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April 19, 2021

Carmen Müller und Gärten und Pflanzen und Menschen

Eva Rottensteiner

Vogelgezwitscher, Grillenzirpen, Bienenbrummen, Blätterrascheln. In den Gärten dieser Welt, dort wo es kreucht und fleucht, gedeiht und wächst, ist Carmen Müllers Kunst zuhause. Die in Brixen geborene und mittlerweile in Meran wohnhafte Künstlerin und Gartenfeldforscherin hat an der Universität für angewandte Kunst in Wien studiert und für ihre künstlerische Auseinandersetzung mit Pflanzen und Gärten mehrere südtiroler und österreichische Preise und Stipendien gewonnen und wurde zu etlichen Residenzen in Deutschland eingeladen. In ihren Feldforschungen erkundet sie Gärten und deren Pflanzen und erzählt danach deren Geschichten sowie die Geschichten der Besitzer*innen. Ihre Ausstellungen sind bestehen aus Sammlungen von Samen, gemalten Bildern, Fotografien, Textilien, Geschriebenem. Zuletzt war sie dafür in und um Innsbrucks Gärten unterwegs. Ihre Ausstellung „von gärten, pflanzen und menschen“ ist bis voraussichtlich 30. April 2021 im aut. architektur und tirol in Innsbruck zu sehen.

Wie kommt eine verschrumpelte, keimende Kartoffel in deine künstlerische Feldforschung?

Wer Kartoffeln über mehrere Wochen unbeobachtet deponiert, kennt das Phänomen der keimenden Knollen. Zu meiner Freude ist die Knolle mit ihren zahlreichen bizarren Austrieben für mich ein grafisch reizvolles Objekt. Es kommt oft vor, dass ich sie in Ausstellungen als lebende Skulptur integriere, die sich weiterentwickelt, mit ungeahntem Ausgang.

mueller dahlien + schwertlilie-c-carmen-mueller

Was haben dir die Menschen in ihren Innsbrucker Gärten erzählt? Und was sagen ihre Gärten über sie aus?

Bei meinen zahlreichen Exkursionen in öffentlichen sowie in privaten Gärten – an verschiedenen Orten – ist es für mich sehr wichtig, dass ich die Personen, die sich um die jeweiligen Gärten kümmern, kennenlerne, damit sie mir über ihre Gärten und ihre Erfahrungen erzählen. Meistens sind die Pflanzen oder die Gestaltung der Gärten eng mit ihrer Biografie verbunden, wie beispielsweise eine bestimmte Pflanze, die aus dem Garten der verstorbenen Mutter stammt, oder ein Steckling, den man aus dem Urlaub in der Türkei mitgebracht hat, oder die Artemisia annua, eine Heilpflanze, die ein Gartenverwalter flächenmäßig anbaut hat, weil er von der Heilwirkung des Tees oder der Tinktur überzeugt ist … Es gibt auch Statements von Frauen, die sich bewusst von selbstgezogenem Gemüse ernähren wollen, und andere, die bestätigen, dass der Garten für sie Erholung nach der Arbeit ist. Barbara Frischmuth zitierte einmal „Der Garten erzieht den Menschen, viel mehr als umgekehrt. Pflanzen wissen über mich Bescheid“. All diese Geschichten fließen in mein künstlerisches Projekt ein. Es ist, als ob ich mich auf ein Abenteuer mit ungeahntem Ausgang einließe.

Gärten haben auch etwas Spießbürgerliches an sich. Dennoch wurden in den letzten Jahren angemietete Schrebergärten, solidarische Landwirtschaften und selbst die urbanen Pflanzendschungel in den städtischen Wohnungen vermehrt zum Trend. Woher kommt das? 

