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May 19, 2021

Tracht ist Mode – Elsbeth Wallnöfer

Susanne Barta

Elsbeth Wallnöfer hat zwei sehr interessante Bücher geschrieben: Beim ersten geht’s um Tracht und Dirndl und die Bezüge zu Macht und Politik, beim zweiten um das Konzept Heimat. Wir haben uns digital verabredet, um das Gespräch für meine Radiosendung „Wie geht Zukunft?“ über Heimat vorzubereiten. Dass die Volkskundlerin, Philosophin und Performerin auch sehr modeaffin ist, war auf Zoom sofort zu erkennen. Ich war neugierig und habe für mein Blog-Format nachgefragt.

Elsbeth, welche Rolle spielt Mode in deinem Leben?

Ich liebe Mode, mag sie, weil sie von der Welt und ihrem Zustand erzählt, weil kreativ gekleidete Menschen für gute Laune sorgen. 

Du hast dich als Wissenschaftlerin intensiv mit der Tracht und ihrer Geschichte beschäftigt. Was ließe sich darüber aus modischer Perspektive sagen?

Tracht ist nur ein Teil und eine Phase der Kostümierungsgeschichte der Menschheit. Sie erzählt vom Begehren der Menschen sich zu behübschen, von der Eitelkeit wie dem Wohlstand. Nichts anderes macht auch Mode. Es ist eine irrige Annahme, dass Tracht das Gegenteil von Mode sei. Die Tracht fiel auch nicht der Mode zum Opfer, sie unterlag der Technik und dem Welthandel, der Modernisierung also, indem die schwer und unter Mühen herzustellenden und zu verarbeitenden Stoffe von den leichten Baumwollstoffen ersetzt wurden und die Nähmaschine für Rationalisierung sorgte. Motive und Sticktechniken der eitlen Frauen von damals inspirieren noch immer die Haute Couture. Nehmen wir nur den Fall Dior vs. Bihor – dabei zitierte das Haus Dior rumänische Sticktechniken und Motive. Schon ging das Geheul los und man warf Dior Diebstahl vor. Das ist natürlich falsch, denn das Narrativ vom Volksgeist im Folklorismus ist nichts als ein nationalistisch überhöhtes Ideal, das man sich zum Zwecke der Ausgrenzung ersann. Sticktechniken „gehören“ niemandem und die Motive und Farbenkombinationen ebenso wenig, sie entspringen einem anthropologischen Bedürfnis und spiegeln ästhetische Trends wider, sie sind also Mode!Dior Prefall 2017 (c) Vogue 02+03

Wenn heutige Designer auf Muster, Farbkombinationen von kulturell und territorial lokal konzentrierten Stilen zurückgreifen, die von Wissenschaftlern des 19. und beginnenden 20. Jahrhunderts als spezifisch-ethnische Merkmale befunden wurden, zitieren sie, mehr nicht. Da die Gesellschaft des 21. Jahrhunderts durchlässig ist, sich unentwegt weltumspannend im Austausch befindet, muss das Konzept der geschlossenen Homogenität eines Volksgeistes und seiner Entäußerung aufgegeben werden. Was vielleicht viele Jahre und Beschreibungen als „typisch“ galt – also lokal verortet werden konnte –, kann als stilistische Besonderheit zitiert wie weiterentwickelt werden. Das muss Designern zugestanden werden.
Wer Folklore oder Volkskultur als Kulturdiktat betreibt, sollte wissen, dass das Prinzip solcher Praktiken immer schon abschauen, kopieren und begehren der anderen war. Da hat eine talentierte Frau sich was geschneidert oder bestickt, die Nachbarin oder Tante, Base, oder wer immer, haben es gesehen, es hat ihnen gefallen und sie haben dem Begehren nachgegeben und ähnliches geschaffen oder nachgemacht. So verbreiteten sich Muster, genau so entstanden Stile, Mode, Trends – damals wie heute.

Tracht und Dirndl werden ab und an auch synonym verwendet. Kannst du uns die Unterschiede erklären?

