People + Views > More

April 24, 2021

Teil 2: 15_Peter Zumthor – Ich vermisse den Geruch der Baustelle

Susanne Barta

 Dieses Projekt ist aus einem Gespräch mit meiner sehr geschätzten Künstlerin-Freundin Gabriela Oberkofler entstanden. Es sind Momentaufnahmen aus dem Corona-Alltag von Menschen, die mir in dieser Zeit in den Sinn gekommen sind und die aus unterschiedlichen Perspektiven beschreiben, was sie beobachten. Teil 1 wurde von März bis Mai 2020 aufgezeichnet. Fast ein Jahr später bestimmt Corona unseren Alltag nach wie vor und wird das wohl noch länger tun. Was hat sich verändert? Welche Beobachtungen und Erfahrungen sind dazu gekommen? Eine zweite Momentaufnahme geht diesen Fragen nach. Begleitet werden die Lockdown Aufzeichnungen von Gabrielas Zeichnungen und einem Mut machenden Zitat des Soziologen Harald Welzer.   

Peter Zumthor gehört zu den wichtigsten Architekten unserer Zeit. Seit ich das erste Mal ein Gebäude von ihm betreten habe, bin ich Fan von ihm. Seine Architektur ist für mich Ausdruck von Eigenwilligkeit, Formgefühl und Einfühlsamkeit in den Kontext. Man muss viel von Menschen verstehen, um so zu bauen wie er. Peter Zumthor ist derzeit im Zoom-Dauerloop, es hat einige Wochen gedauert, unser Gespräch zu vereinbaren, umso mehr freue ich mich, dass es geklappt hat.

Peter_Zumthor_office_01

Aufgezeichnet am 30. März 2021

Wie es mir in dieser Zeit geht? Dazu habe ich eine Antwort auf persönlicher und eine auf politischer Ebene. Persönlich habe ich effiziente Arbeitsweisen kennengelernt und gemerkt, dass vieles einfacher geht mit den elektronischen Mitteln, obwohl ich da einen gewissen Widerstand hatte. Ich sehe jetzt, was alles möglich ist, wie viele Reisen ich mir habe sparen können. Aber langsam beginne ich persönliche Kontakte zu vermissen, diese ganze Isolation geht mir auf den Geist. Ich würde schon gerne mal wieder meine Freunde und Bekannten sehen.

Erst vor kurzem habe ich bei einem Projekt darum gebeten, dass man mir die Baustelle zeigt, wenn auch nur elektronisch. Das habe ich noch nie gehabt, dass eine Baustelle eröffnet wird und ich nicht dort war. Ich vermisse den Geruch der Baustelle. Aber sonst muss ich sagen, geht es mir gut, ich arbeite effizienter als vorher, weil einiges wegfällt.

Meine Jugend war ja in den 1950iger Jahren und da reichte die Welt bis nach Basel und ein bisschen darüber hinaus in die Schweiz. Das war schön und ich empfand es als natürlich. Ganz im Innersten wäre es mir heute noch lieb, wenn die Welt eine Scheibe wäre. Die Vorstellung, dass ich auf einer winzigen Kugel in einem unendlich großen Raum schwebe, verdränge ich immer wieder. Jetzt sehen wir aber überdeutlich, dass die Welt eine Kugel ist und wir alle zusammengehören. Auf politischer Ebene beobachte ich große Unordnung und große Schwierigkeiten, ich sehe, wie alles vernetzt ist und wie viel wir zu tun haben. Und mir werden jetzt zum ersten Mal die globalen Dimensionen wirklich bewusst und wie schnell alles geht. Ich hoffe, dass Moral und Ethik zunehmen. Wir sind Teil des Lebens dieser Welt und sind in der Evolution mit einem Gehirn ausgestattet worden, um es zu benutzen.

Peter_Zumthor_office_06

Es gibt viele Leute, die sich Sorgen machen und das auch gut ausdrücken können. Man sieht jetzt sehr klar, was gut klappt, was funktioniert und wie viel es zu tun gibt. Früher gab es Priester und Seelsorger, die sich der Sorgen annahmen, aber seit sich die Kirchen eher leeren, gibt es plötzlich viele Philosophen, da bin ich sehr froh drum. Das ist wunderbar, dass die überlegen, was wir tun können und müssen. Das ist der gute Teil, dann gibt es aber auch beängstigende Reaktionen, etwa wenn Leute sich zurücksehnen nach einer geordneten Welt, an nationale Grenzen und Abschottung denken und Sündenböcke suchen. Das macht mir wie vielen anderen Leuten auch Sorgen. Wo gehen wir hin? Wir wissen es nicht. 

Gut möglich, dass das eine Zeit des Paradigmenwechsels ist, dass viele Werte aufbrechen und hinterfragt werden. Das hat jetzt wenig mit Architektur zu tun, aber wie alle bin auch ich mein eigener Philosoph. Es gab ja verschiedene philosophische Strömungen im 20. Jahrhundert, die jedes Ideal und alle Werte hinterfragt haben, die meisten kommen aus Frankreich, Stichwort Dekonstruktion. Ich denke doch, wir müssen neue Werte finden, Moral muss wieder eingeführt, über Ethik wieder nachgedacht werden. Die Annahme, dass es eigentlich gar keine Werte mehr gibt, dass wir eine offene Gesellschaft haben, ist ein Luxus der gutverdienenden, intellektuellen Schicht. Diese Periode, glaube ich, ist vorbei. Wir müssen uns neu besinnen und auch schauen, was Demokratie bedeutet. Und da füge ich mich, so wie ich Architektur betreibe, ein. Das ist verwandt mit einer künstlerischen Arbeit. Architektur wird ja meistens betrieben als Wirtschaftszweig, das mache ich natürlich nicht. Bei mir gibt es eine direkte Linie zwischen dem, wie ich denke, und dem, was ich mache.

Zeichnung: Gabriela Oberkofler 
Fotos © Peter Zumthor

 

Print

Like + Share

Comments

Current day month ye@r *

Discussion+

There are no comments for this article.

Archive > More