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April 17, 2021

Das Gesamtkunstwerk über Peppi Nusser

Florian Rabatscher

Endspurt beim Bolzano Film Festival Bozen 2021. Was könnte man sich also noch ansehen? Wie wäre es mit einem Film eines Local Artist? „Bozen | Erlangen. Der Kreis des Peppi Nusser“ von Marco Sonna und Martin Streitberger würde sich anbieten. Beim Titel dachte ich zuerst zwar an einen trockenen Schulfilm, wie man sie früher auf diesen völlig veralteten, aber VHS kompatiblen Geräten auf Rädern angesehen hat.  Wie falsch ich doch lag … Ehrlich gesagt, ließ mich diese Doku sogar etwas nachdenklich, aber trotzdem fasziniert zurück. Wem bei Josef Mayr-Nusser nur eine Straße in Bozen einfällt, sollte diesen Film unbedingt ansehen, denn er rattert keinesfalls nur die Biographie eines Menschen runter, sondern ist nicht weniger als ein Gesamtkunstwerk. Klingt nun vielleicht etwas übertrieben, aber ihr werdet verstehen, warum.

Zunächst geht es in diesem Dokumentarfilm um die Partnerschaft zwischen Bozen und Erlangen, die vor kurzem besiegelt wurde. Symbolisch dafür steht der Selige Josef Mayr-Nusser. Da er aus Gewissensgründen 1944 den Eid auf den Führer verweigert hat und deswegen zum Tod verurteilt wurde, steht seine Person auch für Widerstand und Toleranz. Er handelte aus christlichen Glaubensgründen und wurde vor ein paar Jahren selig gesprochen – deshalb werden ihn wahrscheinlich die meisten mit Religion in Verbindung bringen. Dieser Film bringt mich aber mehr und mehr zum Punkt, dass das viel zu einseitig wäre.martin

Sein gesamtes Leben zu erzählen, würde hier zu viel Raum in Anspruch nehmen, und auch der Film bezieht sich nicht boß darauf. Darin geht es vor allem über die Zeit nach seinem Tod. Ein Abschnitt, in dem in Südtirol nicht viel Verständnis für jemanden aufgebracht wurde, der sein Leben aus Gewissensgründen opfert und Frau und Kind alleine zurücklässt. Darüber wollte ich mehr erfahren und habe mich deswegen mit Martin Streitberger getroffen: Er erzählt mir, dass sie als Regisseur und Drehbuchautor mit diesem Film genau dieses Thema der Verachtung gegenüber Mayr-Nusser, was vor allem für seine Familie schwierig war, wieder aufrollen wollten. Der Film erzählt viel über Mayr-Nussers innige Beziehung zu seiner Frau Hildegard und zeigt auch ihre Stärke nach seinem Tod. Dieses Missverstehen der Gesellschaft war sehr enttäuschend für sie, da sie immer hinter ihrem Mann gestanden ist. Die äußerst religiöse Frau musste teilweise sogar gegen die Kirche wenden, weil nicht einmal diese immer hinter Mayr-Nusser stand, obwohl er für seinen Glauben gestorben war. Insgeheim hoffte sie, ihr Mann würde erst nach ihrem Ableben selig gesprochen, weil es für sie doch komisch wäre, die Witwe eines Seligen zu sein. Mayr-Nusser lebte zwar extrem katholisch, aber nicht auf eine fanatische Weise. Er war vielmehr ein wahrer Christ und sah alle Menschen als gleichwertig an. Das Religiöse ist also nur die eine Seite. Bei den Filmszenen in Erlangen wird stark hervorgehoben, dass Mayr-Nusser heutzutage vor allem als Vorbild für ein humanes Weltbild oder für den Widerstand gesehen werden sollte. Seine Weltanschauung stand für Toleranz und Gleichstellung. Sehen kann man es, wie man will, vergessen jedoch sollte man solche Personen nicht. Martin Streitberger meint sogar, jeder könne ihn nutzen, wie er wolle. Auch falle ihm auf, dass es gerade heutzutage, wo Demokratie wieder vermehrt schlecht geredet werde, solche Figuren wichtiger denn je seien.Soviel zur Botschaft des Films. Doch warum man ihn als Gesamtkunstwerk sehen solle, liegt zum einen natürlich an der visuellen Arbeit von Marco Sonna und zum anderen an den Texten von Martin Streitberger, die von einem Erzähler eingesprochen oder eingespielt werden. Diese scheinbaren Gedanken des Geistes von Josef Mayr-Nusser begleiten uns durch die Geschichte und geben dem Film fast schon etwas Mystisches. Und das Beste ist der Sound des Films, der von Mayr-Nussers Sohn Albert Mayr stammt. Er war Musikprofessor am Konservatorium in Florenz und ist ein Pionier der elektronischen Musik, (wie ich jetzt erst herausfand!). Seine Musik versprüht durch den ganzen Film den Geist der Freiheit. So etwas habe ich noch nie gehört. Bereits Ende der 60er Jahre entwickelte er elektronische Kompositionen, die einem gesamten Klassikstück gleichen. Beeindruckend. Auf die Frage, ob er einmal etwas im Gedenken an seinen Vater komponiert hätte, meinte er: „Nein, das habe ich tunlichst vermieden.“ Nun jedoch wurde seine Musik Teil eines Films über seinen Vater, was das Ganze für mich fast schon legendär macht.

Mit Martin Streitberger saß ich noch lange am Tisch … über Peppi Nusser haben wir dann nicht mehr gesprochen. Trotzdem schwirrte mir dieser Typ noch lange in meinem Schädel herum. Irgend etwas hat der Film wirklich in mir verändert. Schwer zu beschreiben, was es ist, aber seht ihn euch selbst an. Beenden möchte ich diesen Artikel mit einem Gedicht von Martin Streitberger, das vielleicht mehr als mein ganzes Geschwafel aussagt:

Josef Mayr-Nusser

Sterben für das Leben
Dasein für das Jetzt
gegen eine Welt des Unrechts
der Kälte
ohne Angstgrauen
leben für den Nächsten
seine Liebsten zurücklassen
für nichts?
dem Vaterland zuliebe
kein Eid auf diesen Führer
Glauben ist Licht
weist den Weg
durch Leiden
und langsames Vergehen
unbeirrt
im letzten Atemzug.

Lange, lange Jahre liegen darüber
nur die Pflicht, das war’s
geschäftig wollte man vergessen
doch selig sein Antlitz heut. 

von Martin Streitberger

Fotos: (1) Bolzano Filmfestival Bozen; (2) Martin Streitberger

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