Gärten sind eng mit dem Leben verbunden: Gärten sind Orte der Begegnung, der Geselligkeit, des Erfahrungsaustausches. Ein Ort, wo man sich Wissen über Essbares, Blühendes, Heilkräuter, lokale wie exotische Pflanzen aneignet. Sämtliche Sehnsüchte werden hineinprojiziert. Man kann die Tierwelt beobachten. Ich wüsste keinen anderen Ort, der so vielfältig und individuell interpretierbar ist. Und nicht zuletzt erfreut man sich über Blühendes zu den verschiedenen Jahreszeiten. Das Schöne daran ist, dass – unabhängig von den finanziellen Ressourcen – sich jede/jeder, die Freude leisten kann, sich bis ins hohe Alter dem Garten oder auch nur einem „Garten en miniature“ auf Terrasse oder Balkon zu widmen. Über den Arbeitsaufwand entscheidet jede/jeder selbst. In den letzten Jahrzehnten haben sich interkulturelle Gärten – Gemeinschaftsgärten – Nachbarschaftsgärten – Selbsterntefelder – Essbare Städte – entwickelt. Erfreulich ist auch, dass sich die Stadtbegrünung nun auch in Richtung biodiverse Bepflanzung mit naturnahen insektenfreundlichen Stauden orientiert. In Innsbruck habe ich vorbildliche Flächen an vielbefahrenen Straßen entdeckt. Die Gesellschaft ist nun sensibilisiert auf dieses Thema und hat das Potential erkannt.Mueller_Samensackln (c) Carmen Müller

Welche Techniken verwendest du für deine künstlerischen Auseinandersetzungen mit Pflanzen?

Meine Art des Herangehens an das Thema hat mit künstlerischer Forschung zu tun. Ich beobachte, notiere, fotografiere, skizziere, interviewe und vervollständige im Atelier das Erfahrene über Gärten und ihre Pflanzen. Daraus entsteht ein Werkzyklus, der sich mit den Pflanzen eines bestimmten Ortes auseinandersetzt. Meistens geschieht dies in Zusammenhang mit einer Einladung zu einer Ausstellung. Zuletzt war es eine zweijährige Auseinandersetzung mit öffentlichen und privaten Gärten in Innsbruck, die ich im aut.architektur und tirol  zeigen darf. Parallel dazu gibt es auch meist eine Publikation, die ich selbst gestalte und die das Thema nochmals verdichtet.

In der Stadt würde man sagen, wer einen Garten hat, ist privilegiert. Fehlen dir in deinen Expeditionen nicht auch manchmal die Geschichten der weniger Privilegierten in der Gesellschaft?

In meinen Expeditionen im ländlichen und städtischen Bereich begegne ich hauptsächlich bescheidenen Personen bzw. RentnerInnen. Gerade jene interessieren mich, denn sie machen sich Gedanken, wie man mit einfachen Mitteln (und oft viel Phantasie) ein idyllisches Plätzchen gestalten kann. Außerdem kann ich sie spontan ansprechen, wenn ich sie gerade im Schrebergarten beim Säen, Schneiden, Stützen und Ernten entdecke. Die Parks der Wohlhabenden sind eine andere Geschichte …Carmen Müller (c)

Dich interessieren die Geschichten, die Gärten erzählen. Was erzählt deiner über dich?

Mein Interesse am Thema hat seinen Ausgang darin, weil ich selbst seit vielen Jahrzehnten an meinen Wohnorten über einen Garten verfügt habe und immer noch habe. Mein Garten ist mein Experimentierfeld, mein Ort der Beobachtung. Jedes Jahr verändert er sich mittels kleiner Eingriffe. Ich lasse der Natur viel Spielraum – die blühenden Gartenflüchtlinge dürfen sich gerne neben Gemüse und Kräuter niederlassen. Und die essbaren Wildpflanzen zwischen den Salatköpfen sind willkommen. Es wachsen sämtliche Pflanzen, die mich an Orte und Menschen erinnern, an Gegenden, wo ich meine Projekte ausgeführt habe. Die Eselsdistel ist von Jakob aus Innsbruck, der blühende Kaktus von Marietta aus Castasegna, die Dahlien von Peter aus Oldenburg und nicht zuletzt, erinnert mich der nun hoch gewachsene Losbaum an meine kürzlich verstorbene Nachbarin Luise. Am Fuße des Baumes ist mein geliebter Kater Siggi begraben. Ein Garten ist mit allen Facetten des Lebens verbunden. Das macht das Thema so spannend. Ich schließe mit der Erkenntnis von Dieter Kienast: „Der Garten ist der letzte Luxus unserer Tage, denn er fordert das, was in unserer Gesellschaft am kostbarsten geworden ist: Zeit, Zuwendung und Raum.“Carmen Müller (c) Günter R. Wett

CarmenMueller (c) Günter R. Wett

mueller_kartoffel-c-carmen-mueller

Photo Credits: (1–4) Carmen Müller; (5) Manfred A. Mayr; (6+7Günter R. Wett; (8) Carmen Müller.

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