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May 21, 2021

Illustratorin Deborah van der Schaaf: Die Freude an den kleinen Dingen

Maria Oberrauch

Deborah van der Schaaf hat gezeichnet und gebastelt, seit sie ein kleines Mädchen war. Ein Lehrer verstand es, ihr Talent und die Liebe zur Illustration zu fördern. Nach der Kunstschule in Rotterdam und einem Praktikum bei der Grafikdesignfirma Lava in Amsterdam begann sie ihre freiberufliche Karriere als Illustratorin. Dabei nutzt sie unterschiedlichste Techniken: Sie zeichnet, sie arrangiert, findet neue Winkel. Sie bemalt Orangen, strickt Organe, bewaffelt Badeschlappen. Sie presst Sand in Formen und Blätter in Bücher. Sie baut Pinatas in Viren-Form, Treppen zu Postkarten, Besen aus Narzissen, Spannung auf. Sie abstrahiert das Offensichtliche und holt das Durchscheinende in die Farbwelt. Mit ihrem Lebenspartner, dem Fotografen Aad Hoogendoorn, entstehen spannende Zusammenarbeiten. Neben zahlreichen Illustrationen für internationale Publikationen hat Deborah van der Schaaf inzwischen an die 50 Buch-Cover und Bücher illustriert. 

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Wie war das letzte Jahr für dich und deine Arbeit? Hat sich etwas wesentlich verändert oder ist deine Art zu arbeiten immun gegen Viren und Beschränkungen?

Als freiberufliche Illustratorin arbeite ich von zu Hause aus und meine Welt hat sich nicht so sehr verändert, wie für viele andere Menschen. Ich bin es gewohnt, alleine zu arbeiten und viel zu Hause zu sein. Und weil ich viele kleine und diverse Kunden habe, lief alles wie üblich weiter. Mein Partner Aad hingegen ist Fotograf und arbeitet für Museen und kulturelle Veranstaltungen in Rotterdam. Menschen wie er, die reisen und es gewohnt sind unter Leuten zu sein, hatten es viel schwerer. Letzten Frühling zogen wir von Rotterdam hinaus aufs Land, einen Gang zurückgeschalten hätten wir also auch ohne Covid.

Was liest du, schaust du, suchst du, entdeckst du? 

Ich liebe Illustratorinnen, die mehr als nur zeichnen, wie Maira Kalman und Leanne Shapton: Sie schreiben und malen und gestalten Bücher, in denen sie diese Talente kombinieren. Brecht Evens ist ein fabelhafter Comic-Künstler, er malt Comics in künstlerischer Aquarell-Technik. Und die Arbeiten des belgischen Fotografen Stephan Vanfleteren sind atemberaubend. Inspiration kommt vom Reisen, vom Spazierengehen, von Verpackungen, alten Postkarten, Secondhand-Märkten, handgemalten Schildern, Museumsbesuchen. Ich folge einigen, aber nicht zu vielen Künstler*innen auf Instagram. Wenn ich zu viel scrolle, beginne ich an mir selbst zu zweifeln.

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Was hast du am öftesten gezeichnet?

Vermutlich Tee- und Kaffeetassen …

Was lässt sich schwer abbilden?

Ich mag es nicht, Menschen zu zeichnen. Das vermeide ich, wo möglich, und wenn sie denn unbedingt da sein müssen, sind sie nicht realistisch. – Das liegt natürlich daran, dass ich nicht gut darin bin, sie realistisch zu zeichnen. Oft zeichne ich Hände, um menschliche Präsenz im Bild darzustellen.

Ich habe beobachtet, dass allgemein in der Illustration insbesondere Nahrungsmittel und Naturdetails sehr häufig illustriert werden. Verspüren wir für diese Dinge eher den Wunsch nach individuell gesehenen Bildern? Sind sie emotionaler behaftet? 

