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May 3, 2021

Stefano Unterthiner: Eine Nahaufnahme

Eva Rottensteiner

Stundenlang sitzt er oft da, bis sich ihm der perfekte Bildausschnitt bietet. Manchmal vergehen auch Tage, Wochen, Monate.

Klick.

Stefano Unterthiner fotografiert wilde Tiere und ist damit verdammt erfolgreich. Es ist wohl nicht übertrieben, ihn zu den bekanntesten Tierfotografen weltweit zu zählen. Der Fotograf und Zoologe aus dem Aostatal fotografiert kuschelnde Kap-Borstenhörnchen in Südafrika, Königspinguin-Versammlungen vor blutrotem Himmel nahe der Antarktis und einen Schopfaffen in Indonesien, wie er sich im Motorradspiegel betrachtet. Dabei kommt er den Tieren so nah wie kaum ein Mensch sonst und erzählt ihre Geschichten sowie derer, die sie schützen. Er publiziert unter anderem im renommierten Magazin „National Geographic“. Für seine Fotografien wurde er mehrfach als „Wildlife Photographer of the Year“ ausgezeichnet. Sein neues Buch “Un Mondo Diverso” erzählt von den Tieren in der Arktis, welchen er auf seiner Expedition zwischen 2019 und 2020 mit seiner Familie nahegekommen ist. Am 5. Mai 2021 um 21 Uhr wird Stefano Unterthiner beim 69. Trento Film Festival (30. April bis 9. Mai) mit seiner Frau Stéphanie Francoise (Biologin) und Robert Peroni (Schriftsteller und Bergsteiger) über den Norden unserer Erde diskutieren. 

Diesmal sind wir dran, mit Nahaufnahme machen. Und der Fotograf erzählt zur Abwechslung mal seine eigene Geschichte.

Klick.

Für dein Projekt „A Family in the Arctic” warst du in der Arktis, um auf die Folgen des Klimawandels aufmerksam zu machen. Warum hast du gerade die Arktis ausgewählt?

Ich wollte eigentlich schon immer mal ein Jahr in der Arktis leben und über meine Fotografie von der Biodiversität und der Fragilität der Natur dort erzählen. Das Klima war in meiner Arbeit bisher kaum Thema. Als Zoologe habe ich mich immer mit den Tieren, der Artenvielfalt und dem Schutz der Arten beschäftigt. Als wir 2018 den Ort besucht haben, wurde mir bewusst, was für ein Aufwand es tatsächlich ist und dass es eine verschwendete Chance wäre, nicht über die Folgen des Klimawandels aufzuklären. Die sind gerade in der Arktis deutlicher zu spüren. Wir wollten einen Beitrag leisten und Klimaforschern eine Stimme geben. So entstand das Projekt. Durch diverse Artikel in Magazinen und den italienischen Nachrichten sowie durch ungefähr 30 TV-Reportagen für RAI und TG3 haben wir über die Lage dort aufgeklärt. Mein neues Buch handelt aber nicht vom Klimawandel, es soll viel eher von der Natur dort erzählen.

Stefano Unterthiner 3 (c)

Was hast du herausgefunden?

Obwohl wir nur ein Jahr dort waren, wurde uns bewusst, dass sich die Lage für Tiere und Menschen vor Ort schnell verändert. Weil die Schneefälle immer mehr zu Regen werden, kommt es zu mehr Glatteis und die Rentiere können nicht mehr fressen. Deshalb kommt es im Winter zu einem Massensterben der Rentiere. Wir haben auch erlebt, dass der Rückgang von Permafrost ganze Häuser bewegt oder sogar beschädigt hat. Oder der Fjord bei Longyearbyen, die Stadt in der wir gelebt haben: Den konnte man früher mit dem Motorschlitten überqueren und bis in die abgelegene Stadt Pyramiden gelangen. Seit einem Jahrzehnt kann man das nicht mehr machen, weil das Meer nicht mehr friert. Solche Phänomene kann man nicht mehr stoppen, auch wenn wir Menschen unsere CO2-Emissionen reduzieren.

Was erhoffst du dir von dem Projekt?

Für mich war das ein spannendes Erlebnis mit meiner Familie und ich wollte natürlich auf die Dringlichkeit des Klimathemas aufmerksam machen. Als Fotograf war das Herzstück des Projekts für mich aber das Buch, das seit unserer Rückkehr im August in Arbeit ist. Die Fotos sollen eine Geschichte über die Arktis erzählen, wie sie jetzt noch existiert. Die Bücher sind für mich immer wie eine Ankunft: Sie erzählen einen Teil unseres Lebens auf der Welt.

Deine Fotografien erzählen die Geschichten wilder Tiere. Der Wolf wurde in den letzten Jahren im Südtiroler Diskurs zum Politikum. Zurecht?

Der Wolf ist ein Teil unseres Ökosystems und restabilisiert dieses. Das Bild des Wolfes wurde lange mit Gefahren und Problemen assoziiert. Natürlich müssen Schaf- oder Ziegenbesitzer dadurch mehr auf ihre Tiere aufpassen. Aber zum Vergleich: In den Abbruzzen funktioniert das Zusammenleben auch seit Jahrhunderten. Dort ist der Wolf bis heute nie ganz verschwunden. Es kostet eben auch Zeit und Energie, sich an veränderte Umstände anzupassen. Vielleicht haben das die Leute in den Bergen ein Stück weit vergessen.

