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April 22, 2021

Gegrüßet seist du, Davide Perbellini

Eva Rottensteiner

Manche Menschen finden sogar Ästhetik in Baustellen und Tunnels. Der Fotograf Davide Perbellini aus Meran zum Beispiel. Zuletzt hat er Madonnen fotografiert. Warum? Das haben wir ihn auch gefragt. Auf 54 Seiten erscheint sein Fotobuch „Madre di Dio“ als erstes Kapitel einer dreiteiligen Serie in der auf 100 Exemplare limitierten Verlagsreihe „Cento“. Am 29. April 2021, um 18:30 Uhr stellt Davide Perbellini die Neuerscheinung im Rahmen des Gesprächsformats „innenhof. franz talks to…“ live und online via zoom und facebook vor. Anna Quinz, Creative Director des Verlages franzLAB, wird ihn bei der Präsentation seiner fotografischen Dokumentation Südtiroler katholischer Gotteshäuser aus den Jahren 1945 bis 1980 begleiten. 

Gegrüßet seist du bei uns heute, David Perbellini …

Warum hast du für dein Fotoprojekt die Mutter Gottes ausgesucht?

Diese Frage lässt mich Schmunzeln. Ursprünglich sollte der Titel „Le Madonne“ lauten, aber das erschien mir etwas zu blasphemisch. Später, wie ich über das Konzept der Trilogie nachdachte, wurde mir klar, dass als gemeinsamer Nenner immer wieder „Gott“ auftauchte und auch mit den beiden anderen Projekten zusammenhängt. Daher nun also „Madre di Dio“.Madre di Dio 2 (c) Davide Perbellini

Anna Zinelli schreibt in der Einleitung, dass dich deine Eltern als Kind öfters in Kirchen und zu Kultstätten mitgenommen haben, wovon du allerdings nicht immer sehr begeistert warst. Warum nun dieser Sinneswandel?

Meine Eltern waren zwei Menschen, die mit der Kirche immer sehr verbunden waren. Ich erinnere mich, dass mein Vater, als ich noch klein war, jedes Wochenende die Heilige Messe besuchte, und in der Pfarrei Maria Himmelfahrt in Meran auch Messner war. Meine Mutter war, seit ich denken kann, von Padre Pio fasziniert. In meinen Erinnerungen, von denen ich Anna erzählt habe, haben wir den Sommer zwischen Pietralcina und San Giovanni Rotondo verbracht – Orte, an denen der Heilige Pio geboren wurde und gelebt hat. Ich erinnere mich auch an Autofahrten und meinem sehnsüchtigen Blick aus dem Fenster in die Ferne zu Strand und Meer. Ich glaube, jeder Zehnjährige hätte seine Zeit lieber am Strand, als in einer Kirche verbracht. Viele Jahre lang, bis ich fünfzehn war, unternahm ich mit ihnen Ausflüge zu Kirchen und Heiligtümern. Als Erwachsener sieht man dann die Dinge aus einer anderen Perspektive. Die Idee für diese Recherche entstand vor einigen Jahren in einer kleinen Kirche im Vinschgau, während einer Bergtour mit meiner Frau. Sicherlich spielten die Eindrücke als Kind dabei eine grundlegende Rolle.

Was hast du beim Kirchenanschauen gelernt?

Vielleicht habe ich mehr gelernt, als ich sie dann für eine Weile nicht mehr angeschaut habe. Ich habe mich mit etwa siebzehn Jahren von der Kirche als Institution und Struktur entfernt und bin ihr vor etwa fünf oder sechs Jahren wieder näher gekommen. Dieser Abstand hat mich vielleicht dazu gebracht, den Raum mit einem neu entdeckten Interesse zu untersuchen und zu studieren. Allerdings ist die Institution Kirche noch sehr weit von meinem obersten fotografischen Interesse entfernt, welches sich vor allem auf den architektonischen Raum und dessen Objekte konzentriert.

Madre di Dio 3 (c) Davide Perbellini

Warum interessiert dich so das Umfeld (beispielsweise Spielplätze) rund um Kirchen oder Gebäude? Was gibt es dort zu sehen?

Die Aufträge, die ich für Architekturbüros oder Innenarchitekturmagazine umsetze, führen oft dazu, dass ich die Umgebung verändere, sie rekonstruiere. Die Fotos haben nichts von einer gelebten, „realen“ Umgebung, sondern sind Abbilder eines dekorativen Ambientes für Internet oder Zeitschriften. Das ist auch nicht falsch, ich habe nur das Bedürfnis auch andere Fotografie zu machen. Die Fotografie bringt mich in gewisser Hinsicht dazu, nachzuforschen. Wenn wir beispielsweise „Madre di Dio“ und die gesamte Trilogie betrachten, ist das eine Untersuchung mehr oder weniger berühmter Orte und Objekte und der Art und Weise, wie man eine als heilig angesehene Umgebung lebt und gestaltet. Meine Fotografien sind fast immer frei von menschlichen Gestalten, sie interagieren jedoch auf irgendeine Weise mit der aufgenommenen Szene. Der Mensch ist im Foto präsent, weil er bei seiner „Durchreise“ wie auch immer den Raum belebt und Spuren hinterlassen hat.

