Culture + Arts > Visual Arts

May 12, 2021

Demokratie ist lustig: Mit Beuys und Bienenschwarm gegen Demokratieabbau

Eva Rottensteiner

Demokratie ist lustig. Das hat schon der deutsche Aktionskünstler Joseph Beuys gesagt und das Gegenteil gemeint. Mit seiner Postkarte “Demokratie ist lustig” hat er 1972 künstlerisch auf die Entdemokratisierung der Kunst aufmerksam gemacht. Bereits zu seinen Lebzeiten hat Beuys kritische Diskurse über Demokratie, Kapitalismus und Ökologie angestoßen. Und genau diese Diskurse möchten die beiden international aktiven Künstler*innen Erika Inger und Wolfgang Wohlfahrt in Südtirol anstoßen. Mit dabei sind außerdem die Künstler*innen Esther Glück, Thomas Sterna, Andreas Zingerle, Wil-ma Kammerer, Pascal Lampert, Hannes Egger und Gertrude Moser-Wagner. In ihrem interdisziplinären Kunstprojekt “Demokratie ist lustig” denken sie von 14. bis 29 Mai im ehemaligen Malser Gasthof “Einhorn” Kunst und Demokratie zusammen. Begleitend finden Stammtische, Lesungen und Konzerte statt. Warum sie das machen und was ein Bienenschwarm damit zutun hat, erzählt die Künstlerin und Mitorganisatorin Erika Inger.

Thomas Sterna Selbst als rechter Populist _ Trumpist mit Schatten (c) Thomas Sterna

Braucht die Demokratie mehr Kunst?

Ja, natürlich. Die Demokratie braucht mehr Kunst, vor allem kritische und ehrliche. Aber wir brauchen auch mehr Demokratie. Vor allem geht es uns aber darum, die Kunst zu demokratisieren.

Und warum?

Auch Künstler können die aktuelle politische Situation wahrnehmen und, wenn sie die Courage haben, auch in ihren Kunstformen artikulieren und darauf aufmerksam machen, was momentan geschieht. Wir wollen andere, offenere Formen des Ausstellens erproben.Pascal Lambert StROM (c) Pascal Lambert

Wie kam es dazu, dass ihr euch das Fluxus-Multiple von Beuys zum Motto genommen habt?

Beuys übte auf uns beide seit Langem eine Faszination aus. Und wir hatten diese Postkarte von Beuys mit der Aufschrift “Demokratie ist lustig” als Vision einer demokratischen Kunst vor Augen. Beuys war ja als Professor der Düsseldorfer Kunstakademie entlassen worden, weil er abgewiesene Studenten in seiner Klasse aufnahm. Er war mit dem elitären Akademiebetrieb nicht einverstanden, weil er davon überzeugt war, dass jeder Mensch künstlerische Fähigkeiten in sich trägt. Das Zeitungsfoto, das zeigt, wie die Polizei ihn von der Akademie abführte, inszenierte er als Kunstaktion. Quer über das Foto schrieb er mit der Hand: “Demokratie ist lustig”. Wir haben in den letzten Jahren überall in Europa gesehen, wie die Demokratie langsam wegbricht. Wir hatten das Gefühl, dass die Situation gerade passend für eine Ausstellung über Demokratieverlust ist. Wir wollen aber gerade damit das lustvolle an der Demokratieausübung betonen.Hannes Egger Collective Writing (c) Hannes Egger

Wen möchtet ihr erreichen?

Wir möchten ein breites Publikum erreichen. Alle Menschen, die sich für ihre bürgerlichen und kulturellen Rechte interessieren, sind unsere Zielgruppe. Der Abbau der Grundrechte findet so schleichend statt, dass man es erst merkt, wenn es schon zu spät ist. Demokratie bedeutet auch Freiheit wie Pressefreiheit, Meinungsfreiheit und Kunstfreiheit. In den letzten Jahren wurden diese immer mehr eingeschränkt, vielleicht geht es so weiter, bis irgendwann einmal nichts mehr davon übrig ist?

Die deutsche Künstlerin Sophia Süßmilch meinte letztens in einem Interview anlässlich des 100. Geburtstages von Beuys, dass sie dessen Huldigung in der Kunstakademie nervt. Bei wichtigen Frauen in der Kunst sei das kaum der Fall. Wie siehst du das?

Ich kenne die Künstlerin nicht, aber da hat sie auf jeden Fall recht. Frauen müssen sich viel mehr anstrengen, um gesehen zu werden. Bei Männern ist das anders, obwohl die Plätze an den Kunstakademien heute zu immer größeren Teilen von Frauen besetzt werden, sehe ich hier noch einen riesigen Aufholbedarf.Wil-ma Kammerer Freie Männer Freie Frauen Freie Tiere (c) Wil-ma Kammerer

Beuys hat sich gegen die elitäre Kunstwelt gestellt. Hast du das Gefühl, die Kunst in Südtirol sollte auch weniger elitär werden?

Das wird hoffentlich auch in unserem Format thematisiert werden. Die Kunstwelt hat meiner Meinung nach in den letzten 20 Jahren einen seltsamen Wandel durchlebt. Geld spielt dabei eine immer wichtigere Rolle. In Südtirol ist es gleich wie anderswo. Ich habe manchmal den Eindruck, es geht weniger um die Qualität eines Kunstwerks als vielmehr um bekannte Namen oder zumindest um diejenigen, von denen man glaubt, sie seien wichtig. Letztlich geht es aber um den immer höheren Preis. Der Wert des Kunstwerks wird damit “künstlich” nach oben geschraubt. Die Kunst ist zu einem kommerziellen Produkt verkommen und viele Künstler*innen fühlen sich komplett ausgespart. So ist ein Markt entstanden, der nur mehr wenig mit ehrlicher Kunst zu tun hat. Das Publikum sollte viel mehr in die Entscheidung mit einbezogen werden, was Kunst ist und was sie bedeutet.

Und was wäre für dich ehrliche Kunst?

Wenn sie sich nicht unbedingt am Trend orientiert. Ehrliche Kunst kommt von Künstler*innen, die anders sind und ausdrücken, was sie denken oder spüren. Nicht die, die immer schöne oberflächliche Dinge machen, weil sie sich gerade so am besten verkaufen. Eine Demokratisierung der Kunst könnte ihr die breite gesellschaftliche Bedeutung zurückgeben, die sie verloren hat.

bsh

Erzähl mal von deiner Installation Achtsamkeit.

Ich denke die Achtsamkeit ist der Schlüssel zur wahren Demokratie. Seit einigen Jahren schon begeistern mich Bienenvölker, Insekten- Vogel- und Fischschwärme. Sie alle kommen ohne Herrscherinnen und Herrscher aus. Die Bienenkönigin, “Königinmutter” ist beispielsweise nicht die Chefin der Bienen. Jedes Bienenvolk ist ein Musterbeispiel für eine Gemeinschaft, deren Mitglieder Erfolg haben, weil sie zugunsten gemeinsamer Ziele arbeiten. Der Schwarm erfordert eine präzise Organisation um sich wie ein “Organismus” zu bewegen. Jedes Tier handelt selbständig und achtet auf seine Umgebung. Meine Installation ist ein Schwarm.

 

Fotos 1–6: Esther Glück; Thomas Sterna; Pascal Lampert; Hannes Egger; Wil-ma Kammerer; Erika Inger

Print

Like + Share

Comments

Current day month ye@r *

Discussion+

There are no comments for this article.

Archive > Visual Arts