchen Tagen nicht mal ein Bier leisten. Kleider für 30.000 Euro und mehr werden von Schnittmachern und Stickerinnen hergestellt, die den Mindestlohn verdienen, während die Brands dicke Gewinne einstreichen. Fotografen bezahlen zum Teil die Kosten rund um ein Shooting selbst, Anreise sowieso, viele Models werden kaum oder nicht bezahlt auf den Fashion Shows, vielleicht mal mit Lippenstiften oder eben mit Sichtbarkeit und Aufmerksamkeit, der neuen Währung in unserem Social-Media-Zeitalter. 

Mensitieri nimmt die schillernde, glitzernde, der Verheißungen reiche Modewelt genau unter die Lupe. Denn neben dem schönen Schein gebe es ja auch die Realität, „die aus Arbeit, Arbeiter*innen, Fabriken, Werkstätten, Körpern, Stoffen, Räumen und Dingen besteht“. Diese Realität ist eindeutig wenig verheißungsvoll. „Die Arbeit im Modesektor verbindet alle Bestandteile der neoliberalen Utopie: Konkurrenz, Kreativität, Schönheit, Macht und Geld“, schreibt sie. Die unselige Verbindung zwischen prekärer Arbeit und dem Kult der Selbstverwirklichung durch Kreativität komme in der Mode besonders gut zum Ausdruck. Aber „wer nicht durchhält, der war es nicht wert, dabei zu sein.“00012-Chanel-Couture-Spring-21„In der weltweiten Kartografie des Luxus stehen Frankreich und Italien für eine Geschichte und eine Tradition der Eleganz, der Qualität und der Exklusivität, während Länder wie China und andere produzierende Länder unsichtbar gemacht werden und als ,Stigma‘ gelten, das verborgen werden muss“, schreibt Mensitieri. Gemeinsam sei den Ländern aber die Ausbeutung ihrer Arbeitskräfte.

Die Modeindustrie ist eine Industrie, die enorme Gewinne erzielt, wo das Geld aber sehr ungerecht verteilt wird. Eine kleine Minderheit verdient sehr viel, die Mehrheit derer, die die Mode, vor allem auch den Traum, das Imaginäre der Mode, herstellen, arbeiten prekär oder unbezahlt. Die Intransparenz der Industrie stärkt dieses Ausbeutungssystem. Vieles werde mit dem „Glück, dabei zu sein“ gerechtfertigt, also damit, am Glamour, am Traum teilzuhaben.

Über ihr unbezahltes Praktikum bei einem Designer schreibt Mensitieri u. a.: „Die Zusammenarbeit ist vorwiegend streng hierarchisch organisiert, trotz der offen gestalteten räumlichen Gegebenheiten und der vermeintlich wenig förmlichen Umgangsformen.“ Dazu findet sie Worte wie „Tyrannei der Coolness“, flexible personality“ und Elite der Selbstdarstellung. Trotz des medialen Erfolgs lebt besagter junger Designer von seiner Arbeitslosenversicherung, sofern er seine Mitarbeiter*innen überhaupt bezahlt, wird das von Mäzenen gemacht. Er beutet sich aus, er beutet die anderen aus, am Ende bleibt der Erfolg, so er sich einstellt, aber mit seinem Namen verbunden.

Giulia Mensitieri - Susanne Barta

Zusammenfassend lässt sich mit Giulia Mensitieri sagen: „Seit der Durchsetzung neoliberaler Politiken ist die Kultur- und Kreativindustrie die Speerspitze der kapitalistischen Ökonomie“. Davon können viele ein Lied singen, ich auch.   

„Das schönste Gewerbe der Welt. Hinter den Kulissen der Modeindustrie“ von Giulia Mensitieri ist bei Matthes und Seitz, Berlin erschienen. Lesenswert! 

Abschließend noch ein Hinweis in eigener Sache: Vor kurzem erschien auf dem Blog des Frauenmuseums Meran iodonna.ichfrau ein Interview mit mir über meine nachhaltigen Modeaktivitäten. Danke! Vielleicht interessiert es euch. 

Und noch was: Am 10. Juni gibt’s ab 18 Uhr in der BASIS Vinschgau Venosta auf der Wiese eine Jam Session mit Kleidertausch. Wer in der Nähe ist, schaut vorbei, könnte flott werden! 

Fotos: (1) © Khaled Ghareeb unsplash; (2–3) © Elina Kechicheva for Christian Dior, Vogue Runway; (3­–4) © Chanel Couture Spring 21, Vogue Runway; (5) © Susanne Barta: Hose > Secondhand Kleopatra; Sweatshirt > Lanius; Schuhe > Roger Vivier Secondhand Vestiaire Collective, Armbänder > selbstgemacht

 

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