Inwiefern hat deine fotografische Tätigkeit beim Film und bei der Presse deine heutige Fotografie beeinflusst?

Alles, was ich vorher gemacht habe, hat dazu beigetragen, mich zu dem zu machen, was ich heute bin. Ich hatte die Chance, erwachsen zu werden, die sogenannte „gavetta“ zu machen (Anm. der Red.: italienisches Sprichwort, bedeutet soviel wie: bescheiden in der Arbeitswelt anzufangen und sich Stück für Stück nach oben zu arbeiten) und ich hatte Zeit, wirklich zu verstehen, was ich will.Madre di Dio 1 (c) Davide Perbellini

Du hast auf Instagram gezeigt, was herauskommt, wenn deine dreijährige Tochter die Kamera in die Hand nimmt. Auch dein Vater war schon passionierter Fotograf. Ist es dir ein Anliegen, diese Passion weiterzugeben?

Mein Vater hatte schon immer eine Leidenschaft für die Fotografie. Ich erinnere mich, dass es als Kind keinen Familienausflug ohne seine Kamera gab. Ich war schon immer fasziniert von diesem Objekt. Die Schublade voller Negative aus den ersten fünfzehn Jahren meines Lebens verdanke ich ihm und seiner Leidenschaft. Die Beziehung zu meiner Tochter Nina in Zusammenhang mit der Fotografie ist sehr stark mit dieser Anekdote verbunden. Seit sie geboren wurde, habe ich sie immer analog fotografiert: zuerst mit Sofortbildfilm und dann 35mm. Natürlich denke ich oft, dass alles in digitaler Form bequemer wäre und ich dann mehr Fotos von ihr machen würde, aber der Gedanke an das Negativ gibt mir irgendwie die Gewissheit, dass diese Bilder immer noch da sein werden, wenn sie dann erwachsen ist. Ninas erste und echte Annäherung an eine richtige Kamera war am Morgen des Heiligen Abends 2020: Draußen hat es geregnet. Sie hat mich gefragt, ob sie die Kamera haben könnte, um ein paar Fotos zu machen. Ich war erstaunt und bewegt von dem Ergebnis und habe beschlossen, es in meine Instagram-Stories zu posten. Im Moment ist das Fotografieren für Nina ein Spiel und das ist gut so. In erster Linie muss sie Spaß daran haben. Die Zeit wird zeigen, ob sie den Weg und die Leidenschaft von Großvater und Vater einschlagen wird. Für mich ist das Wichtigste, eine Erinnerung zu schaffen, die ich ihr eines Tages schenken kann.

Die katholische Kirche ist auch eine kritisierwürdige Institution (Missbrauchsfälle, Homofeindlichkeit, Reichtum und Macht). Hat sie es verdient, dass du ihre Gotteshäuser porträtierst?

Ich stehe der Kirche sehr fern und interessiere mich aus diesem Grund auch nicht für das, was sie betrifft. Aber einiges dieser unfassbaren Dinge bekommt man trotzdem über die Medien mit. Es handelt sich an sich schon um Tatsachen beispielloser Schwere, wenn sie dann noch von Kirchenmännern begangen werden, hinterlassen sie erst recht Betroffenheit. Aber wie gesagt, mein Interesse gilt bei diesem Projekt dem architektonischen Raum, nicht der kirchlichen Einheit.

„Madre di Dio“ ist das erste Buch deiner dreiteiligen Serie. Was kommt noch?

„Madre di Dio“ ist, genau genommen, das erste Kapitel einer Trilogie. Die folgenden Bände werden „Figlio di Dio“ und „Casa di Dio“ heißen. Während ich mit „Madre di Dio“ die Figur der Madonna in der sakralen Kunst untersuche, wird sich die Recherche im zweiten Band auf die Figur Jesu Christi konzentrieren. Im dritten und letzten Band „Casa di Dio“ lege ich den Fokus auf das kirchliche Umfeld, das gelebte, reale. Wenn alles so läuft, wie geplant, sollte zu Weihnachten 2021 „Figlio di Dio“ erscheinen, während wir mit dem dritten Band bis April 2022 warten werden.Davide Perbellini (c)Franziska Unterholzner

Davide Perbellini, 1990 in Meran geboren, fotografiert für Architektur- und Designstudios sowie diverse Magazine. Im Zentrum seiner fotografischen Recherchen steht die Architektur und das natürliche und urbane Umfeld von Gebäuden. Zwischen 2010 und 2014 hat er einen Fotografiekurs besucht, als Assistenz-, Presse- und Filmfotograf in Mailand, Südtirol und für deutsche Filmproduktionen gearbeitet. 2019 publizierte er eine fotografische Reportage über den Brennerbasistunnel in der Zeitschrift Turris Babel #115 der Architekturstiftung Südtirol und gewann als 3.-Platzierter den Wettbewerb „Artefici del Nostro Tempo“ der Stadt Venedig. 2020 hat er sein Fotoprojekt „Sassi (Boulders)“ in Moreness #02 – On Trees and Woods veröffentlicht und erhielt eine lobende Erwähnung beim Moscow International Foto Award für seine Fotoserie „Churches“.

Photo Credits: (1–4) Davide Perbellini; (5) Franziska Unterholzner

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