Music

April 24, 2021

Düstere Beat-Wolke: Pirmin

Florian Rabatscher

Langsam könnte man wirklich denken, dass das österreichische Hip-Hop-Label Duzz Down San uns dafür bezahlt, ausschließlich über sie zu schreiben. Natürlich ist dem nicht so; doch wenn ein Label derartig gute Releases wie bei einer ordentlichen Rambo-Maschinengewehr-Salve über uns hereinregnen lässt, kann man leider nicht anders. Es sind nicht einfach irgendwelche Rap-Alben mit 08/15 Beats und Lyrics über Drogen, Geld und Bitches, denn hier erleben wir einfach jedes Mal eine Überraschung, die es in sich hat und bei der man sich fragt, wie weit dieses Genre eigentlich noch ausstrapaziert werden kann. Und ja, anscheinend geht das. Wer sich noch an die Combo Odd Future erinnert weiß, dass sich bei manchen Kollektiven jede einzelne Auskopplung der Mitglieder mit schrägen Ideen übertreffen kann. Sei es der Sound, die verschiedenen Artworks oder einfach nur das bizarre Auftreten. Genau so fühlt sich für mich Duzz Down San mittlerweile an. Ein Name, der wie ein Qualitätssiegel für extravaganten Hip-Hop steht.prmn_gloom-artwork

Am 09.04.2021 ließ die Crew eine Instrumental-EP namens „Gloom“ auf uns los, die ihre Interpretation des Soundtrack für die Dunkelheit enthält. Hinter dieser düsteren Soundwolke versteckt sich der Graf der Turntables, Pirmin, aus Zams in Tirol. Gleich beim ersten Track „Gloom“ hört man vermehrt seine Fertigkeiten beim melodischen Vinyl-Kratzen. Wer vielleicht denken könnte, Scratching wäre längst überholt, wird hier eines Besseren belehrt. Ok, fairerweise spricht man bei seinem Handwerk nicht von reinem Scratching, sondern von der Musikform „Turntablism“, die deutlich mehr als nur simple „Wicke-Wicke“ Geräusche beinhaltet. Um jetzt darüber keine Abhandlung zu schreiben, sei noch erwähnt: Wir sprechen hier aber größtenteils von einem Beat-Produzenten. Und auf dieser Scheibe, mit dem mystisch dunklen Cover, das eher an eine Post-Punk-Band erinnert, verbirgt sich Pirmins eigener Stempel als Produzent. Acht Tracks mit verzerrten Samples, düsteren Synthesizer-Klängen, hämmernden Drums und (wie sollte es anders sein) satten Bässen. Noch nie klang Düsternis so tight. Wenn man diesen Sound nachts auf dem Friedhof präsentieren würde, könnte es glatt passieren, dass Michael Jackson und seine Zombie-Entourage aus dem Thriller-Video aus der Erde steigen und eine heiße Sohle aufs Parkett legen würden. Creepy shit …

Der okkulte Kopfnicker-Beat vom vierten Track „Guilty“ reißt auch mich komplett mit, weswegen ich wie wild mein Gesäß schüttle, während ich den Mond anheule. Doch auch die anderen Nummern haben es in sich und keine gleicht der anderen: Da hätten wir das geheimnisvolle „Jus Sum“, das für mich den kleinen Hit der Scheibe darstellt. Die weniger obskure Nummer drei „For the Road“ hebt sich nochmals völlig von den anderen ab. Dieser Titel erinnert mich an den Sound von The Prodigys 2004 erschienenen Album „Always Outnumbered, Never Outgunned“. Denn auch jenes unterscheidet sich erheblich von ihren restlichen Veröffentlichungen. Bei „Lockdown“ sagt der Name schon alles und „Labrat“ ist das wohl düsterste Stück dieser Scheibe (und das will was heißen). Mein Favorit „Dun“ ist ungefähr so wie eine mongolische Horde, die in Slow-Motion über ihre Feinde herfällt, während dabei psychedelisch leuchtendes Blut herumspritzt. Brutal, aber trotzdem anmutig.

Diese EP kombiniert Elemente aus Trap, Boom Bap und Grime auf natürliche Weise. Aber vor allem eben Grime. Ein Genre, das genau wie diese Platte eigentlich schon weit entfernt von üblichem Hip-Hop ist. Man bekommt bei diesem Sound mehr das Gefühl eingeengt zwischen unzähligen schwitzenden Körpern in irgendeiner stillgelegten Londoner Industriehalle zu stehen, währen die Bässe den ganzen Körper massieren. Fast schon ein Rave, aber auch nicht ganz.

Was es ist, kann ich nicht wirklich beschreiben. Wer weiß, vielleicht ist Gloom auch die Beat-Antwort auf Doom. Denn auch ohne die tiefen und immens verzerrten Gitarren versprüht dieses Werk diese obskure Stimmung auf seine eigene Art und Weise. Da wir gerade beim Vergleich mit Doom sind: Auch wenn man bei keinem der Tracks irgendeine Stimme vermisst, fällt mir trotzdem eine ein, die perfekt passen würde, um diese Emotionen zu untermauern: Nämlich die des Prince of Darkness Ozzy Osbourne. Ja, richtig gehört, dieser hat längst schon beim Feature mit Post Malone bewiesen, wie brillant er auf einem Beat klingt. Natürlich sind das übertriebene Hirngespinste, aber Pirmin hat es ja auch geschafft, das Black Sabbath-Feeling auf Beats zu packen. Also, nichts ist unmöglich. Und wie immer gilt: Dreht es auf, wenn ihr es hört. 

Und während ich diese Zeilen schreibe, ist übrigens schon das nächste Duzz-Down-San-Release erschienen: Die EP „Spirit“ von Restless Leg Syndrome, bei denen auch unser alter Bekannter Testa seine Finger im Spiel hat. Natürlich müsste man noch einen eigenen Artikel darüber schreiben, aber hört es euch doch einfach an. Hier ihre eigene Beschreibung zum Sound: Take a specific genre of music, sample and flip it into danceable beats.

Fotos: Pirmin

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