Als Tracht gilt, was mit einer identitätspolitischen Erzählung unterfüttert ist. Da ist viel die Rede von echt und unecht, von edel und weniger edel und die Deutungselite war über viele Jahre die Wissenschaft und nunmehr sind es die „Traditionsvereine“. Von der Tracht sagt man, es sei etwas Typisches, etwas von Wert und entzöge sich modischen Attitüden, etwas, das frau selbst machen sollte. Alles geschichtsvergessener Humbug. Als das Dirndl ersonnen wurde, gab es schon kaum mehr Trachtenträgerinnen. Das Dirndl war Ergebnis technischen Fortschritts und internationalen Warenverkehrs. Es war von Beginn an ein leichtes Leibkleid, dessen Schlichtheit in der Form vor allem die ins Gebirge fahrenden Urlauberinnen überzeugte. Es besteht in all seinen Teilen aus bevorzugt bedruckter Baumwolle und diente der Verkleidung früher Touristinnen, um sich dem Landvolk anzubiedern, um es pointiert auszudrücken.Elsbeth Wallnöfer (c) Barbara Ungepflegt 04

„Die Geschichte der Mode ist auch eine Geschichte der Märkte und Geschmäcker, der sozialen Ordnungen und moralischen Gesetze“, schreibst du in deinem Buch. Der Zugang zu Mode ist heute ein völlig anderer als noch vor einigen Jahrzehnten. Welche Rolle spielt Mode heute gesellschaftlich in deinen Augen?

Mode ist damals wie heute Ausdruck von Dynamiken, von Bewegung. Sie schreitet unentwegt voran (nicht linear gedacht), sie gibt etwas vor, markiert, wo es lang geht, sie modifiziert und transformiert, sie schöpft aus allem, was das bewusste und unbewusste Leben hergibt. Sie ästhetisiert selbst Banalitäten und verleiht dem Selbstverständlichen Charme, Charakter, Größe. 

Argument der Fast Fashion Industrie ist ja gerne, dass Mode nun für alle zugänglich ist. Aber sind die sozialen Codes nicht nach wie vor da und lesbar?

Die durch den kapitalistischen Überfluss gewonnene Demokratisierung von Mode finde ich generell begrüßenswert. Anzunehmen, die Aufhebung von Distinktion ginge damit einher, ist soziale Träumerei. Auch wenn es Tricks gibt den Standesunterschied zu kaschieren, indem man die teuren Labels kopiert. Oftmals sind Kopien aber so gut gemacht, dass nur der Fachmensch das zu erkennen vermag, also der schöne Schein das Kommando übernimmt. Zu glauben, wenn wir alle dasselbe teure Zeug tragen würden, wären wir sozial alle gleich und darüber hinaus noch gleich schön, ist ein ebenso großer Fehler. Gleichheit und Gerechtigkeit miteinander zu vermengen funktioniert nicht.

Die Modeindustrie steht ja seit längerem im Fokus der Kritik, weil sie nicht nur eine der schmutzigsten, sondern auch eine der ausbeuterischsten Industrien ist. Ist das ein Thema für dich?

Ehrlich gesagt, bin ich froh zu wissen, dass andere, vor allem junge Menschen, sich des Themas annehmen, stellvertretend für mich kämpfen. Ich verfolge das über Radio und in den Magazinen und befolge dann ab und an Tipps. Selbst bei Prêt-à-porter-Mode von großen Labels hapert es bereits bei der Frage nach gerechten Löhnen. Wir sollten uns selbst befragen, ob wir bereit wären, für das Produkt gerechte Löhne mit einberechnen zu lassen. Oh, jetzt fängt es schon an wehzutun. Die Gier is a Hund!Elsbeth Wallnöfer (c) Peter M. Kubelka 05

Was sollte sich ändern?

Strukturen müssten weltweit harmonisiert werden: Angemessene Löhne und sozial verträgliche Arbeitszeiten einzuführen wären ein erster Schritt. Maßnahmen könnten fiskalischer Natur sein – Unternehmen nicht bestrafen, sondern belohnen, wenn sie europäische, sozialrechtliche Standards umsetzen. Da der Mensch auf Belohnungen weniger störrisch reagiert als auf Bestrafungen, wäre die Chance auf fiskalischer Gratifikation zielführend. Gleiches gilt für ökologische Notwendigkeiten.

Wie beschreibst du deinen Stil?