Stefano Unterthiner (c) 4

Glaubst du, es kann je ein friedliches und ausgewogenes Zusammenleben von Menschen und wilden Tieren geben? Ist das nicht eine Utopie?

Das ist eine Frage, die ich mir schon mein ganzes Leben lang stelle und deren Beantwortung mir immer Schwierigkeiten bereitet. Wenn der Mensch nicht wieder eine Verbindung zur Natur aufbaut, wird er keine Zukunft haben. Durch die zunehmende Entfernung zur Natur haben die Menschen verlernt mit Wildtieren zu leben. Dabei geht es nicht nur um wilde Tiere, sondern auch um andere Arten. Tierleben werden zur Ware, die wir für unseren gewohnten Konsum benötigen. Ich bin seit 30 Jahren Vegetarier und finde es immer noch absurd. Mal abgesehen von Naturschutz müssen wir uns als Gesellschaft damit beschäftigen, welchen Umgang wir mit anderen Lebewesen pflegen. Dass wir dafür kulturell noch einige Barrieren überwinden müssen, figurati, das zeigt sich auch in anderen gesellschaftlichen Diskursen wie bei der Homo-Ehe in Italien oder dem Umgang zwischen Mann und Frau.

Auf deinen Forschungsreisen verbringst du oft Tage oder ganze Wochen in Einsamkeit, um wilde Tiere zu studieren. Was hast du dabei gelernt?

Wenn ich in der unberührten Natur bin, weit entfernt von den menschengemachten Schäden, dann entblöße ich ein Stück weit meine Seele. Draußen in der Natur erfahren wir Glück. Die Natur reinigt uns von all den Schweinereien, die uns die Gesellschaft in den Kopf gesetzt hat und stellt den Kontakt wieder her. Ich glaube, wir sollten diesen Kontakt zur Natur wieder vermehrt suchen, auch wenn es nur der Wald hinter dem Haus ist oder andere Orte der Natur in unserer Nähe, um dieses Gleichgewicht wiederzufinden.

Deine Familie begleitet dich auf all deine Expeditionen. Hattest du je Angst, dass du ihnen zu viel abverlangst?

Stéphanie folgt mir, weil sie dieselbe Passion teilt. Sie sehnt sich auch nach dem Abenteuer, liebt es zu reisen und hat dieselbe Neugierde für die Natur. Sich anzupassen fällt ihr nie schwer. Oft, wenn ich Zweifel habe, ob ich alles richtig mache, redet sie mir diese schnell aus. Auch seitdem ich Vater geworden bin, habe ich manchmal Bedenken, die Kleinen überall hin mitzunehmen, und manches würde ich auch nicht mehr machen. Doch dann merke ich schnell, dass das nur der Schutzinstinkt ist. Wenn du dann in der Situation bist, ist es die normalste Sache der Welt, Kinder gibt es überall. Und die Kinderbetreuung genauso. Die Stadt, in der wir in der Arktis waren, hatte alles von Schule bis Kindergarten und sogar eine Universität. Die Kinder haben andere Kinder aus einer komplett anderen Gesellschaft kennengelernt. Das war für sie eine große Bereicherung.

Stefano Unterthiner 2 (c)

Du meintest, manche Dinge würdest du nicht mehr machen. Hast du etwas Bestimmtes im Kopf?

Ich denke dabei zum Beispiel an die Reise auf die Crozetinseln in den Französischen Süd- und Antarktisgebieten. Stéphanie und ich haben fünf-sechs Monate lang in einer kleinen Hütte gelebt. Keine anderen Kinder, keine Schulen, keine Menschen. Dort waren wir in extremer Abgeschiedenheit, das wäre mit den Kindern nicht wiederholbar. Auch wenn ich denke, dass die Kinder in einer so wilden Natur vollkommen glücklich wären, wenn Schwertwale wenige Meter von der Küste entfernt vorbeiziehen, riesige Albatrosse singen und See-Elefanten aus dem Meer auftauchen. 

Als Fotograf hast du schon alles erreicht, was man erreichen kann. Gibt es noch etwas, das du unbedingt angehen möchtest?

Als nächstes folgt ein Projekt über ein Wildnisgebiet im Zentrum Italiens, in den Abbruzzen, wo wir ab September ein paar Monate verbringen werden. Ich habe ständig neue Projekte und es gibt noch unzählige Orte und Arten, die ich erkunden möchte. Ich möchte auch einiges zum Artenschutz bewegen und dafür sensibilisieren. Eine Spezies, die ich unbedingt noch erkunden möchte, ist der Buckelwal. Meine Arbeit ist gefällt mir und die Biodiversität ist so groß, da hat man nie alles entdeckt. In Wirklichkeit habe ich erst sehr wenig gesehen.

Un mondo diverso_cover_bassa (c) Stefano Unterthiner

Du bist auch studierter Zoologe. Hast du je über einen wissenschaftlichen Weg nachgedacht?

Klar habe ich mir zu Beginn gedacht, dass ich wissenschaftliche Studien machen werde, weil ich mir nicht vorstellen konnte, vom Fotografieren zu leben. Doch nach meinem Studium habe ich schnell gemerkt, dass ich eigentlich nur Fotos machen und Geschichten erzählen möchte.

Alle Fotos (c) Stefano Unterthiner

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