Ich mag diese Frage, sehr. Denn ich denke, genauso ist es, aber ich hatte es selbst nicht so realisiert. Für Maira Kalman sind Objekte Talismane, aber auch eine Möglichkeit, um eine größere Geschichte einzufangen. Ein Objekt kann für verschiedene Menschen unterschiedliche Dinge bedeuten und eine Menge unterschiedlicher Emotionen hervorrufen. Ich liebe es, Themen wie Natur, Literatur und Essen zu illustrieren. Und ‘weiche’ Themen, wie psychische Gesundheit und Achtsamkeit. Der schönste Auftrag im Jahr 2020 war die Illustrierung für the lazy gardener, ein Bildband über umweltfreundliches Gärtnern. Essen ist natürlich – neben dem Geruch – der beste Weg, um in der Zeit zurückzureisen.

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Du bist bekannt dafür, mit sehr unterschiedlichen Techniken zu arbeiten. Wie entscheidest du dich für ein Material bzw. eine Technik? 

Normalerweise diktiert das Thema oder der Ton eines Artikels den Stil. Und manchmal tut das auch der Kunde. Für einen Artikel über die Traurigkeit des Autors darüber, dass die Zeit so schnell vergeht, habe ich einmal eine Kamera aus Sand gestaltet. Illustrationen werden oft verwendet, wenn das Thema zu schwierig oder zu sensibel ist, um es mit der Fotografie zu erfassen. Psychische Gesundheit, Brustkrebs oder eine Buchbesprechung, zum Beispiel.

Welche Herausforderungen ergeben sich dann für welches Medium?

Manche Medien halten nicht lange, echtes Essen zum Beispiel: Es wird hässlich oder schmilzt vor deinen Augen, das ist so stressig! Manchmal skizziere ich eine Idee, und dann weiß ich nicht, wie ich sie tatsächlich umsetzen soll. Man braucht Zeit, um zu experimentieren, zu scheitern und es wieder zu versuchen. Stickereien dauern immer soooo viel länger, als ich dachte.

Ein Blick auf die zeitgenössische Illustration …

Es wird immer Trends geben und als Designerin habe ich das Gefühl, dass man sich ein wenig mit dem Wind biegen muss, um auf dem neuesten Stand zu bleiben, aber zugleich eine gewisse Zeitlosigkeit anstreben sollte – mit eigenem Stil oder eigener Handschrift. Collagen waren vor einigen Jahren völlig aus der Mode und liegen jetzt wieder voll im Trend. Insgesamt habe ich das Gefühl, dass heutzutage, genau wie in der Mode, fast alles erlaubt, vermischt und möglich ist. 

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Man munkelt, du hättest Südtiroler Wurzeln …  

Die Familie meiner Mutter hatte einen Bauernhof bei Kuppelwies in Ulten. Geboren wurde ich in Meran, aber wir sind nach Holland gezogen, als ich 1 Jahr alt war. Ich fühle mich in Südtirol geerdet. Jeden Sommer meiner Kindheit habe ich dort verbracht und meine Mutter hat stets südtirolerisch gekocht. Ich vermisse ganz bestimmte Dinge, wie Bauernpaarln und Spitzbuben oder den Ausblick vom Balkon meiner Großeltern. Ich glaube, eine gewisse Sensibilität für das Schöne, für die Natur, für die Freude an den kleinen Dingen hat dort begonnen. 

Wohin geht deine nächste Reise? 

Berlin! Früher bin ich einmal im Jahr dorthin gefahren, allein, um aufzutanken, um mich inspirieren zu lassen, um zu herumzuspazieren und Notizbücher zu füllen. Auch in den Südosten Englands will ich wieder: Roadtrip und Wandern mit Aad auf dem Küstenpfad. Alles dort sieht aus wie ein Martin-Parr-Bild! Und Meran, mit meiner Mutter, Kaffee und ein Spitzbua im Café Wandelhalle.

Was birgt die Zukunft?

Zuerst einmal diese Corona-Herausforderung überwinden, um einfach wieder die kleinen besonderen Dinge genießen zu können: Bars, Buchläden, Ausflüge. Arbeitstechnisch würde ich gerne einen Auftrag aus Japan bekommen, ein paar schöne Verpackungen, und vielleicht, eines Tages ein komplett eigenes Buch machen. Etwas mehr freie Arbeit wäre schön und ja, eine offizielle Briefmarke zu gestalten, das wäre schön! So viele Träume …

Fotos: Aad Hoogendoorn

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