Casual und unaufgeregt. Jeans, Bluse von Hoschek, Boots von Bottega Veneta, oder Wollrock, Doc Martins, Übergangsmantel von Miu Miu, oder Kleid von Hoschek oder Simone Rocha und Docs oder Sneakers, T-Shirts und viele verschiedene Wollwesten (von Hoschek und Miu Miu sowie no names) habe ich, Warmes von Monclair oder einen Ausseer Trachtenjanker. Meine Lieblingsdesigner*innen sind Simone Rocha, Miu Miu, Prada, Hoschek, Bottega Veneta und Maison Margiela.Elsbeth Wallnöfer (c) Jana Enzelberger 06

Nochmals zurück zu Tracht und Dirndl. Sind die beiden heute vor allem im Bereich der (modischen) Folklore angekommen?

Tracht ist noch immer politisches wie zentrales Accessoire von Verbänden und Vereinen, sie ist Teil des identitätspolitischen „Werte“kanons zum Zwecke der Ausgrenzung. Dirndl war und ist noch immer modische Folklore – das ist erfrischend und zeugt von der Vitalität im Kleidungsverhalten.

Trägst du Tracht und/oder Dirndl?

Ab und an trage ich ein Dirndl, selten eine Tracht. Beides sind übrigens Entwürfe einer Nazi-Trachten- und Dirndl-Designerin. Tracht trage ich vorzugsweise, da ich Teil des Performanceteams der Künstlerin Barbara Ungepflegt bin.

Interessant ist auch, was du in deinem Buch zum Thema Tracht/Dirndl und Eros zu sagen hast …

Nun, jene Trachten, die wir von den ersten Reisenden beschrieben und illustriert überliefert bekommen – und die am Ausgang des 19. Jahrhunderts bereits so gut wie kaum mehr vorhanden waren – zeigen die Frauen eher als plumpe Erscheinungen. Dies ist sowohl dem Material geschuldet – man durfte aufgrund herrschaftlicher Ordnungen nur Loden, Leinen und jenes Zeug verwenden, das selbst produziert werden konnte –, als auch dem Umstand alles selbst von Hand nähen zu müssen. Der Eros hielt Einzug mit der Erfindung des Dirndls als Sommerkostümierung am Ausgang des 19. Jahrhunderts, so um 1894/95. Da war die Rocklänge kürzer, man zeigte bloße Arme, ein wenig Dekolleté. Eine Nazifrau brachte später eine programmatisch verordnete, gezähmte Erotik, in Tracht und Dirndl ein. Die übrigens bis heute Diktat ist. Sie führte mit ihrem Programm für Hitlers Frauen eine geschnürte Taille ein, verordnete dazu passend weiße Blüschen als „richtige“ Bluse und weiße Kniestrümpfe, gab die Rocklänge und das Verhältnis von Rock und Schürzen vor. Sie uniformierte die deutsche Frau, auch ausdrücklich gegen die Körperfeindlichkeit der katholischen Kirche. Lehnte Lippenstift, Seiden- oder Nylonstrümpfe, Armbanduhren als Beiwerk ab.
Ihr folgten Wissenschaftler und Schüler, sie begründeten damit eine ganze Trachten- und Dirndlmode, die Eingang in die Leitlinien nationaler Identitätspolitik fand. Umso größer war der Aufschrei bei der bisherigen Deutungselite, als Discounter anfingen, günstige bis billige, sexy Dirndln zu verkaufen. Was in den 1970er-Jahren im Porno „Unter der Lederhose wird gejodelt“ im Verborgenen stattfand, war plötzlich zur Wiesn- und Kirtagszeit normal. Ich finde diese Demokratisierung ganz wunderbar. Das ist die Sonnenseite des Kapitalismus: Für jede ist irgendwie, irgendwas dabei und das hilft Distinktionsgrenzen abzubauen. Der Vorteil einer freien Gesellschaft wiederum ist es, anzuziehen, wonach einem beliebt, wenn es sein muss, auch um den Eros herauszufordern.

Elsbeth Wallnöfer (c) Peter M. Kubelka 07

Beide Bücher von Elsbeth Wallnöfer „TRACHT MACHT POLITIK“ und „Heimat. Ein Vorschlag zur Güte sind im Haymon Verlag erschienen. Unser Radio-Gespräch über Heimat findet ihr hier. Elsbeths Heimat-Buch hat mich auch zu einem Newsletter meines neuen Projekts „Frau Susi denkt über das Leben nach“ inspiriert.

Fotos: (1) ©️ Peter M. Kubelka; (2–3) Dior Prefall 2017 ©️ Vogue; (4) ©️ Barbara Ungepflegt; (5) ©️ Peter M. Kubelka; (6) ©️ Jana Enzelberger; (7) ©️ Peter M. Kubelka.

 

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